Rezension über:

Gerhard Ammerer / Alfred Stefan Weiß (Hgg.): Die Säkularisation Salzburgs 1803. Voraussetzungen - Ereignisse - Folgen. Protokoll der Salzburger Tagung vom 19.-21. Juni 2003 (= Wissenschaft und Religion. Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg; Bd. 11), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, 320 S., ISBN 978-3-631-51918-9, EUR 51,50
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Rezension von:
Wolfgang Rosen
Landschaftsverband Rheinland, Köln
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Rosen: Rezension von: Gerhard Ammerer / Alfred Stefan Weiß (Hgg.): Die Säkularisation Salzburgs 1803. Voraussetzungen - Ereignisse - Folgen. Protokoll der Salzburger Tagung vom 19.-21. Juni 2003, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 6 [15.06.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/06/8415.html


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Gerhard Ammerer / Alfred Stefan Weiß (Hgg.): Die Säkularisation Salzburgs 1803

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Über die Säkularisation, ihre Vorgeschichte und Folgen ist in den letzten Jahren anlässlich der Ereignisse vor 200 Jahren sehr viel publiziert worden, insbesondere in Sammelbänden zu einzelnen Regionen. [1] Auf Salzburg bezieht sich der hier vorzustellende Band. Salzburg ist als ehemaliges geistliches Hochstift geradezu prädestiniert, unter dem Aspekt der Säkularisation untersucht zu werden. Noch heute existiert das Land als säkularisiertes Territorium - in stark veränderter Form und mit einer langen Unterbrechung - als politische Gebietskörperschaft. In diesem Band werden neben der Einleitung 12 Aufsätze präsentiert, die auf eine vom Land und der Universität Salzburg initiierte Tagung "Vom Erzstift zum Bundesland" zurückgehen. Ziel war es, neben der bislang stark politik- und verfassungsgeschichtlich ausgerichteten Fokussierung neue Aspekte zu thematisieren.

Gerhard Ammerer führt in seiner Einleitung aus, dass die Diskussion über die Rechtmäßigkeit der Säkularisation bereits von den Zeitgenossen gestellt wurde, im "Jubiläumsjahr 2003" allerdings einer differenzierteren Sichtweise Platz gemacht habe. Nach dieser Einleitung bieten zwei instruktive Überblicksaufsätze von H. Rumpler und H. Klueting eine Tour d'horizon über die Situation an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Helmut Rumpler kratzt an dem lange gepflegten Bild, nach dem die Säkularisation als "tragischer Wendepunkt" interpretiert wurde. Der Autor sieht die Folgen der Säkularisation langfristig weitgehend positiv. Bemerkenswert findet er, dass die Reichskirche in ihrem Abwehrkampf gegen das Landeskirchentum im Papsttum einen Gegner erkennen musste.

Harm Klueting weist auf die überregionale Bedeutung hin, die der Salzburger Spätaufklärung in den 1780er Jahren unter seinem Landesfürsten, dem Erzbischof Hieronymus Graf Colloredo, zukam. Zu den Anliegen Colloredos, einem Anhänger von Voltaire und Rousseau, zählten der Kampf gegen kirchliche Prunkentfaltung, sein Engagement für eine Liturgiereform, die Verbreitung des Bibellesens und die Reform des Elementarschulwesens.

In Ergänzung hierzu wendet sich Thomas Weidenholzer den Ambivalenzen des Aufklärungsfortschritts zu und weist auf die zwischen Traditionalisten und Neuerern ausgetragenen Konflikte hin. Ausschlaggebend für den Aufschwung der Salzburger Publizistik war insbesondere die liberale Zensurpolitik Colloredos. Aufgeklärte Reformen sind in Salzburg also vor allem der Initiative fürstlicher Macht zu verdanken. Biographisch angelegt und ebenfalls den Fürsterzbischof thematisierend ist der Beitrag von Alfred Stefan Weiß. Wie schon Weidenholzer betonte, ging Colloredo, dem führende Modernisierungspolitiker nacheiferten, auch gegen die Feinde der Aufklärung vor und griff die Äußerlichkeiten des Barockkatholizismus an. Die Kritik an den kirchlichen Missständen verband er mit einer Forderung nach einer intensiveren Armenpolitik. Allerdings stießen einige seiner Maßnahmen wie die Aufhebung von Feiertagen selbst bei Anhängern der Aufklärung auf Kritik.

Aus der Perspektive der Untertanen beleuchtet Norbert Schindler deren Wahrnehmung der obrigkeitlichen Willkür anhand der Behandlung von Hofhunden; hier ging es um die Weigerung der Bauern, diese zu "knüppeln". So interessant es auch ist, an dieser speziellen Auseinandersetzung allgemeine Gesellschaftskonflikte darzustellen, erscheint allerdings der anthropologische Abschnitt über die Domestikationsgeschichte des Hundes hier entbehrlich.

Stand im ersten Teil des Bandes weitgehend die Zeit vor der Säkularisation im Vordergrund, so wird im zweiten Teil die Folgezeit thematisiert. Erfreulich ist, dass manche Aspekte auch aus den Blickwinkeln anderer Teildisziplinen untersucht werden. So spürt Ingonda Hannesschläger den verlorenen Kunstschätzen nach und stellt die Auswahlkriterien und unterschiedlichen Rechtfertigungsstrategien derjenigen vor, die kirchliche Kunstgegenstände an sich nahmen. Allerdings bleibt es schwierig, selbst mit Hilfe der Inventaraufstellungen auch nur halbwegs vollständige Verlustlisten zu erarbeiten. Aus rechtsgeschichtlicher Sicht referiert Peter Putzer über die verfassungsrechtlichen Fragen und den jeweiligen staatsrechtlichen Status nach den wiederholten Herrschaftswechseln.

Die Wirtschaftsgeschichte thematisiert Christian Dirninger unter der Prämisse, dass die Zeit um 1803 keine Zäsur darstellte, sondern lediglich einen markanten Punkt in einem mehrphasigen Übergangszeitraum, der im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts begonnen hatte und bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts andauerte - letztlich übernimmt er also das Sattelzeit-Konzept von Reinhard Koselleck. Besonders gut ist die methodische Vorgehensweise Dirningers, denn zum einen analysiert er die jeweilige Struktur und Entwicklung der einzelnen Wirtschaftssektoren anhand ausgewählter und aussagekräftiger Indikatoren (und greift dabei - wie sonst gerne praktiziert - nicht auf zeitgenössische Beschreibungen zurück), die in sehr unterschiedlichem Ausmaß von den Auswirkungen der Säkularisation betroffen waren, wodurch sich ein breit gefächertes Bild ergibt. Zum anderen differenziert er in zeitlicher Hinsicht und richtet das Augenmerk auf die Finanz- und Wirtschaftpolitik der Vor-Säkularisationszeit. So kann die Rezession nach 1803 nicht nur als Folgewirkung der verlorenen staatlichen Selbstständigkeit interpretiert werden, sondern die Ursachen liegen vielmehr weiter zurück in wirtschaftsstrukturellen Defiziten: Dominanz des rückständigen Agrarsektors, wenig frühindustrielle Elemente, hoher Verstaatlichungsgrad in zentralen Bereichen (Salz, Montan) sowie die fiskalisch-vermögenswirtschaftlich ausgerichtete Geld- und Finanzpolitik.

Für die Stadt Salzburg waren die Auswirkungen der Degradierung von einer Residenz- zu einer Provinzstadt - also der Verlust von Hof, Universität und Münze - gravierend, wie Sabine Veits-Falk deutlich macht. Den Folgen der Säkularisation auf das kirchliche Leben gehen Alfred Rinnerthaler und Rupert Klieber nach. Klieber stellt die Fragen nach den Persönlichkeitsprofilen der Erzbischöfe sowie nach der "Bodenständigkeit" des Salzburger Klerus und der Ordensleute als einem Indikator für internalisierte "Kirchlichkeit", worunter der Autor die Häufigkeit und regionale Streuung der Bereitschaft für eine kirchliche Berufswahl versteht - eine meines Erachtens zu stark eingeschränkte Sicht des Begriffs "Kirchlichkeit", der nicht auf dieses Kriterium eingeengt werden kann. Bis 1914 wurde der Klerus "bodenständiger", kamen die Personen also aus Salzburger Territorien. Hierfür wertete Klieber die Diözesanschematismen aus. Auf diese Weise wird deutlich, dass es regionale Divergenzen gab und die zeitgenössischen Klagen über einen Priestermangel von der Statistik nur bedingt untermauert werden. Es wird auch die stärkere Dynamik der weiblichen Ordenszweige erkennbar - ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, das bislang zu wenig von der Forschung beachtet worden ist.

Alfred Rinnerthaler nennt seinen Beitrag "Vom 'Kirchenstaat' zum seelsorgerlichen 'Notstandsgebiet'" - allerdings konnte 1825 wieder ein 14-köpfiges Domkapitel installiert und der Metropolitansprengel neu umschrieben werden. Abschließend betrachtet Heinz Dopsch die neueren Forschungsergebnisse hinsichtlich der durchaus auch positiven Verhältnisse der Vor-Säkularisationszeit. Er weist noch einmal darauf hin, dass beispielsweise die Schuldichte und der Alphabetisierungsgrad im katholischen Kurbayern größer waren als im protestantischen Brandenburg-Preußen.

Alle Autoren vermeiden, sowohl am lange gepflegten Bild von der "guten alten Zeit" des eigenständigen Erzstiftes Salzburg als auch an der "Katastrophentheorie" weiter zu arbeiten. Kritisch anzumerken bleibt, dass in einem thematisch einschlägigen Band immer noch die Begriffe "Säkularisation" und "Säkularisierung" falsch verwendet werden - und dies, obwohl G. Ammerer selbst in seiner Einleitung auf die Genese der Begriffe sowie die unterschiedlichen Bedeutungen hinweist. Zudem ist die Qualität der Abbildungen nicht immer überzeugend, und leider kann der Leser auf kein Register und Literaturverzeichnis zurückgreifen.

Der Sammelband vermag durch die Konzentration auf ein ehemaliges geistliches Territorium viele Themenbereiche zu beleuchten und kann in thematischer (Politik, Theologie, Wirtschaft, Kunst, Recht) und methodischer Hinsicht (wie v. a. der wirtschaftsanalytische Aufsatz verdeutlicht) recht facettenreich die Säkularisation, ihre Vorgeschichte und Folgen darstellen.


Anmerkung:

[1] Vgl. die Besprechungen von Wolfgang Rosen sehepunkte 4 (2004), Nr. 5 (URL: http://www.sehepunkte.de/2004/05/6197.html , 3.6.2006) und 5 (2005), Nr. 5 (URL: http://www.sehepunkte.de/2005/05/6944.html, 3.6.2006) und von Wolfgang Reinhard in sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8 (URL: http://www.sehepunkte.de/2004/07/6069.html, 3.6.2006).

Wolfgang Rosen