Cornelia Jöchner / Wagner Kirsten (Red.): Gebaute Räume. Zur kulturellen Formung von Architektur und Stadt (= Wolkenkuckucksheim - Cloud-Cuckoo-Land - Vozdushnyi zamok; 9, Heft 1), 2004, Online im Internet. URL: www.cloud-cuckoo.net
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
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Cornelia Jöchner (Hg.): Politische Räume. Stadt und Land in der Frühneuzeit, Berlin: Akademie Verlag 2003
Cornelia Jöchner: Gebaute Entfestigung. Architekturen der Öffnung im Turin des frühen 18. und 19. Jahrhunderts, Berlin: De Gruyter 2015
Vom 23. bis 25. Juni 2004 (die Angabe fehlt in der Publikation) beherbergte die Brandenburgische Technische Universität Cottbus eine internationale und interdisziplinäre Tagung zum Thema "Gebaute Räume. Zur kulturellen Formung von Architektur und Stadt". Organisatoren waren der dortige Lehrstuhl Theorie der Architektur und das Kulturwissenschaftliche Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Beiträge sind nun in einem virtuellen Zeitschriftenband versammelt.
Man wundert sich im Nachhinein, wie spät die so grundlegende Kategorie des dreidimensionalen Raums im Nachdenken über Architektur und Städtebau explizit zu reflektieren begonnen wurde. Während sich architekturtheoretische Schriften seit dem 15. Jahrhundert zu immer zahlreicheren Themen äußerten, setzte die kunstwissenschaftliche wie auch architekturtheoretische Beschäftigung mit dem Raum in intensiverer Weise kaum vor hundert Jahren ein; seitdem wesentlich befruchtet durch theoretische Schriften, die oft eigentlich auf die bildenden Künste abzielten (Beitrag Kirsten Wagner). In dieser Tradition sollte auf der Tagung nicht ein lediglich posthumer Diskurs geführt werden, sondern auch für das aktuelle und zukünftige Bauen relevantes Reden und Nachdenken über das Räumliche geleistet werden.
Den Hauptansatzpunkt dazu lieferte der Anspruch, gebaute Räume in der Nachfolge von Ernst Cassirer als symbolische Ordnungen zu begreifen, die sich im sozialen Vollzug realisieren. Die beiden Organisatorinnen der Tagung, Cornelia Jöchner und Kirsten Wagner, haben in diesem Rahmen vier Themenfelder zusammengestellt: 1. die Leibbezogenheit des gebauten Raumes, 2. die Kategorie der Bewegung, 3. mediale Aspekte von Architektur und 4. das Verhältnis Innen und Außen, hier besonders als Scheidung von Privatheit und Öffentlichkeit. Bei der Fülle der Beiträge kann in der Besprechung nur einiges subjektiv besonders für die Kunstwissenschaft als interessant Empfundenes hervorgehoben werden.
Es zeugt von neuen Offenheiten, die die Kunstwissenschaft genau verfolgen sollte, wenn nicht nur Texte und Bauten als Quelle für die Architekturanalyse herangezogen werden, sondern auch Filme (Alexandra Staub, Riklef Rambow und Honke Rambow, Gül Kaçmaz Erk), Begehungen (Karsten Feucht), Befragungen (Jörg Seifert) wie auch Bilder und Diagramme von außerhalb der Welt des Bauens (Cornelia Jöchner, Eduard H. Führ), ja sogar Musik in Bezug zu Architektur gesetzt werden. Dabei ist es natürlich sehr schade, dass die angeführten Film- und Musikzitate nicht auch reproduziert werden konnten.
Sehr zu begrüßen ist auch die zumindest punktuelle Aufnahme von Gegenständen außerhalb des europäisch-nordamerikanisch geprägten Kulturkreises. Die Verbindung von auf den Raum projizierbaren Grundbegriffen chinesischen Denkens und klassischer chinesischer Architektur deutet an, dass gerade anthropologisch weitreichende Kategorien wie der "Raum" geeignete Ansatzpunkte für komparatistische Zusammenführungen auf den ersten Blick ganz eigener Kulturtraditionen bieten (Yi Lu). Vgl. auch den Beitrag von Ivan Vladimirovich Nevzgodin zum Karl-Marx-Platz in Novosibirsk. Alexandra Straubs Beitrag zum deutschen Eigenheim ist eine beispielhafte Untersuchung zur Lesbarkeit und kulturwissenschaftlichen Aussagekraft von räumlichen Kategorien um den Begriff der Grenze herum. Sehr lesenswert erscheint auch Eduard Führs Bezug auf Gibsons Texturengradienten-Theorie des Raumsehens als Korrektiv allzu naiver Vorstellungen über die Rolle der Linearperspektive, wie sie in der Kunstgeschichte noch öfters anzutreffen sind [1]. Bei einigen anderen Berichten aus der Praxis vermisst man zwar einen tief schürfenderen Frageansatz und Theorieabgriff, aber das ist bei solchen Zusammenführungen unterschiedlicher Diskurswelten kaum zu vermeiden.
Insgesamt stellt das virtuelle Themenheft der Zeitschrift eine Fundgrube grundlegender Beiträge und weiterführender Anregungen dar, die aufgrund der Präsentation im Internet auch gut zugänglich ist.
Der Rezensent bezeichnet sich gerne als Anhänger und auch als so genannter Early Adopter der neuen digitalen Medien (inklusive einiger Schattenseiten dieser Rolle generell). Trotzdem möchte er an dieser Stelle ein paar kritische Worte zu der Präsentation der Heftserie "Wolkenkuckucksheim - Cloud-Cuckoo-Land - Vozdushnyi zamok" formulieren. Es ist zwar nachzuvollziehen, dass im Internet nicht unbedingt dieselben Regeln bibliografischer Identifizierung gelten müssen wie in der Welt der gedruckten Bücher, Broschüren und Zeitschriften. Trotzdem haben sich diese Regeln in der Mehrzahl als sinnvoll und hilfreich erwiesen, um wissenschaftliches Schrifttum eindeutig nachzuweisen. Leider hat auch ein längerer Text im World-Wide-Web technisch begründet nun einmal keine Seitenzahlen, die das Auffinden einer zitierten Stelle analog zum Drucktext erleichtern. Dafür sind digitale Texte einer Volltextsuche zugänglich. Problematischer ist jedoch der Fall, der auch hier vorliegt, dass oft nicht klar wird, wie ein Autorentext überhaupt angesprochen werden soll. Sollen z. B. die einzelnen Aufsätze als autonome Einheiten bibliografiert werden, unter Angabe von Autor, Titel und URL, oder als Teile des virtuellen Heftes "Gebaute Räume. Zur kulturellen Formung von Architektur und Stadt"? Oder aber als Teil der Zeitschrift "Wolkenkuckucksheim - Cloud-Cuckoo-Land - Vozdushnyi zamok. Internationale Zeitschrift für Theorie und Wissenschaft der Architektur"? Gibt es hier einen verbindlichen Kurztitel? Kurzum, es fehlen Angaben zu einer erwünschten und einheitlichen Zitierweise, so wie sie beispielsweise in KUNSTFORM am Ende der Besprechungen erscheinen. Solche sind natürlich nicht in jedem Text des Internets notwendig, aber eine "Zeitschrift" sollte schon das Ideal der Einheitlichkeit verfolgen.
Des Weiteren ist es der Rezeption deutlich kontraproduktiv, dass die Texte der Zeitschrift wohl ausschließlich für die Onlinelektüre am Bildschirm vorgesehen sind. Schade ist es auch, dass die Beiträge trotz der technischen Möglichkeiten so zurückhaltend und manchmal auch technisch unbefriedigend (reine Thumbnails) illustriert sind. Natürlich kann man auch Html-Dokumente ausdrucken, doch als dies der Rezensent tat, um die umfangreiche Textmenge u. a. auf ein paar Bahnfahrten zu lesen, wurden einige der Texte in eigenartiger Weise am rechten Rand um etwa ein bis zwei Wörter beschnitten. Hier sei für die Zukunft dringend die zusätzliche Bereitstellung einer layoutkonsistenten PDF-Version empfohlen, in der man dann auch gleich zitierfähige Seitenzahlen und einen Vorschlag für den bibliografischen Nachweis unterbringen könnte. Trotzdem soll hier die Leistung der ehrenamtlichen Redaktion, das Projekt überhaupt über einen längeren Zeitraum am Laufen zu halten, ausdrücklich gewürdigt werden.
Alle diese technische Kritik soll aber niemanden davon abhalten, sich auf die Site dieser überaus informativen, wirklich interdisziplinären und methodologisch anregenden Textsammlung zu begeben. Einige der Hefte von Wolkenkuckucksheim werden später als gedruckte Bücher herausgegeben. Es kann die Redaktion von Wolkenkuckucksheim nur ermutigt werden, dies auch mit dem hier Besprochenen zu tun. Die zugrunde liegende Programmatik und erzielte Konsistenz der Unternehmung würde wahrscheinlich noch besser zur Geltung kommen.
Anmerkung:
[1] Vgl. auch: James J. Gibson: Die Sinne und der Prozeß der Wahrnehmung, Bern / Stuttgart / Wien 1973.
Stephan Hoppe