Michael Parak: Hochschule und Wissenschaft in zwei deutschen Diktaturen. Elitenaustausch an sächsischen Hochschulen 1933-1952 (= Geschichte und Politik in Sachsen; Bd. 23), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, 555 S., ISBN 978-3-412-14504-0, EUR 59,90
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Innerhalb der Forschungen zur Hochschul- und Wissenschaftspolitik im 20. Jahrhundert gewinnt zunehmend der historische Vergleich und insbesondere der Diktaturvergleich an Bedeutung. Michael Parak vergleicht nun die Hochschulpolitik des Nationalsozialismus mit der hochschulpolitischen Konzeption und Praxis in der SBZ / DDR im Land Sachsen bis 1952. Als lokalen Untersuchungsgegenstand hat er sich die Universität Leipzig, in der 1945 die Handelshochschule Leipzig aufging, die Technische Hochschule Dresden und die Bergakademie Freiberg gewählt. Das erscheint durchaus sinnvoll, verspricht doch gerade der sektorale Diktaturvergleich Forschungsergebnisse, die eine tiefer gehende Gesellschaftsanalyse beider Systeme ermöglichen. Insbesondere der von ihm angewandte personengeschichtliche Zugang macht Reichweite und Grenzen des Anspruchs beider Systeme auf totalitäre Durchdringung und Beherrschung der Gesellschaft sichtbar.
Parak beschreibt detailliert und faktenreich die Organisation des Hochschulwesens und den Austausch der akademischen Eliten in den genannten Universitäten im Nationalsozialismus und in der SBZ / DDR. Für die Jahre nach 1933 kann er am Beispiel der Tätigkeit der staatlichen Hochschulverwaltungen nachweisen, wie es Staats- und Parteiinstanzen gelang, Hochschulautonomie und Selbstverwaltung der Universitäten einzuschränken. Hierzu trug vor allem die Einrichtung zentraler Institutionen wie des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (1934) bei. Herausgearbeitet wird aber auch, dass der Herrschaftsanspruch des Reichsministeriums nicht in Gänze verwirklicht werden konnte und es nicht gelang, die akademische Selbstverwaltung völlig zu beseitigen.
Für die Zeit nach 1945 analysiert Parak die erneuten Zugriffe von Staats- und Parteiorganen auf die akademische Selbstverwaltung, nachdem zunächst Elemente der Hochschulautonomie in der SBZ wieder reaktiviert worden waren. Seine Untersuchung stützt den bisherigen Wissensstand über die SED-Hochschulpolitik: Nachdem für die ersten Jahre noch Handlungsspielräume für die Hochschulen erkennbar waren, führten die staatlichen Eingriffe der Verwaltung für Volksbildung und insbesondere die Interventionen des 1951 im Rahmen der zweiten Hochschulreform gegründeten Staatssekretariats für Hochschulwesen Anfang der Fünfzigerjahre zur weitgehenden Beseitigung der Universitätsautonomie. So war es für die Aushebelung der akademischen Selbstverwaltung kennzeichnend, dass ihre Organe zwar äußerlich weiterbestanden, doch durch die Änderung ihrer Funktions- und Arbeitsweise ihren eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllen konnten. Anfang der Fünfzigerjahre sieht Parak keine Hochschullandschaft im eigentlichen Sinne mehr, sondern lediglich ein zentral geplantes und gesteuertes Hochschulsystem, das den einzelnen Hochschulen und Universitäten bezüglich ihrer Fachrichtungen Funktion und Aufgaben zuwies.
In den umfangreichsten Kapiteln hat Parak die lokalen Vorgänge des Elitenaustauschs an den sächsischen Universitäten und Hochschulen detailliert rekonstruiert. Als Grundlage für seinen personengeschichtlichen Ansatz dient ihm eine biografische Datenbank, in der die von 1933 bis 1952 an der Universität Leipzig, der Handelshochschule Leipzig, der Technischen Hochschule Dresden und der Bergakademie Freiberg lehrende Professorenschaft und die Dozenten erfasst wurden. Die quantitative und qualitative Auswertung des Materials zeigt, wie Hochschullehrer im Rahmen der 1933 und 1945 vollzogenen Systemwechsel durch staatliche Eingriffe die Zerstörung von Berufskarrieren und Lebensentwürfen erdulden oder Einschnitte in ihre Universitätslaufbahn hinnehmen mussten. Andere konnten deutliche Karriereschübe für sich verbuchen.
Parak bezeichnet diese Vorgänge zu Recht als Elitenaustausch, der aber durch den Zwang zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit der Lehr- und Forschungsstätten begrenzt wurde. Zudem entwickelten die Fakultäten ein relativ großes Maß an Beharrungskräften gegenüber personalpolitischen Zumutungen der Hochschulbehörden. An konkreten Beispielen auf verschiedenen institutionellen Ebenen gelingt der Nachweis, wie die Absicht der politischen Führungen nach 1933 und nach 1945, die Herausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses nach politischen und sozialen Kriterien steuern zu wollen, umgesetzt wurde und dabei Konflikte zwischen Politik und Hochschule entstanden. Auf der personengeschichtlichen Ebene wird das Spannungsverhältnis von totalitärem Herrschaftsanspruch und den Eigengesetzen des akademischen Milieus besonders augenscheinlich.
Problematisch ist die Aussage Paraks in seiner Zusammenfassung über Hochschule und Wissenschaft in beiden Diktaturen, dass es für die Jahre von 1933 bis 1952 ein Primat der Politik bis in die Lehr- und Forschungsinhalte gegeben habe, das zu generellen Eingriffen in die Freiheit der Wissenschaft führte (457). Hier wäre eine Präzisierung für die Bereiche Lehre (Lehr- und Studienpläne, Zugangsregeln, Studienordnung) sowie Forschung zweckmäßig gewesen. Für eine generelle Aussage zur Einschränkung der Forschungsfreiheit sind die Belege - und zwar für beide Diktaturen - nach Ansicht des Rezensenten nicht ausreichend, zumal dabei in keiner Weise zwischen einzelnen Wissenschaftsdisziplinen differenziert wird. Um eine solche Verallgemeinerung vornehmen zu können, wäre eine Untersuchung notwendig, die den Fortbestand oder gar die Veränderung des kognitiven Fundaments der einzelnen Disziplinen zu prüfen hätte. Derartiges kann die Untersuchung Paraks, die sich nicht als disziplinäre Universitätsgeschichte versteht, sondern vordergründig die staatlichen Rahmenbedingungen und vor allem die Personalpolitik der Hochschulverwaltungen im Blick hat, nicht leisten, doch wäre eine stärkere Differenzierung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften hilfreich gewesen.
Die Vernachlässigung von Spezifika einzelner Wissenschaftsdisziplinen führt mitunter zu Unschärfen, wenn Parak Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Hochschulpolitik der beiden deutschen Diktaturen bilanziert. So kann beispielsweise von der Medizin eben nicht behauptet werden, dass es nach 1945 eine geringere personelle Kontinuität im Vergleich zu den ersten Jahren der NS-Herrschaft gab, wenn man die politischen Rehabilitierungen und die daraus folgenden Wiedereinstellungen der Jahre 1947 und 1948 berücksichtigt.
Eine der Stärken des Bandes liegt zweifelsfrei in der Darstellung der Organisation der Hochschulverwaltung auf zentraler sowie auf Landesebene und ihrer Wirkungsmacht an den sächsischen Hochschulen auf dem Feld der Personalpolitik. Die von ihm präsentierten Erkenntnisse über die Durchsetzung diktatorischer Herrschaftsansprüche im Sektor Hochschule und Wissenschaft können dem Diktaturvergleich neue Impulse geben. In dieser Beziehung kann die Arbeit von Parak sicherlich als außerordentlich verdienstvoll bezeichnet werden.
Andreas Malycha