Julius Ludwig Pfeiffer: Das Tierschutzgesetz vom 24. Juli 1972. Die Geschichte des deutschen Tierschutzrechts von 1950 bis 1972 (= Rechtshistorische Reihe; Bd. 294), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2004, 293 S., ISBN 978-3-631-52708-5, EUR 51,50
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Das moderne Mensch-Tier Verhältnis ist ambivalent, reich an Widersprüchen und Absurditäten. Diabeteskranke Schoßhündchen, industrialisierte Fleischlieferanten, ausgewilderte Megafauna und ökologische Indikatoren deuten die Bandbreite der Rollen an, die Tieren heute zugeschrieben sind. Diese Gemengelage erweckt in den letzten Jahren zunehmend historisches Interesse. In den USA und England boomen die Animal-Studies. In Deutschland wächst das Interesse am Thema vor allem im Bereich der Sozial-, Kultur- und Umweltgeschichte. Geschichtswissenschaftler versprechen sich von der Untersuchung des historischen Mensch-Tier-Verhältnisses Erkenntnisse über Ideologie, Naturbilder und Wertediskurse.
Ein Bereich, in dem sich der Wandel in dem Verhältnis deutlich manifestiert, sind Gesetze. Tierschutz gehört zu den großen Konsenspotenzialen der deutschen Gesellschaft. Und das hat Tradition. Nicht zuletzt der propagandistischen Wirkung wegen erließ die Regierung unter Hitler 1933 das erste Reichstierschutzgesetz, das auch im Ausland als "große Kulturtat" gepriesen wurde. Dieses Gesetz blieb fast vierzig Jahre gültig. Es wurde erst 1972 von einem neuen Gesetz abgelöst. Die Rechtsgeschichte dieses neuen Gesetzes hat nun der Jurist Julius Ludwig Pfeiffer untersucht. Damit legt er die erste Monografie zu dem Thema vor. Er beschränkt sich nicht, wie der Untertitel suggeriert, auf den Zeitraum ab 1950, sondern bezieht sich auf die Genese seit 1933, wie in der Einleitung betont wird (17). Die Entwicklung von Gesetzestexten nachzustellen, ist ein beschwerliches Geschäft. Eigentlich sollten Historiker von einer solchen rechtshistorischen Analyse profitieren können. Ein Blick in die Quellen- und Literaturliste kündigt allerdings an, dass Pfeifer von einer äußerst schmalen Materialbasis aus operiert und seinerseits kaum Bezug nimmt auf Forschungen jenseits seiner Disziplin.
Im ersten Teil der Arbeit skizziert er grob die Geschichte des Tierschutzes in England und Deutschland bis 1933. England besaß in der Tierschutzgesetzgebung weltweit eine Vorreiterrolle. 1822 wurde erstmals ein nationales Gesetz erlassen, das die Grausamkeit gegenüber landwirtschaftlichen Nutztieren verbot. Im Deutschen Reich wurde das Quälen von Tieren auf nationaler Ebene erst im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 in vager Form untersagt.
Im zweiten und umfangreichsten Teil seines Buches zeichnet Pfeiffer die Gesetzesentwicklung von 1933 bis 1972 nach. Bereits im April 1933 wurde ein Gesetz über das Schlachten von Tieren erlassen, das ein betäubungsloses Töten unter Strafe stellte. Kurz darauf verabschiedete man eine auf Reformbemühungen vorhergehender Jahrzehnte basierende Strafgesetznovelle, die ins erste genuin für den Schutz von Tieren entworfene Reichstierschutzgesetz vom 12. November 1933 mündete. Die Beweggründe der schnellen Verabschiedung sind offenkundig: Die NS-Regierung konnte sich einer breiten Zustimmung der Öffentlichkeit sicher sein und die juristischen Maßnahmen - ähnlich wie bei dem zwei Jahre später folgenden Reichsnaturschutzgesetz - als Einfallstor in breite Bevölkerungsschichten nutzen. Unter vermeintlich zivilisatorischen Vorzeichen bediente das diskriminierende Verbot des Schächtens die antisemitischen Ressentiments und schränkte die religiöse Bewegungsfreiheit der Juden in Deutschland unmittelbar ein.
Die strafrechtlichen Komponenten des Reichstierschutzgesetzes blieben nach Ende des Zweiten Weltkrieges bundesweit gültig. Pfeiffer zeichnet die langwierigen Versuche einer Gesetzesreform anhand der Akten der zuständigen Bundesministerien nach. Anfang der 1950er-Jahre begannen die Tierschutzverbände, politische Lobbyarbeit zu betreiben und forderten u. a. die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz. Der Druck wuchs: Die Massenmedien berichteten regelmäßig über skandalöse Viehtransporte, die wohl auch auf Grund der Tatsache, dass hier die Leiden sympathietragender Pferde im Vordergrund standen, eine breite öffentliche Empörung zur Folge hatten. Über die nächsten Jahre ritualisierte sich das Spiel zwischen den Interessenträgern und Politik.
In den verschiedenen Entwürfen für ein neues Gesetz spiegelten sich das nationale Rechts- und das Selbstverständnis wider. Ungebrochen pries man das Reichstierschutzgesetz als "bedeutsame Kulturtat", das nun einer Änderung bedürfe, da "das sittliche Bewußtsein der Allgemeinheit durch den Zweiten Weltkrieg' eine wahrnehmbare Läuterung und Vertiefung" (87) erfahren habe. Seit den 1960er-Jahren erfuhr die Argumentation eine Verwissenschaftlichung. Zunehmend wurde auf neue Ergebnisse der Verhaltensforschung verwiesen. Die Inhalte blieben: Im Mittelpunkt stand ein ethisch motivierter Tierschutz. Nur die Schutzobjekte änderten sich, denn der Schutz von Arbeitstieren wurde obsolet, während nun Fragen nach den Folgen der Massentierhaltung aufkamen.
In jeder Partei fanden sich einzelne Politiker, die die Vorschläge ins Bundesparlament trugen, wo sie in Ausschüssen (oft sehr wohl wollend) diskutiert wurden. Diese Vorstöße scheiterten regelmäßig daran, dass sich die Länder Regelungen vorbehielten oder man Veränderungen durch die große Strafrechtsreform abwarten wollte. Die Verzögerungen sind nicht zuletzt auf die Gegensätze zwischen ethischen Grundsatzfragen und ökonomischen Interessen der Fleisch- und Agrarindustrie zurückzuführen. Die Hundezüchter protestierten, als das Kupieren von Ohren und Schwänzen verboten werden sollte, Großagrarier intervenierten gegen neue Normen der Tierhaltung mit Hinweis auf etwaige Nachteile im europäischen Wettbewerb, und die expandierende Pharmaindustrie bestand auf Tierversuchen. Das Tierschutzgesetz, das schließlich 1972 erlassen wurde, spiegelt diese Kompromisse mit den Lobbys wider.
In einem sehr knappen Schlussteil geht Pfeiffer auf Reaktionen und Weiterentwicklungen des Tierschutzgesetzes ein. Abgesehen von einigen Einwänden von Tierschutzverbänden, herrschte zufriedene Einigkeit darüber, von dem "menschlich-gefühlsbetonten" Reichstierschutzgesetz von 1933 zu einem "wissenschaftlich fundierten" Gesetz gelangt zu sein. Dabei lässt Pfeiffer unerwähnt - und das ist bezeichnend für seine enge Lesart der Materie -, dass dieser Verwissenschaftlichungsprozess charakteristisch ist für den Umgang mit dem juristischen NS-Erbe in der jungen BRD und u. a. auch bei Debatten über Autobahnbau oder Naturschutz zu finden ist.
Pfeiffer stellt minuziös dar, wie mühsam und langwierig sich der parlamentarische Aushandlungsprozess gestaltete. Er bleibt dicht am Text. So ist eine Chronik entstanden - eine breitere historische Kontextualisierung fehlt hingegen. Es scheint gewagt, die "Geschichte des Tierschutzes in England und Deutschland bis 1933" zu schreiben, ohne ein Werk aus der Animal-Studies-Literatur zu erwähnen. Wiederholt finden sich sachliche Mängel - aus einer Kronprinzessin Victoria wird z. B. schon 1835 eine Königin (23) und der bekannte liberale Justizminister Thomas Dehler gehört plötzlich der CDU/CSU-Fraktion an (141). Grundlegende Bedenken kommen auf, wenn Pfeiffer in einer Fußnote über das Schächtverbot im Bayerischen Schlachtgesetz von 1930 sagt, auf Grund des Zeitpunktes des Erlasses könne "wohl kaum von einer judenfeindlichen Motivation" gesprochen werden (92) und damit suggeriert, der Antisemitismus sei erst 1933 in Deutschland wirkungsmächtig geworden. Über die Akteure, ihre Motivationen und gesellschaftliche Impulse erfährt man wenig. Immerhin bekommt der Leser Hinweise auf verheißungsvolle "Nebenschauplätze". Das Buch deutet das Potenzial an, das die Tierschutzdebatte in der Spanne von 1933 bis 1972 für die Geschichte der Bundesrepublik, für ihre Kontinuitäten und Widersprüche, besitzt. Den historischen Rahmen der Rechtstraditionen im Tierschutz detailliert und kritisch auszuleuchten bleibt anderen Arbeiten überlassen.
Anna-Katharina Wöbse