Wulf Oesterreicher / Gerhard Regn / Winfried Schulze (Hgg.): Autorität der Form - Autorisierung - Institutionelle Autorität (= Pluralisierung & Autorität; Bd. 1), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2003, 344 S., ISBN 978-3-8258-7135-2, EUR 39,90
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Das Wechselverhältnis zwischen sozialer und kultureller Pluralisierung und der Konstitution von politischer, religiöser, rechtlicher oder wissenschaftlicher Autorität in der Frühen Neuzeit steht im Zentrum des Münchener Sonderforschungsbereichs 573. Der vorliegende Band ist aus einer Tagung des Forschungsverbundes im Dezember 2002 hervorgegangen, die auf drei Ebenen versuchte, sich exemplarisch wie programmatisch dem Begriff der Autorität zu nähern: Autorität der Form - Autorisierung - Institutionelle Autorität. Begriffe, die selbst den interdisziplinär sozialisierten Leser zunächst vor die Frage stellen, um was es im vorliegenden Band konkret gehen mag. Der Begriff der Autorität, so erhält man sogleich als Antwort, ziele auf "unterschiedliche Formen von Normierungs- und Geltungsansprüchen im Bereich der Instanzen politischer und religiöser Macht sowie Prozesse der Kanonisierung im Felde der wissensbezogenen gesellschaftlichen Wirklichkeit" (9). Lässt man sich durch die drittmittelbezogene Antragssemantik nicht irritieren, so erwartet einen die Lektüre einer Vielzahl innovativer und weiterführender Beiträge. Dies gilt insbesondere für den Bereich der frühneuzeitlichen Wissenskulturen.
Die Autorität der Form wird durch verschiedene "zeichenbezogene Konfigurationen" konstituiert, die von Diskurstraditionen und Gattungen über Begriffsysteme und Argumentationsstrukturen bis hin zu Zeremoniell und Ritus reichen. Empirisch konkretisiert werden diese unterschiedlichen Ausprägungen einer "Autorität der Form" von sechs Beiträgen aus dem Bereich der Kunstgeschichte, Geschichte, Sprachwissenschaft und Literaturwissenschaft. Frank Büttner zeigt an der Entwicklung der Perspektive überzeugend, auf welche Weise Bilder Autorität entfalten konnten, indem sie die Wahrnehmung ihrer Betrachter lenkten. Der Schwerpunkt der Beiträge liegt jedoch eher auf der Konstitution von Autorität durch bestimmte Formen der Schriftlichkeit. So wird die Macht der "Formautoritäten" unter anderem am Beispiel von Formularen und Tabellen im Kontext der Historiografie (Arndt Brendecke), Autor- und Grammatikkonzeptionen (Benedikt Konrad Vollmann / Matka Čizmić; Roland Schmidt-Riese) sowie Florilegien, Enzyklopädien und Bibliografien (Gilbert Heß, Martin Schierbaum) verfolgt.
Im zweiten Teil des Bandes werden Prozesse der Autoritätskonstitution in den Feldern von Philosophie, Rhetorik, Poetik, Theologie und Medizin rekonstruiert. Dabei folgt man der Grundannahme, dass die zunehmende Pluralisierung "sozialer und kognitiver Ordnungsstrukturen" während der Frühen Neuzeit gleichzeitig in einem wachsenden Bedürfnis nach Geltungssicherung, ja gleichsam einem "Autorisierungsnotstand" resultierte (119 f.). Die Konstitution von Autorität wird dabei als agonaler Prozess der "Autorisierung" verstanden, in dem konkurrierende Geltungsansprüche um ihre Durchsetzung ringen. Dies wird zunächst an verschiedenen Fallstudien zu auktorialer Autorität in den Diskursen um Petrarca (Sabrina Ebbersmeyer; Florian Neumann), Erasmus (Jörg Robert) und Grotius (Florian Mühlegger) verfolgt. Dem folgen drei eher systematisch orientierte Beiträge über unterschiedliche Praktiken der Autorisierung beziehungsweise De-Autorisierung. Helmut Zedelmaier widmet sich dem katholischen Projekt einer "Disziplinierung des Bücherwissens" am Beispiel der Purgierungspraxis des römischen Index. Der ideologischen Kontrolle der autoritativen Orientierungsinstanz des Index sei dabei aufgrund des immensen Anstiegs von Publikationen zweifellos wenig Erfolg beschieden gewesen. Der ungebrochene Wille zur Identifikation anstößiger Inhalte - so sein interessanter Befund - führte jedoch zu einer Professionalisierung von Verfahrenstechniken, deren Wirkmächtigkeit letztlich weit über ihr ideologisches Programm hinausweist. In einem vielschichtigen Beitrag geht Michael Stolberg den Autorisierungspraktiken frühneuzeitlicher Ärzte nach und kommt zu dem Ergebnis, dass deren gelehrte Selbstdarstellung in Form von Publikationen und sorgfältig inszenierten 'Behandlungen' zwar stets durch deren therapeutisches Versagen bedroht war, letztlich aber einen deutlichen Autoritätsvorsprung gegenüber anderen Formen der Heilkunde begründete. Martin Mulsow untersucht anhand von Anonymen- und Pseudonymenlexika die Praktiken der "De-Autorisierung" und bereichert die vorliegenden Beiträge damit um einen wichtigen Aspekt. So arbeitet er mit Blick auf den 'Demaskierungshabitus' einer gelehrten "Wissenspolizei" sehr anschaulich die Ambivalenzen der Erzeugung von Transparenz und Intransparenz innerhalb der Gelehrtenrepublik heraus.
An dritter Stelle geht es schließlich um Fragen "institutioneller Autorität". Das schließt sowohl eine "Autoritätsrealisierung über institutionelle 'Neuordnungen'" ein wie umgekehrt eine "Neuordnung mittels institutionalisierter Autoritätsträger" (238). Thomas Duve widmet sich der Bedeutung des Autoritätsbegriffes für die neuere Privatrechtsgeschichte und unterscheidet dabei zwischen "relativer" und "absoluter" Autorität. Unter Einbeziehung medien- und gelehrtengeschichtlicher Fragestellungen erweist sich das heuristische Potenzial des Begriffs in einer klaren konzeptionalisierbaren Dialektik von pluralen Autoritäten einerseits und der gegenläufigen Tendenz einer stärkeren Kodifizierung einer einzigen, absoluten Autorität andererseits. Robert Folger untersucht im Rahmen der Institutionalisierung der spanischen Kolonialhistoriografie Autoritätseffekte, die sich weniger aus wissenschaftlichen Evidenzkriterien als aus dem bürokratischen Apparat der Krone speisten. Neben solchen zwischen primärer und sekundärer Institutionalisierung verortbaren Prozessen kommt das geltungsgenerierende Potenzial von Institutionen vor allem in Konfliktsituationen zum Vorschein. Anhand des Helmstedter Hofmannstreites (1598-1601) fragt Markus Friedrich nach den Wahrnehmungsformen von Dissens innerhalb der protestantischen Theologie. So lassen sich zwar unterschiedliche "Streitstile" des Theologen Hofmann und der gelehrten Räte ausmachen, nicht aber eine grundsätzliche Legitimität des Streitens um plurale Meinungen. Autoritätskonflikte im Bereich der frühneuzeitlichen Politik beleuchten Petra Ehm-Schnocks am Beispiel des Zusammenhangs von Diplomatie und Völkerrecht und Ralf-Peter Fuchs an den kirchenpolitischen Konflikten zweier Territorialherren. Am Beispiel der Supplikationen böhmischer Zuwanderer im Kursachsen des 17. Jahrhunderts entwickelt Alexander Schunka schließlich eine Skizze zur "Pragmatisierung konfessioneller Autorität" (324). Diese konkretisiert sich vor allem in den unterschiedlichen Autoritätserwartungen gegenüber dem Fürsten, die deutlich über die Sorge um den rechten Glauben hinausgehen.
Blickt man resümierend auf das breite, von einer gewissen Dominanz geistesgeschichtlicher Themen geprägte Spektrum der Beiträge, so fällt angenehm auf, wie stark man sich in den meisten Fällen tatsächlich auf die Problematik der Autorität eingelassen hat. Autorität wurde dabei in vielen Fällen als "Ansehensmacht" umschrieben - ein Begriff, dessen performative Dimension zwar wiederholt herausgestrichen wird, der aber dennoch kaum in Bezug zu anderen Konzepten gesetzt wird. Hier wäre etwa nicht zuletzt an Begriffe wie kulturelle Hegemonie, symbolische Macht et cetera zu denken. Eine begriffliche Präzisierung des Autoritätskonzeptes, so zeigt sich schließlich, wurde insgesamt weniger auf theoretischem als auf empirischem Wege versucht. Gerade das heterogene Themenspektrum des Bandes beweist dabei, dass die Frage nach Autorität beziehungsweise Formen der Autorisierung als ein fruchtbarer Ansatz zur Erforschung gesellschaftlicher Prozesse der Frühen Neuzeit dienen kann, von dem in Zukunft noch zahlreiche weiterführende Ergebnisse zu erwarten sind.
Marian Füssel