"Edle Faltenwürfe, abentheuerlich bemalt ...". Die Turmvorhalle des Freiburger Münsters. Untersuchung und Konservierung der Polychromie (= Landesdenkmalamt Baden-Württemberg. Arbeitsheft; 17), Stuttgart: Theiss 2004, 184 S., ISBN 978-3-8062-1944-9, EUR 25,00
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Claudia Lichte / Heribert Meurer (Bearb.): Die mittelalterlichen Skulpturen. 2. Stein- und Holzskulpturen 1400-1530. Ulm und südliches Schwaben, Ostfildern: Thorbecke 2007
Die Skulpturen der Turmvorhalle des Freiburger Münsters nehmen in der Geschichte der Bildhauerkunst der Jahrzehnte um 1300 einen besonderen Rang ein. Erst in den vergangenen Jahren hat dieses Ensemble zunächst durch die Dissertation von Dieter G. Morsch über 'Die Portalhalle im Freiburger Münsterturm' [1], und dann durch die aufwändige Restaurierung und Konservierung unter der Leitung des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg wieder verstärkte Beachtung gefunden. Lange Zeit war es erstaunlich ruhig gewesen um diesen Skulpturenzyklus wie überhaupt um die Bau- und Ausstattungsgeschichte des Freiburger Münsters. Noch immer besteht hier ein großer Nachholbedarf. Fragt man nach den Ursachen für diesen Stillstand im Hinblick auf die Portalvorhalle, wird man als einen wichtigen Faktor die Ausmalung des späten 19. Jahrhunderts durch Fritz Geiges ausmachen können, die zwar als Leistung des Historismus eine eigenständige Würdigung verdient, aber doch die Analyse der mittelalterlichen Substanz und ihrer Veränderungen erschwert.
Die in den Jahren 1999 bis 2004 durchgeführten konservatorischen und restauratorischen Maßnahmen boten die Gelegenheit zu einer umfassenden Untersuchung der vorhandenen Substanz. Die rekordverdächtig schnelle Präsentation der Ergebnisse ist umso mehr zu begrüßen, wenn man bedenkt, dass zahlreiche andere Projekte von großer Relevanz für die Bewertung der mittelalterlichen Skulptur bislang nicht hinreichend publiziert sind. Versucht man nun vorab Erwartungen aus der Perspektive des Mittelalter-Kunsthistorikers zu formulieren, so ist zuallererst nach dem ursprünglichen farbigen Erscheinungsbild der Vorhalle, auch im Vergleich zu anderen Ensembles, zu fragen.
Bei der Lektüre wird schnell klar, dass die vorliegende Publikation die Erwartungen nur teilweise befriedigen kann. Dies liegt zum Teil sicher daran, dass man sich für die Veröffentlichung nur wenig Zeit gegönnt hat. In einer Zeit leerer Kassen und zunehmender Akzeptanzprobleme der Denkmalpflege in der Öffentlichkeit mag es durchaus geboten sein, Projekte zeitnah zu publizieren. Mit etwas mehr Zeit wäre es aber möglich gewesen, die zahlreichen Befunde und Überlegungen stringenter zu ordnen und anschaulicher aufzubereiten. Zudem hätte man sich gewünscht, dass manche Fragestellung präziser gefasst oder vor der Publikation sorgfältiger entwickelt worden wäre. So müssen die kunstgeschichtlich relevanten Informationen mühsam aus den einzelnen Beiträgen herausgefiltert werden.
Bereits der Untertitel verrät, dass sich der Band in erster Linie mit der Untersuchung und Konservierung der Polychromie beschäftigt. Dementsprechend setzt sich die Mehrzahl der Beiträge mit den Fragen der aktuellen Konservierung und Restaurierung des Vorhallenensembles auseinander. Johanna Quatmann stellt in Form eines Berichtes die Quellen- und Literaturhinweise zur Farbigkeit des Portals vor (19-54). Hier vermisst man vor allem einen Verweis auf die Dissertation von Friedrich Kobler. [2] Gleich mehrere Beiträge haben das denkmalpflegerische Konzept und seine detaillierte Umsetzung zum Thema (insbesondere 103-142).
Hier soll besonders auf den Beitrag von Andrea Zurl zu den älteren Fassungsbefunden hingewiesen werden (67-82). Auf der Basis der jüngsten Untersuchungen ergibt sich leider kein zusammenhängendes Bild der ursprünglichen Polychromie der Freiburger Vorhalle. Bei der Untersuchung hat man sich auf zerstörungsfreie Untersuchungsmethoden beschränkt, das heißt, dass an bereits vorhandenen Ausbruchstellen gezielte Beobachtungen vorgenommen wurden. Im Hinblick auf die mittelalterliche Fassung ist festzustellen, dass Farbreste nur noch partiell vorhanden sind und obendrein zum Teil nicht mehr feststellbar ist, zu welcher Phase diese Reste gehören. Offenbar hat man vor einer Neufassung den Untergrund gereinigt und dabei die vorhandenen Farbschichten zum Teil entfernt. Direkt auf dem Stein wurde eine rosafarbene, zum Teil bräunliche Schicht nachgewiesen. Die Autorin vermutet, dass es sich um eine Art Grundierung handelt, um eventuelle Schwankungen in der Steinfarbigkeit auszugleichen (69). Hier wäre zu fragen, ob es andernorts ähnliche Beobachtungen gibt.
Die weiteren Befunde ergeben kein zusammenhängendes Bild. Immerhin zeigt sich, dass die mittelalterliche Farbigkeit zumindest in Teilen deutlich von der heutigen abwich. So konnte beispielsweise festgestellt werden, dass die Archivoltenfiguren von einem kräftig blauen Band hinterlegt waren (71). Die Figuren selbst scheinen ursprünglich eine im Vergleich zu heute umfangreichere Vergoldung besessen zu haben. Die Säulen der Gewände hatten wohl goldene Schaftringe. Der Hintergrund des Tympanons war kräftig blau gefasst, und die Trumeaumadonna hatte einen auf der Außenseite blauen Mantel mit goldenem Saum.
Erwähnenswert ist auch der Beitrag von Eberhard Grether 'Zur Farbigkeit am Freiburger Münster' (143-154), der die in den vergangenen Jahren im Rahmen weiterer Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen durchgeführten Untersuchungen vorstellt: Interessant sind beispielsweise die Befunde im Chorumgang (143 f.), wo als erste Farbfassung ein dünner, hell rotfarbener Anstrich gefunden wurde, der sich an die Farbigkeit des Sandsteins anlehnt. Dieser überdeckte auch die Quaderfugen. Erst anschließend malte man in einem getönten Weiß ein Fugensystem auf. Derselbe Farbton wurde für die Gewölbeflächen verwendet, die sich so von den Wänden abhoben. Andere Beobachtungen bedürfen weiterer Präzisierung. So konnten bei Untersuchungen am spätromanischen Nikolausportal des Südquerhauses vier übereinander liegende Farbfassungen nachgewiesen werden (148 f.), deren genaue zeitliche Einordnung aber noch aussteht. Zudem war die Nikolausfigur von weiteren gemalten Figuren umgeben.
Welch enormes Potenzial für die Erforschung der mittelalterlichen Steinskulptur die Auswertung der bereits vorhandenen Befunde bietet, verdeutlicht Otto Wölbert in seinem Beitrag. Darin stellt er eine beeindruckende Folge jüngerer Untersuchungen vor, die zumeist noch nicht ausreichend publiziert oder ausgewertet sind. Dazu zählen so prominente Beispiele wie das Konstanzer Heilige Grab, das Südquerhausportal der Stiftskirche Wimpfen im Tal, die Turmvorhalle der Schwäbisch Haller Michaelskirche, die Portale der Esslinger Frauenkirche und des Schwäbisch Gmünder Heilig-Kreuz-Münsters sowie der Rottweiler Kapellenturm. Dieses Panorama allein an Beispielen aus Baden-Württemberg zeigt, dass eine übergreifende Studie zur Farbigkeit spätmittelalterlicher Portale und Steinskulpturen überfällig ist. Oft handelt es sich zwar nur um Detailbefunde, aber mitunter hat sich die ursprüngliche Polychromie in überraschender Qualität erhalten, wie am Tympanon der Wimpfener Stiftskirche (Abb. auf 167).
So ist es durchaus erstaunlich, dass Otto Wölbert Unkenntnis und Nichtbeachtung der Steinskulpturen und ihrer Farbigkeit bis in jüngste Zeit beklagen kann. Er liefert jedoch einen Teil der Antwort gleich mit, indem er bemerkt, dass die gesammelten Ergebnisse allzu oft in den Archiven schlummerten (156). Diesen Umstand kann man weder Restauratoren noch Denkmalpflegern anlasten, lässt doch der denkmalpflegerische Alltag in der Regel kaum die Zeit für umfangreichere Forschungsprojekte. Die großteils schwierige Befundlage hat dazu geführt, dass die Mehrzahl der Kunsthistoriker bis heute einen Bogen um dieses Thema machen. Wölbert bemerkt auch, dass es dem Bemühen der Restauratoren obliegen würde, "den meist nur geringen Fassungsresten am Objekt Geltung zu verschaffen und die Befunde zu sammeln, zu dokumentieren und sie so der kunsthistorischen Forschung zuzuführen" (ibid.). Hier hätte die vorliegende Publikation durchaus einen Schritt weiter gehen können. Über weite Strecken geraten weiterführende Fragestellungen beziehungsweise mögliche Schnittstellen zur kunstgeschichtlichen Forschung gar nicht in Sicht. Dabei hätte die vorliegende Studie auf jüngste Bemühungen aufbauen können, welche die zum Teil disparaten Ergebnisse in Form von Kolloquien zusammenzutragen versucht haben. [3] Bislang fehlt aber weithin der Versuch, die Ergebnisse auf einer breiteren Basis für die kunsthistorische Argumentation nutzbar zu machen. Detlev Knippings Aufsätze in den genannten Bänden bilden bislang meines Wissens die einzige Ausnahme.
Einer eigenen Erwähnung wert sind die zum Teil hervorragenden Farbaufnahmen, die im Rahmen der jüngsten Untersuchungen angefertigt wurden. Schmerzlich vermisst man aber eine Gesamtaufnahme, im Übrigen ein bezeichnendes Indiz für die über weite Strecken zu mikroskopische Sicht auf den Einzelbefund. Insgesamt vermittelt diese Publikation zweifelsohne wichtige Anstöße, vor allem auf dem Gebiet der Konservierung und Restaurierung von Steinskulptur und auch für den Kunsthistoriker, indem sie dem Bekannten weitere interessante Befunde hinzufügt.
Anmerkungen:
[1] Dissertation von Dieter G. Morsch: Die Portalhalle im Freiburger Münsterturm, Münster 2001.
[2] Dissertation von Friedrich Kobler: Der Jungfrauenzyklus der Freiburger Münstervorhalle, Bamberg 1970, vorher Phil. Diss. Berlin 1966.
[3] Denis Verret / Delphine Steyaert (Hrsg.): La couleur et la pierre. Polychromie des portails gothiques. Actes du Colloque, Amiens 12-14 octobre 2000, Paris 2002, http://www.sehepunkte.de/2004/05/4750.html); Erwin Emmerling / Detlef Knipping / Franz Niehoff (Hrsg.): Das Westportal der Heiliggeistkirche in Landshut: ein Symposium zur Geschichte und Farbigkeit des spätgotischen Figurenportals. Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, 106, München 2001, http://gso.gbv.de/DB=2.1/SET=2/TTL= 1/MAT=/NOMAT=T/CLK?IKT=1008&TRM=%3C&cvtourl%3E
Gerhard Lutz