Michael Zeuske: Schwarze Karibik. Sklaven, Sklavereikultur und Emanzipation, Zürich: Rotpunktverlag 2004, 653 S., ISBN 978-3-85869-272-6, EUR 27,30
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Kaum eine Region der Welt hat einen so tief greifenden und umfassenden demografischen Wandel, faktisch einen kompletten Bevölkerungsaustausch, erfahren wie die Region der Karibik. Wo vor 1492 eine Bevölkerung lebte, die man sich Indianer zu nennen angewöhnte, wurden später in großem Stil Afrikaner als Sklaven zwangsweise angesiedelt, von denen sehr viele aufgrund der Arbeitsbedingungen auf den Zuckerplantagen einen frühen Tod erlitten. Der Kölner Lateinamerikahistoriker und Kuba-Spezialist Michael Zeuske hat mit "Schwarze Karibik" eine umfassende Geschichte der Sklaven und der Sklavereikultur auf Kuba vorgelegt. Der Fokus liegt deswegen auf dieser größten Insel der Karibik, weil Kuba im 19. Jahrhundert das eigentliche Zentrum einer auf Sklaverei basierenden Plantagenwirtschaft war. Dort wurde die, wie es eingangs heißt, "kompakteste, effizienteste und bekannteste Sklaverei in der westlichen Welt" (11) praktiziert. Havanna war die Sonne, um die sich das Sklavereisystem von den Südstaaten der USA bis Brasilien drehte. Dies war das "große Kuba", das Zeuske ins Zentrum seiner Darstellung rückt und von einem "kleinen Kuba" abhebt, womit die Insel selbst in ihrer inneren Vielfalt gemeint ist, die keineswegs nur und ausschließlich von Sklaverei geprägt war. Denn lange Zeit erfasste die Wirtschaft der mit Sklaven betriebenen Zuckerplantagen nur einen kleinen Teil der Insel im Westen. Kuba insgesamt, ironischerweise also das "kleine Kuba", wies große und massive regionale Unterschiede auf, zahllose Enklaven kultureller und sozialer Eigenständigkeit, insbesondere im Osten. Demgegenüber steht das "große Kuba" für die "schwarze Karibik" So kann Zeuske am Beispiel Kubas Prozesse analysieren, die für den ganzen Raum von Bedeutung waren.
Die Unterscheidung von großem und kleinem Kuba erschließt sich durch die differenzierte Benutzung eines anderen Begriffs, der im Zentrum von Zeuskes Darstellung steht: Globalisierung. Er unterscheidet zwischen der ersten und zweiten Globalisierung, wobei mit der ersten die Expansion der Europäer seit Kolumbus gemeint ist, während im Mittelpunkt der zweiten die Plantagenwirtschaft mit Sklaverei steht, die intensive Form der Ausbeutung mit ökonomischer Abhängigkeit von Europa und gekennzeichnet von "Statistik, Kontrolle, Administration und technologische[r] Modernisierung" (195). Als Kuba im 18. und 19. Jahrhundert diesbezüglich mit den anderen karibischen Kolonien gleichzog und diese schließlich sogar abhängte, rückte es in den Mittelpunkt eines zirkumkaribischen Wirtschaftsraums, der von den Südstaaten der USA über Mittelamerika, die großen und kleinen Antillen bis nach Brasilien reichte. In dieser neuen Kontextualisierung erscheinen auch die Sklaverei und der Nord-Süd-Gegensatz in den USA in einem anderen Licht. Zeuske spricht nämlich von einer "Südexpansion" der USA (18) und von einem deutlichen Machtzuwachs der Südstaaten. Denn die bis dahin abgelegenen und ökonomisch wenig bedeutsamen Regionen waren seit dem späten 18. Jahrhundert "drauf und dran, sich zu landwirtschaftlichen Boomzonen zu entwickeln" (134). Aufgrund dieser ökonomischen Prominenz konnte die Karibik mit insgesamt vier sozialen Revolutionen eine Neuorientierung des Westens auslösen, in dessen Werteordnung langfristig Rassismus und Sklaverei keinen Platz mehr hatten. Aber, das betont der Autor immer wieder, dies war im Wesentlichen auf den Kampf der karibischen Akteure zurückzuführen, die sich in Allianzen zusammenschlossen, aus denen die kubanische Gesellschaft als die erste "transrassiale" Nation in dieser Region hervorging (20/21, 416 ff. u. 467 ff.), freilich nur zum Preis eines "Schweigens" über den tatsächlichen Rassismus (383).
Besonders gelungen ist das Einleitungskapitel über die indianische Karibik, das auf dem neuesten Stand der Forschung einen ausgezeichneten Überblick über die vorkolumbianische Karibik gibt, und eines der späten Kapitel, in dem Zeuske von seinen eigenen Forschungserfahrungen berichtet. Die ehemaligen Sklaven waren nicht aktenkundig und konnten in den Archiven nicht gefunden werden, bis Zeuske auf ihre Spur kam. Hier gewinnt der Leser einen Einblick in den Forschungsprozess selbst, denn der Autor entdeckte irgendwann, dass die Formel s.o.a. = sin otro apellido (ohne weiteren Namen), die sich hinter vielen Namen findet, einen ehemaligen Sklaven kennzeichnete. Denn der im spanischen übliche zweite Nachname fehlte bei den Sklaven, die meist "unehelich" geboren wurden (472 ff.). Damit wurde die Abkürzung s.o.a. zur Chiffre für Sklave, woran sich ein nachabolitionistischer Rassismus hängen konnte, der nicht wie in den USA offen daherkam, sondern versteckt, weil die ehemaligen Sklaven die meisten Kämpfer für die Unabhängigkeit Kubas von Spanien gestellt hatten und man sie darum nicht ohne weiteres ausgrenzen konnte, nachdem die Republik Kuba 1902 erst einmal gegründet war. Dieser hochkomplexe Prozess von Chiffrieren und Verschweigen prägte die Geschichte Kubas bis weit in das 20. Jahrhundert hinein.
Das ganze Buch ist von Zeuskes Grundansatz geprägt, die Menschen als die Gestalter ihrer Geschichte zu sehen, sodass die Sklaven nicht als die wehr- und hilflosen Opfer europäischer Ausbeuter auftreten, sondern von Anfang an ihre Geschichte mitgestalteten. So weist Zeuske darauf hin, wie früh bereits die ersten Gruppen von cimarrones, flüchtigen Sklaven, in den Quellen auftauchten und teilweise mit indianischen Gruppen verschmolzen - auch hier bricht er ethnische Essentialismen und eindeutige Zuschreibungen auf (82 ff.). Die kulturellen Antworten der Sklaven auf ihre Situation nimmt in der Darstellung breiten Raum ein, von der Festkultur über die Religion, von der Erfindung eines mythischen Afrika (272) bis hin zur Literatur (368 u. 373 ff.) und zu den sozialen wie militärischen Organisationsformen der Sklaven (247ff.). So finden sich Ausführungen zu Männern und Frauen im System der Sklaverei, zu den Problemen alter Menschen, zu Ernährungsgewohnheiten und Kleidung (241 f.), zu Sprache und Familie. Zeuske zeigt, wie viel afrikanische Kultur trotz des Anpassungsdrucks und der alltäglichen Repression überleben konnte und wie stark afrikanische Religiosität das kubanische und karibische Christentum prägte (295 ff.). Zudem waren, wie Gerichtsakten zeigen, Sklaven als Rechtssubjekte durchaus vorhanden (146). Allerdings warnt Zeuske zu Recht vor einer Verharmlosung und Verniedlichung der Sklaverei, wenn man gar zu sehr die Kultur in den Vordergrund schiebt und die Handlungsautonomie von Sklaven überbetont, denn Sklaverei war ein "entsetzliches, unterdrückendes, entehrendes und demoralisierendes System", was man nicht aus den Augen verlieren dürfe (261).
So wie Kuba für Zeuske als Zentrum der schwarzen Karibik fungiert, während Jamaika nur eine Art kubanischer Hinterhof war, widmet er sich zeitlich in erster Linie dem 18. und 19. Jahrhundert, als Kuba in einer Art verspäteter Modernisierung zu den Zuckerökonomien der anderen Antillen aufschloss. Ein Schlüsselereignis war die Revolution auf St. Domingue (Haiti), die für die weitere Entwicklung der Region entscheidend war (157 ff.). Denn die permanente Angst der Sklavenhalter und Plantagenbesitzer vor einer Wiederholung dieser blutigen Sklavenrevolution (172) prägte die weitere Politik auf Kuba, etwa die grausame Repressionswelle im 19. Jahrhundert, in deren Verlauf hunderte völlig unschuldiger Menschen der Paranoia der herrschenden Klasse zum Opfer fielen. Dagegen exportierten weiße Flüchtlinge die besonders intensive Sklavereikultur nach Kuba und in die USA (184). In die strukturgeschichtlichen Ausführungen sind immer wieder Einzelschicksale eingewoben, die der Darstellung ihre Lebensnähe geben. Zeuske befasst sich auch mit der Geschichte der karibischen Intellektuellen und hebt die Beiträge von Alexander von Humboldt zu den Diskussionen und Selbstverständnis-Prozessen der lokalen Eliten hervor (337 ff.). Schließlich weist er auch auf die Kontinuitäten des Plantagenkomplexes hin, die Fortsetzung von Sklaverei im System der Vertragsarbeit, für das Chinesen nach Kuba kamen (390 ff.).
Die Kritik des Rezensenten richtet sich weniger auf Methoden und Erklärungen, sondern auf die fehlende Kontextualisierung, die dieses Buch für Laien schwer erschließbar macht. Denn die Aufsätze, die diesem Buch offenbar zu Grunde lagen, richteten sich an ein Fachpublikum und führen verschiedentlich zu Wiederholungen und zu einer chronologischen Unübersichtlichkeit in manchen Kapiteln. Wünschenswert wäre eine Glättung gewesen, die durch eine stärkere Orientierung an der Chronologie Redundanzen vermieden und dem nicht-initiierten Leser einen Weg durch das zuweilen schwer durchschaubare Dickicht der kubanischen Geschichte hätte weisen können.
Michael Zeuske hat mit seinem dritten Buch zur Geschichte Kubas diese "Insel der Extreme", wie eines seiner anderen Bücher betitelt ist, auf die historiografische Landkarte im deutschsprachigen Raum gesetzt. Seine Forschungen haben international zu einem erheblichen Zuwachs an Wissen über die schwarze Karibik beigetragen. Dieses Buch ist in seiner Detailfülle ein weiterer wichtiger Beitrag, es fordert zu Vergleichen heraus, hätte aber durch eine bessere Strukturierung ein noch breiteres Publikum jenseits der Fachwissenschaft erreichen können.
Christoph Marx