Rezension über:

Christiane Häslein: Am Anfang war das Wort. Das Ende der "stommen schilderkonst" am Beispiel Rembrandts, Weimar: VDG 2004, 317 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-3-89739-427-8, EUR 48,00
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Rezension von:
Claus Volkenandt
Kunsthistorisches Seminar, Universität Basel
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Claus Volkenandt: Rezension von: Christiane Häslein: Am Anfang war das Wort. Das Ende der "stommen schilderkonst" am Beispiel Rembrandts, Weimar: VDG 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3 [15.03.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/03/6496.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Christiane Häslein: Am Anfang war das Wort

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Mit ihrem Buch "Rembrandt's Enterprise" von 1988 hat Svetlana Alpers der Rembrandt-Forschung nicht nur einen Weg aus der Enge der Zuschreibungsfragen gewiesen, sondern darin auch Rembrandts Atelier als einen theatralen Raum vor Augen geführt, in welchem seine Bilder zunächst zur Aufführung kamen, bevor sie gemalt wurden. Pointe dieser von Alpers vorgestellten Atelierpraxis war, dass diese Theatralität als eine vervielfältigte Sinnenhaftigkeit in die Rembrandt'schen Bilder eingegangen ist: Akustische und taktile Momente in den Werken Rembrandts traten für Alpers neben ihre visuelle Aufladung.

Jüngst hat Christiane Häslein diese Diskussionsfäden in ihrer Studie "Am Anfang war das Wort. Das Ende der 'stommen schilderkonst' am Beispiel Rembrandts" wieder aufgenommen und thematisch auf einen Sinn fokussiert. Sie geht der akustischen Dimension der Bilder Rembrandts nach, und zwar in ihrem Verhältnis zu dem bei Rembrandt dargestellten Sehen. Zugleich wendet sie die methodologische Offenheit, die dem Arbeiten von Svetlana Alpers eigen ist, in eine strenge ikonografisch-ikonologische Orientierung ihrer Studie. Häslein folgt dabei der ikonologischen Leitvorstellung einer eigentlichen Bedeutung von Kunstwerken, wie sie Erwin Panofsky formuliert hat. Hierdurch gewinnt die Studie von Christiane Häslein nicht nur einen starken kulturgeschichtlichen Einschlag, sondern auch eine argumentative Struktur, die den Weg vom historisch Allgemeinen zum Zeittypischen der einzelnen Werke geht. Die Werke reagieren aus Sicht der Autorin in einer direkten, nahezu kausalen Weise auf die Zeitumstände.

Ausgangspunkt der Studie ist der historische Befund, dass die nördlichen Provinzen der Niederlande "mit der politischen Lösung von den spanisch beherrschten, südlichen Provinzen [...] seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts religiösen und damit auch kulturellen Umwälzungen ausgesetzt" (12) waren. Daraus gewinnt die Autorin die Frage, "ob diese einen Einfluss auf die Bilderfindungen Rembrandts ausgeübt haben und seine Werke damit ihrerseits kulturelle Bedingungen reflektieren" (12). Diese Frage wird von Häslein positiv beantwortet. Konkret geht sie im Blick auf Rembrandt davon aus, dass "die Dualität von Sehen und Hören, Auge und Ohr, Wort und Bild zu seiner Zeit in den nördlichen Provinzen der Niederlande in allen Bereichen des täglichen Lebens wie in allen Facetten kultureller Erscheinungsformen stets präsent und damit allen Zeitgenossen unabhängig von religiöser Zugehörigkeit und gesellschaftlicher Stellung immer gegenwärtig" (12) war. Rembrandt sieht sie dabei als einen "seiner Umwelt gegenüber höchst sensible[n] Maler", der auf die "von der reformierten Forderung nach dem Wortprimat ausgelöste Entwicklung reagiert hat" (12).

Gemäß ihrer methodologischen Prämisse entwickelt die Autorin nach einer allgemeinen Einführung in ihre Fragestellung (I. Einführung, 11-21) ihre Argumentation von den kulturellen und insbesondere den religiösen Rahmenbedingungen aus, die Reformation und Calvinismus den Bildkünsten in den nördlichen Niederlanden historisch gesetzt haben (II. Calvinismus und Bildkultur - ein Widerspruch?, 23-53). Sie konkretisiert diese allgemeinen Befunde für Rembrandt in einem Blick auf die zeitgenössische Kunsttheorie (III. Kunsttheoretische Aspekte, 55-84). Fokus ihrer Quellenlektüre ist die Frage, was die Quellen über "die Visualisierung des Sprechens und Hörens in der Malerei" (235) aussagen. Die Autorin weitet ihre Lektüre dabei auf praktische Lehrbücher, rhetorische Kompendien, moralisch-erbauliche Traktate, theologische Werke und Bildgedichte aus, um den Mangel einer kunsttheoretischen Traktatliteratur in den nördlichen Niederlanden des 17. Jahrhunderts zu kompensieren. Schließlich kommt Häslein zur Diskussion der Rembrandt'schen Bilder (IV. Exempla, 85-192). Dazu wählt sie einerseits das "Opfer Abrahams" in St. Petersburg (1634) als ein alttestamentarisches Beispiel aus (85-120), andererseits bespricht sie eingehender eine Reihe von Prädikantenporträts, die Rembrandt in den 1630er und 1640er-Jahren angefertigt hat (120-165). Besondere Aufmerksamkeit widmet sie dem "Anslo"-Porträt Rembrandts von 1641 (166-192). Zusammenfassung und Ausblick beschließen die Studie (233-241).

Rembrandt reagiert der Autorin zufolge auf die kulturellen Umwälzungen in Folge der Reformation mit "ikonographischen Veränderungen" (234) in der Gestaltung seiner Bildthemen. Am "Opfer Abrahams" stellt sie heraus, wie Rembrandt gegenüber der Bildtradition, die das Eingreifen des von Gott gesandten Engels durch Blick- und Berührungskontakt zwischen dem Engel und Abraham ausgestaltete, beide bildinternen Kommunikationsmittel relativierte, "um das Rufen des Engels hervorzuheben" (236). Ebenso entwickelte Rembrandt den Porträttypus eines "sprechenden" Prädikanten, der zunehmend weniger durch die Buch-Attribute der Bildtradition ausgezeichnet wurde, sondern durch Bildmittel, "die zeichenhaft das Gotteswort im Bild repräsentierten" (238). Dazu gehören für die Autorin im Porträt das bildinterne Licht, die Geste der auf die Brust gelegten Hand wie auch die "Formel der 'geneigten Ohren'" (238). Im "Anslo"-Porträt schließlich wird von Rembrandt die sprachliche Kommunikation zwischen den porträtierten Eheleuten zum eigentlichen Bildthema gemacht: "Der Prediger wird mit Gestus der Anrede, deutlich geöffnetem Mund (und verstärkt durch die Körperhaltung) bewegend 'sprechend' vorgestellt [...]. Sie zeigt einen Zustand des affektlosen Hörens, der keine Hinweise auf den Inhalt der Ansprache gibt und auch keine Reaktion auf das Gehörte erkennen lässt." (239)

In der Perspektive ihrer methodologischen Vorentscheidungen diskutiert Christiane Häslein ihre These anhand von schriftlichen Quellen und typengeschichtlichen Vergleichen. Darin liegen Stärken wie Schwächen ihrer Studie beschlossen. So spielen sich Rembrandts gestalterische Veränderungen nach Ansicht der Autorin im motivischen Bereich ab. Die Sinndimension dieser motivischen Veränderungen gewinnt Häslein aus einer textlichen Bedeutungsabsicherung, indem sie die Motivinnovationen Rembrandts mit den kunsttheoretischen Quellen vergleicht. Und genau darin zeigt sich eine Schwäche ihres Bildumganges. Man kann ihn als eine Art motivischer Zerfransung des Bildsinnes beschreiben: die einzelnen Motive werden auf religiöse und kunsttheoretische Quellentexte zurückgeführt und mit deren Hilfe gedeutet. Bildsinn entsteht hier additiv. Die besonderen, motivübergreifenden Gestaltungsstrategien Rembrandts kommen dabei gerade nicht zur Geltung. Sowohl im "Opfer Abrahams" als auch im "Anslo"-Porträt arbeitet Rembrandt mit einer asyndetischen Szenik, wie er sie in seinen religiösen Historien seit Anfang der 1630er-Jahre entwickelt hatte. Das szenische Geschehen bleibt einzelnen Motiven nach innerbildlich weitestgehend unverbunden, setzt also auf den Betrachter als einen Dritten der Szene. Rembrandt arbeitet mit einer zum Betrachter offenen Bildanlage, der das szenisch Unverbundene zusammensehen soll. Darin aber haben die Werke Rembrandts eine genuin bildliche Verfassung, insofern als diese Gestaltungsanlage als eine der Metapher eigene Schlussstruktur beschrieben werden kann.

Die Studie von Christiane Häslein besticht durch ihre enorme Quellenarbeit und die darin aufgezeigten kulturhistorischen Dimensionen. Man kann hier von einem mentalitätsgeschichtlichen Panorama sprechen, dass die Autorin entfaltet: die religiösen Mentalitäten, die die reformierten nördlichen Niederlande historisch versammeln, werden in ihrem Verhältnis zum Bild plastisch greifbar. Darin gewinnt die Studie ein bildtheologisches Profil. Dieses wird am Beispiel des "Anslo"-Porträts deutlich: Die Autorin subordiniert die Gattungsdimension des Bildes als eines Porträts dem Verhältnis von Wort und Bild. Fragt man aber umgekehrt, welche Einsichten sich aus der Wort-Bild-Diskussion allgemein für das Porträt (nicht nur) bei Rembrandt gewinnen lassen, mit anderen Worten: wie viel Zeittypisches der einzelne Porträtierte beispielsweise in Mimik und Gestik aufweist, so wird deutlich, welches kulturelle Sediment religiöser und rhetorischer Art in Rembrandts "Anslo"-Porträt mitschwingt. Dieses kann die Studie von Christiane Häslein sichtbar machen, insbesondere wenn man dem methodologisch bedingten Primat des Wortes gegenüber dem Bild, von dem die Autorin ausgeht, nicht folgt.

Claus Volkenandt