Thomas Otten: Die Ausgrabungen unter St. Victor zu Xanten. Dom und Immunität (= Rheinische Ausgrabungen; Bd. 53), Mainz: Philipp von Zabern 2003, 2 Bde., XI + 523 S., 161 Tafeln, 350 Abb., 43 Beilagen, ISBN 978-3-8053-3148-7, EUR 128,00
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Ingo Runde: Xanten im frühen und hohen Mittelalter. Sagentradition - Stiftsgeschichte - Stadtwerdung (= Rheinisches Archiv; Bd. 147), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, XII + 645 S., 11 Tafeln, ISBN 978-3-412-15402-8, EUR 49,90
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Hugo Brandenburg: Die frühchristlichen Kirchen Roms vom 4. bis zum 7. Jahrhundert. Der Beginn der abendländischen Kirchenbaukunst. Fotos von Arnaldo Vescovo, Regensburg: Schnell & Steiner 2004
Michael Altripp / Claudia Nauerth (Hgg.): Architektur und Liturgie. Akten des Kolloquiums vom 25. bis 27. Juli 2003 in Greifswald, Wiesbaden: Reichert Verlag 2006
Annette Haug: Die Stadt als Lebensraum. Eine kulturhistorische Analyse zum spätantiken Stadtleben in Norditalien, Rahden/Westf.: Verlag Marie Leidorf 2003
Das niederrheinische Städtchen Xanten ist heute im öffentlichen Geschichtsbewusstsein einerseits als Ort des Archäologischen Freizeitparks auf dem Gelände der ehemaligen römischen Colonia Ulpia Traiana (CUT), andererseits als Schauplatz des Nibelungenlieds verankert, das Xanten als Geburtsort Siegfrieds erwähnt. In der Zeit des Nationalsozialismus nahm man dies zum Anlass umfangreicher Ausgrabungen auf dem Gelände der Colonia, die dem propagierten Siegfriedkult archäologische Überreste "germanischer" Geschichte zur Seite stellen sollten. Die Ausgrabungen blieben erfolglos, da man nur auf römische Spuren traf. Sie konkurrierten zudem mit der spektakulären Entdeckung eines Doppelgrabes unter dem Xantener Dom St. Viktor im Jahr 1933, das der damalige Ausgräber Walter Bader als "das bisher einzige ungestörte Märtyrergrab nördlich der Alpen" deutete und in die Spätantike datierte. [1] Seine Forschungen wiesen darauf hin, dass es im Frühmittelalter zu einer Verlagerung des Siedlungsschwerpunkts aus dem Bereich der CUT in die Gegend des späteren Viktorstifts kam. Zwei Publikationen des Jahres 2003 widmen sich nun aus historischer sowie aus archäologischer Perspektive ausführlich der Frage des Übergangs von der Spätantike zum frühen Mittelalter in Xanten.
Die ambitioniert breit angelegte Studie von Ingo Runde versteht sich als Auftakt einer Serie wissenschaftlicher Publikationen, durch die erstmals eine Gesamtdarstellung zur Geschichte der Stadt Xanten vorgelegt werden soll. Die Arbeit verfolgt u. a. das Ziel, die für Laien oft nur schwer verständlichen, "extrem detailreichen" Ausgrabungsberichte und kontrovers geführten archäologischen Diskussionen durch einen "inhaltlich-sprachlichen Transfer" (4) einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, was dem Autor zweifellos gelungen ist. Nach einem kurzen Überblick über Topografie, vorrömische und römische Zeit (24-71) widmet sich das Buch vor allem der Frage nach Siedlungskontinuitäten und -brüchen im Xantener Raum zwischen Spätantike und Mittelalter. In den Blick genommen werden in chronologischer Folge die Merowingerzeit (72-230), die Karolingerzeit (231-314), die ottonisch-salische Zeit (315-425) sowie die staufische Zeit (426-492). Mit den im Untertitel genannten Aspekten "Sagentradition - Stiftsgeschichte - Stadtwerdung" greift Runde thematische Schwerpunkte auf, die über die Regionalgeschichtsforschung hinausweisen und zentral für Genese und Entwicklung vieler mitteleuropäischer Siedlungen mit einem monastischen Zentrum sind. Den chronologischen Endpunkt der Betrachtung bildet das 13. Jahrhundert und hier speziell das Jahr 1228, in dem der Prozess der Stadtwerdung für Xanten durch die Verleihung von städtischen Rechten ein vorläufiges Ende fand.
Die Gründung der CUT erfolgte wohl zwischen 98 und 100 n. Chr. auf dem Gebiet einer bereits bestehenden, vor-coloniazeitlichen Siedlung und zielte insbesondere auf die Versorgung von Militärveteranen der niederrheinischen Streitkräfte. Neben der CUT existierten in der Gegend von Xanten zwei nacheinander belegte Militärlager, Vetera I und II. Durch die Frankeneinfälle der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts in Mitleidenschaft gezogen, wurde das Militärlager Vetera II aufgegeben und wurden Teile der dort stationierten 30. Legion in das Stadtgebiet der CUT verlegt. Dort errichtete man im Zentrum der Siedlung eine regelmäßige, durch ein Doppelgrabensystem geschützte Befestigungsanlage. Die Frage, ob diese Maßnahme in tetrarchischer oder in konstantinischer Zeit erfolgte, ist in der Forschung umstritten und konnte auch durch Rundes Untersuchung nicht geklärt werden (61).
Ein zentrales Problem für den Zeitraum zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert bildet die Verlagerung der Siedlung aus dem Bereich der CUT in das südlich davon gelegene, spätere Xantener Stadtgebiet. Die Ursachen für die Verlagerung des Siedlungsschwerpunkts in das Areal des Viktorstifts sieht Runde darin, dass der Bereich nicht durch Überschwemmungen bedroht war, sicheren Baugrund und zugleich günstiges Ackerland bot und in der Nähe der älteren steinernen Ruinen lag (71).
Die römischen Militärlager Vetera I und II, die CUT und ihre Nachfolgesiedlung sind durch eine große Anzahl archäologischer Befunde und Fundmaterial gut bekannt, in den schriftlichen Quellen finden sie jedoch kaum Erwähnung. Demgegenüber ist die Quellenlage für das Viktorstift "außerordentlich günstig" (7), da früh- und hochmittelalterliche archäologische Zeugnisse und die schriftliche Überlieferung einander ergänzen, insbesondere nach 1109, als ein großer Brand wohl das ältere Stiftsarchiv vernichtete. Die frühe Märtyrertradition Xantens ist allerdings vergleichsweise schlecht bezeugt. Nach Gregor von Tours gelang dem Kölner Bischof Ebergisil in Xanten die Auffindung der Gebeine des Märtyrers Mallosus; wenige Zeilen später ist in derselben Quelle auch der Märtyrer Victor genannt. Lange Zeit bestimmte daher die Verbindung der ergrabenen baulichen Reste mit den Verehrungsorten dieser beiden Märtyrer die Interpretation der Befunde unter St. Viktor.
Für die römische Zeit erfüllt Rundes Buch den gesetzten Anspruch einer gut verständlichen Synthese der bisherigen historischen und archäologischen Forschung. Einzelfragen wie beispielsweise zur Urbanistik, zur Romanisierung der indigenen Bevölkerung oder zu Wirtschaftsverflechtungen werden nur gestreift, da sie nicht Gegenstand der Untersuchung waren. Seinen Schwerpunkt und seine Stärken besitzt das Buch im Bereich des Früh- und Hochmittelalters, wo es durchaus Handbuchcharakter hat. Hier bietet Runde eine umfangreiche Präsentation und Diskussion der vorliegenden Schriftquellen und setzt diese in Beziehung zu den archäologischen Überresten, gelegentlich auch zu Werken aus dem Kirchenschatz wie dem Viktorschrein. In der Darstellung der archäologischen Befunde stützt sich Runde ausschließlich auf die vorangegangene archäologische Forschung, wobei er dankenswerterweise auch die Ergebnisse der parallel entstandenen Arbeit von Thomas Otten einbezogen hat (s. u.). Erfreulicherweise haben die Autoren offensichtlich bereits während der Bearbeitungsphase Material ausgetauscht, sodass Rundes Arbeit auch mehrere aktuelle Überblickspläne von Thomas Otten aufweist und sich mitunter wie eine Synthese von Ottens Buch liest.
Thomas Otten hat sich in seiner 1999 abgeschlossenen und nun in überarbeiteter Fassung vorgelegten Münchner Dissertation der mühsamen Aufgabe unterzogen, 24 Altgrabungen aus dem Areal des Xantener Doms und der umgebenden Immunität aufzuarbeiten. Ziel der Arbeit ist die kritische "Vorlage der endgültigen Grabungsberichte mit einer katalogmäßigen Erfassung aller Befunde [...], die erst Grundlage für eine lückenlos nachvollziehbare Bewertung sein kann und dem Außenstehenden die Möglichkeit gibt, alle Ergebnisse und Aussagen zu den wesentlichen Fragestellungen nachzuprüfen" (1). Mit Gespür für aktuelle Forschungsfragen ist Otten eine zugleich solide wie auch innovative Untersuchung gelungen, die den Anspruch der Materialaufbereitung mühelos übertrifft. In seinem klug strukturierten, kenntnisreichen Buch leistet Otten darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zu der Diskussion um die Kontinuität zwischen Spätantike und Frühmittelalter und speziell um die frühe Siedlungsgeschichte am unteren Niederrhein. Seine Untersuchung fällt in eine Zeit gesteigerter Forschungsaktivität in diesem Bereich und fügt sich ein in eine Gruppe von Arbeiten, die in den letzten Jahren Altgrabungen zu niederrheinischen Kirchen der Spätantike und des frühen Mittelalters aufgearbeitet haben. Einen guten Überblick über diese Aktivitäten gibt seit Kurzem ein Sammelband zum frühen Christentum im Rheinland. [2]
Nachdem man bereits bei Reliquiensuchen im Mittelalter und bei ersten archäologischen Sondierungen immer wieder auf Bestattungs- und Mauerreste gestoßen war, begann 1933 eine intensive Ausgrabungstätigkeit im Bereich des Xantener Domes. Diese Ausgrabungen dauerten bis 1966 an, zunächst unter der Leitung von Walter Bader, ab 1955 von Hugo Borger. Beide Forscher haben Auswertungen und Periodisierungen der Befunde vorgenommen und diese teilweise detailliert, teilweise in Vorberichten publiziert. Nach einer ausführlichen Einleitung, die einen Überblick über Geologie und Topografie Xantens, die Grabungs- und Forschungsgeschichte sowie die historischen Quellen enthält, untersucht Otten in zwei umfangreichen Kapiteln die Ausgrabungsareale unter dem Dom (31-148) und in der Immunität (149-197). Ziel ist dabei die "Klärung der relativen und absoluten Chronologie der Bauabfolge und Gräberfeldbelegung" (31) mittels Analyse der archäologischen Befunde und ihrer Stratigrafie. Die seit Bader und Borger gebräuchlichen, manchmal leider verwirrenden Benennungen der Bauten nach ihrer chronologischen Abfolge wurden beibehalten, da sie vielfach Eingang in die Literatur gefunden haben. Ergänzend entwickelt Otten ein Phasenmodell A-F für das Domareal und I-V für das Immunitätsareal, um stratigrafisch aussagekräftige Schichten, die keinem Bau zugeordnet werden konnten, in sein Chronologieschema einpassen zu können.
Für den Bereich des Domareals lassen sich somit bis in spätkarolingische Zeit acht Bauphasen unterscheiden, wobei die Phasen A und D durch Münzfunde absolutchronologisch fixiert werden können. Otten stellt die Befunde der einzelnen Phasen nacheinander vor, wobei auf die Befundbeschreibung jeweils in akkurater methodischer Trennung eine Datierung mittels zugehörigen Fundmaterials sowie eine bautypologische Einordnung folgen. Zwei exzeptionelle Grabbefunde liegen mit den Sarkophagbestattungen 85 und 66/36 aus der spätantiken Phase A im Domareal vor, die Otten in das späte 4. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts datiert. 66/36 ist die Bestattung eines enthaupteten, männlichen Individuums, dessen erhaltener letzter Halswirbel mit Stoffstreifen umwickelt und dessen Kopf nicht mit ins Grab gelegt war. Dieses Grab wurde nachträglich mit einer cella memoriae - "Bau IIK" - überbaut, die auch in fränkischer Zeit weiter genutzt wurde. Von den insgesamt sechs Grabbauten der Phase A ist besonders der rechteckige Fachwerkbau "IA" über dem von Bader freigelegten Doppelgrab B 44 interessant, der im Inneren einen Steintisch aus römischen Spolien enthielt, in dessen Umkreis Reste von Totenmählern gefunden wurden. Das Grab der beiden gewaltsam getöteten Männer war bereits etwas früher (nach 348/50 und vor dem späten 4. Jahrhundert) angelegt und wohl oberirdisch gekennzeichnet worden, sodass man es mit einer Memoria an derselben Stelle überbauen konnte. Über diesem Bau wurde nach einer Brandzerstörung in der darauf folgenden Phase B, die Otten in die fortgeschrittene erste Hälfte des 5. Jahrhunderts datiert, ein Holzpfostenbau ("IIA") auf leicht verkleinertem Grundriss errichtet, der erneut den Steintisch einbezog.
Dem merowingerzeitlichen Gräberfeld unter dem Xantener Dom wurde schon in der älteren Forschung und zuletzt in Frank Siegmunds Dissertation zur fränkischen Besiedlung am unteren Niederrhein viel Aufmerksamkeit gewidmet, bildet es doch ein Schlüsselargument in der Debatte um die Kontinuität des Bestattungsplatzes. [3] Otten kann 67 Gräber mit Sicherheit der merowingerzeitlichen Nekropole zuordnen, für 24 weitere ist eine solche Zeitstellung wahrscheinlich. Bei immerhin 9 beigabenlosen Körperbestattungen ist Otten aus stratigrafischen Gründen eine Datierung in das oftmals vermeintlich befundleere 5. Jahrhundert gelungen (71 ff.). Diese Gräber bilden hinsichtlich der Kontinuitätsfrage sehr wahrscheinlich den wichtigen 'missing link' zwischen den jüngsten römischen Bestattungen aus dem ersten und den ältesten fränkischen aus dem letzten Viertel des 5. Jahrhunderts. [4]
Auch in fränkischer Zeit existierten auf der Nekropole mehrere Bauten, in deren Bauabfolge Otten drei Hauptperioden (C1-C3) erkennt (81-95). Der wichtigste Baubefund ist ein mehrmals umgebauter, rechteckiger Saalbau ("IIIA" bzw. "III2"), dessen Nutzung Hinweise auf die für Xanten bis heute wichtige Märtyrerverehrung geben könnte. Nach der Niederlegung von Bau "IIA" errichtete man Neubau "IIIA" (zwischen Ende des 5. und Mitte des 6. Jahrhunderts). In einer zweiten Phase "III2" wurde dem Gebäude im Westen ein Querriegel vorgelagert und im Inneren eine Grabkammer (B 34) eingefügt. Otten unterzieht die Gruft einer bautypologischen Analyse und spricht sich dafür aus, derartige gemauerte Grabkammern in Kirchen nicht mit der Fundgruppe reich ausgestatteter Kammergräber der Merowingerzeit in Beziehung zu setzen, sondern sie "als architektonische Einbauten zu verstehen, deren Bedeutung in der Verehrungsmöglichkeit [der darin Bestatteten, d. Rez.] besteht" (94). Aus diesem Grund vergleicht er den Xantener Befund schlüssig mit der gemauerten Doppelgruft in St. Maximin in Trier.
Als dritte Phase fränkischer Zeit erfolgte um die zweite Hälfte des 7. bis Anfang des 8. Jahrhunderts ein Umbau der Grabkammer. Der Innenraum der Gruft wurde nun durch eine Längsmauer geteilt, was offenbar mit dem Einbringen einer zusätzlichen Bestattung oder der Deponierung von Märtyrergebeinen zusammenhängt. In frühkarolingischer Zeit wurde in der folgenden Phase D ein weiterer Ausbau des Saalraums vorgenommen und dieser im Osten um einen eingezogenen Rechteckchor erweitert, der durch eine Schrankenanlage vom Hauptraum abgetrennt wurde (Bau "IV"). In diesem Bau traf Bader auf den interessanten Befund eines Suchstollens, der sehr wahrscheinlich mit einer Märtyrersuche in Verbindung zu bringen ist. In Phase E (spätes 8. / frühes 9. Jahrhundert) wurde die Saalkirche bei gleicher Breite erheblich nach Westen verlängert (nun Bau "V"). Dort schließen sich nach Süden und Norden ausgreifende Anbauten an, die als bauliche Reste des Monasteriums einer könobitischen Kanonikergemeinschaft anzusprechen sind. Noch in karolingischer Zeit wurde in Phase F ein "monumentaler Neubau errichtet [Bau "VI", d. Rez.], der das Längenmaß der ottonischen Stiftskirche (Bau VII) vorwegnimmt und die Gebäude der Klerikergemeinschaft aus Bau V überbaut" (133). Durch seine akribische Analyse der älteren Grabungspublikationen gelingt es Otten überzeugend, eine zu diesem Bau gehörige Chorschrankenmauer zu identifizieren. Dadurch zeigt sich, dass mit dem Neubau auch eine erhebliche Vergrößerung des Klerikerchors einherging. Eine Besonderheit dieser Kirche ist der Aufbau ihres Estrichbodens, in den Kugeltöpfe als Schallgefäße eingelassen waren. Bau VI fiel bereits kurz nach seiner Errichtung um die Mitte des 9. Jahrhunderts einer vollständigen Brandzerstörung zum Opfer. Wie auch Otten schreibt, liegt es nahe, diese Zerstörung mit dem in den Xantener Annalen belegten Normannenüberfall auf die Stadt im Jahr 864 zu verbinden. Der Leib des mittlerweile aufgefundenen Hl. Viktor wurde damals in einer Nacht- und Nebelaktion nach Köln in Sicherheit gebracht. Dennoch scheint der Bau wieder in Stand gesetzt und weiter genutzt worden zu sein; die Gebeine wurden zurück transferiert. Der Baubeginn der 967/8 geweihten Nachfolgekirche "VII" erfolgte wenig später bereits im frühen 10. Jahrhundert, wie das Fundmaterial belegt.
In der abschließenden Betrachtung zur Baugeschichte (199-238) verbindet Otten die mittels archäologischer Methoden erzielten Ergebnisse mit den überlieferten historischen Quellen. Untergliedert nach Siedlungs- und Baugeschichte sowie historischer Topografie ersetzt diese ausführliche Synthese die fehlende Zusammenfassung des Buchs und bietet Ansätze für die weitere Forschungsdiskussion. Besonders interessant sind Ottens Bemerkungen zur historischen Topografie, in denen er die Grabungsergebnisse auf ihre Bedeutung für "Fragen der Besiedlungsgeschichte und -kontinuität Xantens in römischer Zeit bis zur mittelalterlichen Stadtentstehung" (209) hinterfragt. In diesem Rahmen stellt er überregionale Vergleiche mit anderen Grenz- und Kastellstädten in der Germania I und II sowie der Belgica I an. Otten geht dabei dezidiert auf Fragen der Siedlungs- und Bestattungskontinuität im Xantener Raum zwischen Spätantike und Karolingerzeit ein und entwickelt einige überzeugende Thesen. Er unterstreicht insbesondere die Bedeutung der Ortskontinuität der Grabbauten von Bau IA zu IIIA sowie der kontinuierlichen Nutzung von Memoria IIK (von Phase A bis in die fränkischen Phasen C2-3). Vor allem die Weiternutzung der steinernen Mensa aus dem ältesten Bau IA deutet seiner Meinung nach auf eine durchgehende Kultkontinuität hin. Otten spricht sich schließlich dafür aus, Bau IIIA mit dem bei Gregor von Tours am Ende des 6. Jahrhunderts genannten Mallosus-Oratorium zu identifizieren. Nachdem in fränkischer Zeit in Gruft B 34 offenbar nur die Gebeine des Mallosus ruhten, hält es Otten für wahrscheinlich, dass die Teilung der Gruft im Zusammenhang mit der in spätfränkischer bis frühkarolingischer Zeit erfolgten 'Auffindung' der Gebeine des Hl. Viktor stand.
Ottens Band wird abgeschlossen durch einen ausführlichen Katalogteil, der die archäologischen Befunde nach Ausgrabungsarealen und -kampagnen sortiert darlegt und eine befundimmanente Fundmaterialvorlage integriert (239-514). Aus der "immensen Materialfülle an Keramikfunden" (241) erfolgte nach Durchsicht des gesamten Materials eine Auswahl, die insbesondere stratifizierte Funde, bei frühmittelalterlichen und mittelalterlichen Befunden aber auch verlagerte römische Keramik umfasst. Eine CD-ROM mit dem Gesamtkatalog aller Befunde ist über das Rheinische Landesmuseum in Bonn zu beziehen.
Ergänzt wird der Textband durch 161 Tafeln und 43 Planbeilagen. Sehr bedauerlich ist die teilweise fragwürdige Qualität der Planabbildungen mit zu dicken Strichstärken, die möglicherweise ein Verschulden des Verlags ist. Auch Rundes Buch verfügt über einen äußerst umfangreichen Anhang (513-645), der u. a. ein Personen- und Ortsregister sowie ein allein 80 Seiten starkes Quellen- und Literaturverzeichnis aufweist. Im Rahmen dieser Arbeit wurde ebenfalls eine Datenbank erstellt ("Datenbanksystem zur Xantener Geschichte"), die auf CD-ROM im Institut für niederrheinische Kulturgeschichte und Regionalentwicklung der Duisburger Universität eingesehen werden kann.
Gemeinsam bilden die beiden Bücher von Otten und Runde einen historisch-archäologischen Meilenstein in der Erforschung der Spätantike und des frühen Mittelalters am Niederrhein. Gerade ihr gleichzeitiges Erscheinen bildet eine hervorragende Grundlage für jede weitere Untersuchung auf diesem Gebiet.
Anmerkungen:
[1] Walter Bader: Die christliche Archäologie in Deutschland nach den jüngsten Entdeckungen an Rhein und Mosel, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein 144/145 (1946/47), 17-31 (Zitat auf Seite 17).
[2] Sebastian Ristow (Hg.): Neue Forschungen zu den Anfängen des Christentums im Rheinland (= Jahrbuch für Antike und Christentum; Erg.bd., Ser. Min. 2). Münster 2004.
[3] Frank Siegmund: Merowingerzeit am Niederrhein. Die frühmittelalterlichen Funde aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf und dem Kreis Heinsberg (= Rheinische Ausgrabungen; 34). Köln / Bonn 1998.
[4] Vgl. zu dieser Thematik z. B.: Arno Rettner: 402, 431, 476... und dann? Archäologische Hinweise zum Fortleben romanischer Bevölkerung im frühmittelalterlichen Südbayern, in: Bernd Steidl / Ludwig Wamser (Hg.): Römische Besiedlung zwischen Oberrhein und Enns (= Schriftenreihe der Archäologischen Staatssammlung; 3). Grunbach 2003, 267-285.
Ute Verstegen