Malcolm Warner / Robin Blake: Stubbs & the Horse, New Haven / London: Yale University Press 2004, XVII + 229 S., 110 color, 131 b/w illus., ISBN 978-0-300-10472-1, GBP 30,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Frédéric Bußmann: Sammeln als Strategie. Die Kunstsammlungen des Prince de Conti im Paris des ausgehenden Ancien Régime, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2010
Herbert W. Rott (Hg.): Ludwig I. und die Neue Pinakothek. Mit Beiträgen von Hubert Glaser und Frank Büttner, München / Köln: Pinakothek-DuMont 2003
Gerrit Walczak: Bürgerkünstler. Künstler, Staat und Öffentlichkeit im Paris der Aufklärung und Revolution, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2015
Zu seinen Lebzeiten war der Künstler George Stubbs zwar die unbezweifelbare Autorität auf dem Gebiet der Pferdedarstellung, die er auf eine neue Stufe empirischer Präzision geführt hatte, aber zugleich auch das Opfer einer idealistischen Kunsttheorie, die ihn auf Grund seiner Spezialisierung nicht aus dem Getto der "sporting art" herauskommen ließ. Sosehr sich der Künstler auch bemühte, seinem Bildrepertoire etwa durch Anleihen bei der Historienmalerei eine größere Bedeutungszuweisung zu verschaffen, blieb seine Anerkennung weitgehend auf den Kreis jener aristokratischen Landbesitzer und Pferdezüchter beschränkt, die seine Käufer und Auftraggeber gewesen sind. Die zählebigen Vorbehalte gegen die "sporting art" als vor allem von außerkünstlerischen Interessen geprägte, periphere Gattung des Kunstbetriebs und gegen den empirischen, geradezu naturwissenschaftlichen Zugriff des Künstlers haben eine Neubewertung von Stubbs' Beitrag zur britischen und europäischen Kunstgeschichte lange Zeit verzögert.
Inzwischen jedoch gehört der führende Meister der britischen Pferdemalerei jedenfalls in seinem Heimatland und in der weiteren anglophonen Welt zu den am höchsten geschätzten Künstlern des 18. Jahrhunderts, auf einer Stufe mit Hogarth oder Gainsborough, den beiden Heroen des angelsächsischen Kunstkanons der Epoche. Seit seiner kunsthistorischen "Wiederentdeckung" in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, angeführt von Basil Taylor (1971) und Judy Egerton (1984 / 85), die ihren Höhepunkt im Ankauf des monumentalen Pferdeporträts Whistlejacket 1997 durch die National Gallery in London im Rahmen eines erfolgreichenden Spendenaufrufes erreichte, ist Stubbs' Werk in regelmäßigen Abständen zum Gegenstand umfangreicher Ausstellungen geworden. Stubbs and the Horse ist nur der jüngste Beitrag in dieser Reihe, der Katalog einer Wanderausstellung, die im Jahre 2005 im Kimbell Art Museum in Fort Worth, in der Walters Art Gallery in Baltimore und in der National Gallery of Art in London zu sehen war.
So gut wie selten ein britischer Künstler des 18. Jahrhunderts erforscht, mit temporären und dauerhaften musealen Präsentationen seines Werkes reich gesegnet und als Publikumsliebling verehrt, stellte Stubbs die Veranstalter der Ausstellung, den Kurator Malcolm Warner und den Forscher Robin Blake, vor die Herausforderung, seinem künstlerischen Œuvre neue, bisher noch nicht ausreichend beachtete Aspekte abzugewinnen. Das ist den beiden Ko-Autoren des Katalogbuches und ihren Mitstreitern erstaunlich gut gelungen, obwohl sie sich durch ihre bewusste Konzentration auf die Pferdedarstellung in einer Weise einschränkt haben, die kaum auf unerwartete Gesichtspunkte hoffen ließ. Zwar bestätigen sie auch die inzwischen recht geläufige Verbindung zwischen Stubbs und den Grundanliegen der britischen Aufklärung, das außergewöhnliche Interesse an anatomischen Studien, das einer zugleich naturgetreuen und in neuartiger Weise individualisierten Repräsentation jedes einzelnen Pferdes zu Grunde lag, oder die experimentelle Haltung des Künstlers zu den malerischen Techniken, die konservatorische Herausforderungen hervorbrachte. Doch reicht ihr Deutungshorizont über diese erprobte Perspektive hinaus.
Die Einbettung des Künstlers in den Horizont der zeitgenössischen Naturwissenschaften und der aufklärerischen Infragestellung vor-wissenschaftlicher Autoritäten wird im Hauptbeitrag von Malcolm Warner unter dem Titel "Stubbs and the Horse of Feeling" erweitert um den Zusammenhang mit der literarisch-kulturellen Bewegung der Empfindsamkeit und ihrem veränderten Verständnis für das Verhältnis von Mensch und Tier (1-17). Hatten einer älteren, im 17. Jahrhundert noch ungebrochenen, Auffassung von der privilegierten Stellung des Menschen in der göttlichen Schöpfung die Tiere bloß als Objekte einer willkürlichen Instrumentalisierung vor Augen gestanden, so entfaltete sich in England im 18. Jahrhundert ein Diskurs über ihr eigenständiges Lebensrecht, die moralische Verwerflichkeit eines grausamen Umgangs mit ihnen und ihre physische wie psychologische Verwandtschaft mit dem Menschen, die eine graduelle Annäherung der vormals scharf unterschiedenen Sphären ermöglichte, die später in Darwins Evolutionstheorie ihren Abschluss finden sollte. Zumal das Pferd, als herausragendes Nutztier und Statussymbol, sich als Projektionsfläche für die Protagonisten einer Kampagne zur Etablierung von ethisch begründeten Tierrechten eignete , deren Verletzung auf einen Mangel an mitfühlender Empathie zurückgeführt werden konnte.
Zwar bleibt eine Identifikation des Künstlers als "man of feeling" im Umgang mit den Pferden nicht unproblematisch, aber Warner kann eine ganze Reihe von Verbindungslinien aufzeigen, durch die Stubbs mit der neuen Ethik und Ontologie verbunden war. Sein von den Zeitgenossen registriertes Bemühen um eine Individualisierung und Psychologisierung des Pferdeporträts deutet ebenso auf das neue Verständnis der Lebewesen als Gefühlsträger, wie sein in den letzten Lebensjahren nicht vollendetes Projekt einer vergleichenden Anatomie von Mensch, Tiger und Huhn von den Ansätzen einer nicht-anthropozentrischen Naturauffassung inspiriert erscheint. Allerdings gelingt es Warner nicht, den Anteil der Auftraggeber an dieser Anpassung genauer zu bestimmen, deren von der Empfindsamkeit geprägter Reformeifer bei der Pferdezucht dem Künstler möglicherweise die entscheidenden Anstöße vermittelte. Die Überbewertung der Entscheidung Lord Rockinghams, die Darstellung von Whistlejacket 1762 nicht für ein geplantes Herrscherporträt zu verwenden, ist ein typisches Beispiel für dieses Defizit.
Hier können auch die beiden Beiträge von Robin Blake über die Auftraggeberschaft des Künstlers keine Abhilfe schaffen, die im Wesentlichen den vorangegangenen Forschungsstand zusammenfassen und um einzelne Beobachtungen bereichern. Der Abschnitt über "Stubbs and Rockingham's Young Whigs in the 1760s" (43-64), der Gruppe von oppositionellen, liberalen Auftraggebern, die Stubbs in den ersten Londoner Erfolgsjahren monopolisierte, ist zugleich die eigentliche Rechtfertigung des Ausstellungsprojektes, denn aus diesem Umfeld präsentiert die Schau bestimmte Einzelbilder und zusammengehörige Werkgruppen erstmals seit dem 18. Jahrhundert wieder der Öffentlichkeit. Der Abschnitt über "Stubbs, the Macaroni and the Prince of Wales" (141-159) fasst zusammen, was als kurzzeitigem Auftraggeber des Künstlers und als mutmaßlichem Initiator der Turf Gallery in den frühen 1790er-Jahren über den Thronfolger bekannt ist. Eine grundsätzlich neue Sicht auf Stubbs' Biografie, deren Gesamtdarstellung der Autor vorbereitet, ist angesichts der überschaubaren Quellenlage kaum zu erwarten, sieht man von den Hinweisen auf die politischen Assoziationen des Künstlers ab, die ihn immer fester im anti-hannoverischen Milieu der Katholiken, Jakobiten und anderer politischer Dissidenten verankern.
Insgesamt liefert der Begleitband zur Ausstellung eine gelungene Einführung in das Werk des englischen Künstlers und eröffnet den Zugang zu einem breiten Spektrum unterschiedlicher Fragestellungen, in denen die ästhetische Traditionsbindung der Pferdedarstellung ebenso zur Sprache kommt wie die neuen proto-industriellen Herstellungsverfahren aus der Kooperation mit Joshia Wedgwood oder die Bildwürdigkeit sozialer Unterschichten der Landbevölkerung, die ihren Auftritt nicht nur als Staffagefiguren von Jagd- und Reitszenen, sondern auch in eigenständigen Genrebildern finden konnten. Jeder dieser Aspekte lässt sich mithilfe einer umfangreichen Bibliografie auf Vorläufer in der Stubbs-Literatur zurückführen, ist hier jedoch in aktueller Form zusammengestellt und über ein detailliertes Register gut erschlossen. Der eigentliche Katalog nimmt dagegen nur einen geringen, kurzgefassten Teil der Publikation ein, die sich deshalb unabhängig von ihrem Anlass in der angesprochenen Wanderausstellung als selbstständige Künstlermonografie verwenden lässt. Dazu leistet schließlich auch die reiche Ausstattung des Bandes mit Farbabbildungen ihren Beitrag, die sich keineswegs auf die in der Ausstellung gezeigten Werke beschränkt.
Alexis Joachimides