Michaela Bachem-Rehm: Die katholischen Arbeitervereine im Ruhrgebiet 1870-1914. Katholisches Arbeitermilieu zwischen Tradition und Emanzipation (= Konfession und Gesellschaft. Beiträge zur Zeitgeschichte; Bd. 33), Stuttgart: W. Kohlhammer 2004, 278 S., ISBN 978-3-17-018365-0, EUR 30,00
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Die vorliegende Dissertation von Michaela Bachem-Rehm wurde an der Universität Essen bei Wilfried Loth erstellt. Sie fügt sich damit in eine Reihe von Forschungen zur Geschichte des deutschen Katholizismus im Kaiserreich ein. Davon ist ihr methodischer Zugang geprägt. Es geht der Autorin um den Aufweis der Bedeutung katholischer Arbeitervereine in der Zeit zwischen der Reichsgründung und dem Ersten Weltkrieg. Ihre innere Struktur und ihr Verhältnis zu Staat (Kulturkampf) und Sozialdemokratie sind Thema der Studie, die damit das Pendant zu der in derselben Reihe erschienenen Untersuchung über die erste katholische Ruhrgebiets-Gewerkschaft von Claudia Hiepel darstellt. [1]
Die heute als Ruhrgebiet bezeichnete Region Nordrhein-Westfalens hatte ihren "take off" erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Entstehung industrieller Großbetriebe im Bergbau und in der Eisenindustrie. Durch den Zuzug von Arbeitern veränderte sich auch die Konfessionsstruktur. Mit dem religiösen Aufbruch fiel im Ruhrgebiet die Konfliktlinie zwischen überwiegend protestantischen Unternehmern und katholischen Arbeitern zusammen. Das Vereinswesen konzentrierte sich zunächst auf die traditionellen Berufsgruppen, für die Gesellen- und Knappenvereine gegründet wurden.
Der gescheiterte Streik im Essener Steinkohlenrevier 1872 war ein Schlüsselereignis. Die Streikenden wurden in die Kulturkampf-Polemiken hineingezogen. Unterstützt wurden sie von jüngeren Geistlichen und dem 1872 als Massenbasis gegründeten Mainzer Katholikenverein, der durch die Organisation großer Versammlungen im Rheinland und in Westfalen die Infrastruktur bereitete, selbst jedoch einer restriktiven Auslegung des preußischen Vereinsgesetzes von 1850 unterlag. In den Kulturkampfjahren entwickelte sich in den Industriestädten Aachen und Essen unter Führung so genannter "roter Kapläne" eine christlich-soziale Bewegung. Der 1870 gegründete Christliche Arbeiterverein Essens konnte erste Erfolge im Kampf gegen die aufkommende Sozialdemokratie erzielen und 1877 sogar mit Gerhard Stötzel dem ersten Arbeitervertreter zu einem Sitz im Reichstag verhelfen. Nach dem Attentat auf Bismarck 1874 wurden die christlichen Arbeitervereine schärfer überwacht, weil man sie zu den politischen Vereinen rechnete. Eine Verschärfung des Vereinsgesetzes war jedoch politisch nicht durchzusetzen. Doch insgesamt, so das Fazit der Autorin, befand sich das katholische Vereinswesen in den 1870er-Jahren "in einem vakuumähnlichen Zustand" (91).
Nach dem Pontifikatswechsel 1878 kam es zu einer Neustrukturierung der christlichen Arbeiterbewegung unter konfessionellen Vorzeichen. Der Unternehmerverband "Arbeiterwohl" machte den Anfang. Die berühmte Rede Franz Hitzes auf dem Amberger Katholikentag 1884 gab den Startschuss zu einer Gründungswelle von katholischen Arbeitervereinen, die gerade im Ruhrgebiet eine stark antiprotestantische Spitze zeigten. Christliche Bürgervereine wurden nun in Arbeitervereine umgewandelt, jeweils mit einem Geistlichen als Präses an der Spitze. Trotz dieser Klerikalisierung dürfen allerdings, wie Bachem-Rehm überzeugend herausarbeitet, "die Grenzen der priesterlichen Macht und die Einflussmöglichkeiten der Vereinsmitglieder" (112) nicht übersehen werden.
Das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts brachte mit der Gründung des Mönchengladbacher Volksvereins für die katholische Arbeiterbewegung die Möglichkeit zur Professionalisierung. Über die Volksbüros wurde eine neue Elite der Arbeiterschaft herangebildet. Ihre Initiative, in den Arbeitervereinen Fachabteilungen als Gegengewicht gegen eine starke sozialdemokratische Gewerkschaftsbewegung zu gründen, führte ab 1894 zur Gründung eigener christlicher Gewerkschaften, die interkonfessionell strukturiert waren. Diese Ausrichtung machte sie für die staatlichen Behörden als Gegengewicht gegen die Sozialdemokratie interessant. Die Erfolge unter den Arbeitern steigerte aber auch das Selbstbewusstsein der in Gewerk- oder Arbeitervereinen organisierten Mitglieder. Bei Streitigkeiten zwischen Vereinen und den in ihnen tätigen Geistlichen zogen Letztere nicht selten den Kürzeren und mussten Abberufung oder Versetzung seitens der bischöflichen Behörden in Kauf nehmen.
Die Erfolge der SPD bei den Reichstagswahlen 1903 forderten auch die katholischen Arbeitervereine heraus. Stagnierende Mitgliederzahlen und mangelnde Professionalisierung durch zu wenige hauptamtliche Arbeitersekretäre führten zur Zentralisierung. In den 1890er-Jahren wurden in Köln, Münster und Paderborn Diözesanverbände gegründet als Vorstufen für den 1904 errichteten "Verband katholischer Arbeitervereine Westdeutschlands", dessen Organ die 1899 gegründete "Westdeutsche Arbeiter-Zeitung" (WAZ) war und der sich 1911 zum "Kartellverband katholischer Arbeitervereine West-, Süd- und Ostdeutschlands" erweiterte. Die Entwicklung in den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg wird von Bachem-Rehm mit den Stichworten "Organisation, Agitation, Koordination" (177) treffend charakterisiert. So sehr nach wie vor ein Grundproblem der Arbeitervereine ihre staatlicher- und kirchlicherseits gewünschte Entpolitisierung war, so war ein patriotischer Zug doch nicht zu übersehen. Politische Enthaltsamkeit und nationale Zuverlässigkeit schlossen sich nicht aus.
Unter dem Stichwort "Defensive" (191) beschreibt Bachem-Rehm abschließend sechs Probleme, denen sich die katholischen Arbeitervereine ausgesetzt sahen. Die Stagnierung der Mitgliederzahlen war ein Rekrutierungsproblem jüngerer Arbeiter und vor allem mangelnder Koordination bei der Gewinnung zugezogener Katholiken. Zudem konkurrierten die Arbeitervereine kirchenintern mit den Gesellenvereinen um die Gewinnung der Jugendlichen für ihre Organisationen. Hemmend wirkte sich der "Gewerkschaftsstreit" aus, in dem die Bischöfe von Breslau und Trier, Kopp und Korum, die Existenz interkonfessioneller christlicher Gewerkschaften unterbinden und rein katholische Organisationen durchsetzen wollten. Zwar konnte ein Verbot der christlichen Gewerkschaften abgewendet werden, doch erholten sich die Verbände von den internen Auseinandersetzungen nicht mehr. Auch in der Auseinandersetzung mit den von Arbeitgeberseite geförderten "gelben Werkvereinen" reagierte die christliche Arbeiterbewegung zu spät. Die parallele Organisierung katholischer Arbeiterinnen kam auch nur zögernd in Gang. Zu spät wurde schließlich erkannt, dass die katholischen Vereine der polnischen Zuwanderer zu Gunsten nationaler weltlicher Vereine an Bedeutung verloren.
So muss Bachem-Rehm am Ende ein zwiespältiges Ergebnis vorlegen. Nach einer Phase des in Konfrontation gestärkten Aufbruchs der katholischen Arbeitervereine war am Vorabend des Ersten Weltkriegs ihre große Zeit vorbei. Vielleicht hatte auch, wie in Weiterführung der Arbeit vermutet werden kann, eine zu starke Professionalisierung und Organisation den Blick auf kurzfristige Entwicklungen verstellt und rasche Reaktionen verunmöglicht.
Für die Forschungen zum katholischen Milieu liegt mit der Studie Michaela Bachem-Rehms ein weiterer Baustein vor. Die Autorin zeigt die Reichweite, aber auch die Grenzen der Organisation des Milieus auf. Die Konfliktlinien zu den Arbeitgebern, zum Staat, zur sozialdemokratisch organisierten Arbeiterschaft, aber auch zu den kirchlichen Behörden werden deutlich benannt und charakterisiert. Am Ende zeigte sich jedoch, dass die Emanzipation der katholischen Arbeiterschaft an eine Grenze gekommen war. Die immer wieder vertretene These, dass die katholische Kirche im 19. Jahrhundert die Arbeiter verloren habe, kann nach Bachem-Rehms Arbeit differenziert beantwortet werden: Es gab bis zur Jahrhundertwende beachtliche Erfolge in der Organisation katholischer Arbeiter. Am Beginn des Ersten Weltkriegs freilich hatte die katholische Arbeiterbewegung ihren Zenit überschritten. Die von ihr vertretenen Inhalte, so das Schlussfazit der Autorin, fanden in die Sozialstaatsgesetzgebungen bis in die Zeit der Bundesrepublik Eingang.
Anmerkung:
[1] Claudia Hiepel: Arbeiterkatholizismus an der Ruhr. August Brust und der Gewerkverein christlicher Bergarbeiter (= Konfession und Gesellschaft, Bd. 18), Stuttgart 1999.
Joachim Schmiedl