Martin Sabrow / Susanne Schattenberg (Hgg.): Die letzten Generalsekretäre. Kommunistische Herrschaft im Spätsozialismus (= Kommunismus und Gesellschaft; Bd. 8), Berlin: Ch. Links Verlag 2018, 279 S., 20 s/w-Abb., ISBN 978-3-96289-028-5, EUR 30,00
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Der vorliegende Band vereint zehn biographische Skizzen über kommunistische Parteiführer aus Ostmittel- und Osteuropa, die zumeist durch den gewaltsamen Sturz ihrer Vorgänger ins Amt kamen, noch in den 1970er bzw. 1980er Jahren - mit einigen Ausnahmen - an der Spitze der Partei standen und die finale Krise kommunistischer Parteiherrschaft erlebten. Es handelt sich um Beiträge von Marc Halder über Josip Broz Tito, Tom Junes und Elitza Stanoeva über Todor C. Schiwkow, János M. Rainer über János Kádár, Susanne Schattenberg über Leonid I. Breschnew, Stefano Bottoni über Nicolae Ceauşescu, Michal Pullmann über Gustáv Husák, Marcin Zaremba über Edward Gierek, Martin Sabrow über Erich Honecker, Marek Jeziński über Wojciech Jaruzelski sowie Jan C. Behrends über Michail S. Gorbatschow. Der Umstand, dass mit Tito (bis 1980), Gierek (bis 1980), Breschnew (bis 1982), Husák (bis 1987) sowie Kádár (bis 1988) auch Generalsekretäre in den Band aufgenommen wurden, die 1989 nicht mehr im Amt waren, stimmt zwar mit dem Titel des Bandes nicht überein. Deren Lebensläufe halten die Herausgeber jedoch zu Recht für unverzichtbar, um den inneren Erosionsprozess zu illustrieren, die die kommunistischen Parteien innerhalb von zwei Jahrzehnten erlebten und der in den Niedergang und schließlich in den Zusammenbruch der kommunistischen Systeme mündete.
Mit dem von Moskau erzwungenen oder geduldeten Wechsel der jeweiligen Parteiführer verband sich die trügerische Hoffnung, die kriselnde diktatorische Parteiherrschaft stabilisieren zu können. Daher traten die "letzten Generalsekretäre" mit der Ankündigung ihr Amt an, den Lebensstandard und die Lebensqualität der Bevölkerung deutlich anzuheben. Insofern wurde etwa der "Konsumsozialismus" in der DDR, der "Gulaschkommunismus" in Ungarn oder der "Bigos-Sozialismus" in Polen nicht nur zu einem politischen Slogan ihrer Amtszeit, sondern zu einer zentralen politischen Legitimation der kommunistischen Herrschaft. Zwar konnte das System durch eine exzessive Konsumpolitik wie in der DDR in den 1970er Jahren zeitweilig stabilisiert werden, doch trieb die damit verbundene Devisenverschuldung den ökonomischen Niedergang voran. Die Wohlstandsversprechen der kommunistischen Parteiführer konnten während ihrer Amtszeit nicht annähernd eingelöst werden. Der Band zeigt, wie hilflos die jeweiligen Generalsekretäre auf den Verlust ihrer Herrschaftslegitimation reagierten und wie selbst in den Reihen der kommunistischen Staatsparteien der Glaube an eine bessere Zukunft sukzessive verloren ging.
Die einzelnen Beiträge veranschaulichen zwar unterschiedliche Herrschaftsstile der jeweiligen Parteichefs. Sie verdeutlichen aber auch gemeinsame Handlungsmuster, um die Macht an der Spitze der Partei gegen rivalisierende Funktionäre zu verteidigen. Schließlich werden Netzwerke und Kommunikationsstrukturen auf der Führungsebene der jeweiligen Partei sichtbar gemacht. Obgleich sich der Politikstil sowie der jeweilige Habitus der kommunistischen Generalsekretäre unterschieden, zeigt der Band insgesamt eindrucksvoll, wie die traditionell stalinistisch geprägten Herrschaftspraktiken und der notgedrungene Pragmatismus im Zeichen der Krise zu einer typischen Herrschaftsstruktur des "Spätsozialismus" verschmolzen. Am Ende ging es den "letzten Generalsekretären" angesichts der schwindenden Legitimationsbasis nur noch um den eigenen Machterhalt.
Neben diesen Gemeinsamkeiten werden in dem Band auch Unterschiede und Sonderwege der einzelnen Nationen sichtbar. Dies trifft insbesondere auf Rumänien zu, wo der Sturz des Regimes im Unterschied zu anderen ostmittel- und osteuropäischen Länder gewaltsam erfolgte. Rumänien wurde im Dezember 1989 von einem Bürgerkrieg zwischen "Loyalisten" und "revolutionären Truppen" erschüttert, in dem ca. 1000 Zivilisten und Soldaten ums Leben kamen. Der Bürgerkrieg endete erst mit der Hinrichtung des Ehepaars Ceauşescu am 25. Dezember 1989. In Rumänien entstand nach dem Sturz des Diktators auch kein demokratisch-parlamentarisches System.
Eine weitere Besonderheit des rumänischen Falles besteht darin, dass es nach Einschätzung des Autors Stefano Bottoni 30 Jahre später eine Art Renaissance des früheren Diktators gibt. Er erklärt dieses Phänomen mit dem korrupten und opportunistischen Wirken der Politiker während der Jahre nach der Diktatur, das für Millionen von Rumänen kaum Raum für Zukunftsperspektiven ließ. In dieser Hinsicht gibt es auch Anknüpfungspunkte an die Gegenwartskritik in den anderen ostmittel- und osteuropäischen Ländern. So bleibt nach der Lektüre des Bandes die Erkenntnis, dass das Verhältnis von Systembrüchen und Kontinuitäten in den Jahren seit 1990 Gegenstand einer unaufgeregten, vom nationalen Pathos befreiten und sachlichen Geschichtsforschung in diesen Ländern werden sollte.
Gewiss wären zusammenfassende Bemerkungen zu den zahlreichen Fragen, die in der Einleitung von den Herausgebern Martin Sabrow und Susanne Schattenberg formuliert werden, hilfreich gewesen. Insbesondere mit Blick auf die andersartigen, auch national geprägten Herrschaftskulturen hätte ein abschließendes Resümee etwa die Frage plausibler beantworten können, ob unterschiedliche kulturelle und milieuspezifische Prägungen der kommunistischen Parteiführer tatsächlich zu unterschiedlichen Herrschaftsstilen beitrugen. Ebenso muss das Fehlen eines Literaturverzeichnisses kritisch angemerkt werden.
Alles in allem sind die in dem Band versammelten Lebensläufe der kommunistischen Parteiführer äußerst lesenswert, aufschlussreich und regen zur tiefergehenden Lektüre an. Die Skizzen tragen zum tieferen Verständnis nicht nur der zentralen Stützen kommunistischer Parteiherrschaft, sondern auch jener Faktoren bei, die zu gesellschaftlichen Umbrüchen und schließlich zum Sturz von kommunistischen Diktaturen führten.
Andreas Malycha