Günter Buchstab / Brigitte Kaff / Hans-Otto Kleinmann (Hgg.): Christliche Demokraten gegen Hitler. Aus Verfolgung und Widerstand zur Union, Freiburg: Herder 2004, 536 S., ISBN 978-3-451-20805-8, EUR 19,00
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"Oft wird übersehen oder geflissentlich übergangen, daß es im Dritten Reich [...] auch einen 'politischen' Widerstand gab, der aus der kompromißlosen Dissenshaltung ehemaliger Mitglieder und Funktionsträger der nichtsozialistischen 'Weimarer' Parteien und Gewerkschaften hervorging." Diese Feststellung, die Günter Buchstab, Brigitte Kaff und Hans-Otto Kleinmann im einleitenden Kapitel zu ihrem Sammelwerk über "Christliche Demokraten gegen Hitler" treffen (17), ist für das Jahr 2004 etwas überraschend. Dass der deutsche Widerstand nicht nur von Sozialdemokraten, Kommunisten, linken Gewerkschaftern, kirchlich Engagierten und hohen Militärs getragen wurde, sondern auch von Vertretern der bürgerlichen Parteien der Weimarer Zeit, ist heute unumstritten. Dass zahlreiche spätere Mitglieder der beiden Unionsparteien CDU und CSU im Widerstand aktiv waren - wobei sich diese Aktivitäten stark voneinander unterscheiden konnten - und zu den Verfolgten der nationalsozialistischen Diktatur gehörten, unterliegt mittlerweile keinem Zweifel mehr.
Doch den drei Herausgebern geht es nicht in erster Linie darum, die genannte These zu untermauern. Sie möchten vielmehr die christlichen Demokraten als "politische Gruppe" (17 f.) herausstellen, die sich - in den verschiedensten Formen - am deutschen Widerstand beteiligte. Dieses Vorhaben bedarf einer sorgfältigen Argumentation, denn dass es sich nicht um eine einheitliche, sondern um eine äußerst heterogene Gruppe handelte, machen Buchstab, Kaff und Kleinmann von Anfang an deutlich. Ihre Auffassung präsentieren sie mit dem vorliegenden Band nicht zum ersten Mal. Schon Mitte der Achtzigerjahre haben sie eine "Gruppe von Widerstandsträgern" in den Blick genommen, die sie genau eingrenzten: Abgeordnete und Mitglieder der konfessionellen Parteien wie des Zentrums, der Bayerischen Volkspartei und des Christlich-Sozialen Volksdienstes, Funktionäre und Mitglieder der christlichen Arbeiterorganisationen, Angehörige des kirchlichen Widerstands und Mitglieder sonstiger Widerstandskreise, soweit sie nach Kriegsende zu den Gründern der Unionsparteien in Deutschland zählten. [1]
Knapp 20 Jahre später, anlässlich des 60. Jahrestags des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944, wiederholten die drei Herausgeber ihre nicht unumstrittene These, und auch diesmal ist ihre Argumentation nicht vollkommen überzeugend: Buchstab, Kaff und Kleinmann weisen den Begriff "bürgerliche" Opposition zurück und stellen für die christlichen Demokraten vier Identitätsmerkmale vor: ihr politisch-soziales Engagement im politischen System der Weimarer Republik, ihre entschiedene Gegnerschaft zum Nationalsozialismus, ihren Beitrag zur politischen Neuformierung der Demokratie und schließlich ihre aktive Vorbereitung einer Erneuerung von Politik und Gesellschaft im Geiste des Christentums. Mit den ersten drei Punkten könnte freilich auch ein Sozialdemokrat beschrieben werden; erst der vierte Punkt lässt eine stärkere Abgrenzung von anderen Gruppen erkennen. Was darunter genau zu verstehen ist, wird im letzten Teil der Einleitung über "zukunftsweisende Grundentscheidungen" deutlich, der den christlichen Demokraten mehr Kontur verleiht (43-53). So weisen Buchstab, Kaff und Kleinmann darauf hin, dass eine neue Parteiformation angestrebt wurde, die vor allem die konfessionellen Gräben überwinden sollte. Von der Gemeinsamkeit in Verfolgung und Widerstand sei dafür eine "vorstrukturierende Kraft" (45) ausgegangen.
Doch auch andere "Grundentscheidungen" finden Erwähnung, etwa die Option für eine "machtverteilende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung". Die drei Herausgeber machen deutlich, dass über die gesellschafts-, sozial- und wirtschaftspolitischen Neuordnungsvorstellungen kein Konsens, aber doch ein gemeinsamer Nenner bestand, nämlich das Bestreben, die traditionellen sozialen und weltanschaulichen Gegensätze aus der Zeit der Weimarer Republik und des Kaiserreichs zu überbrücken. Die katholische Soziallehre, die evangelische Sozialethik und der Ordo-Liberalismus haben ihrer Meinung nach den "Grundstein" für den Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland gelegt. Neben Rechtsstaatlichkeit und Anti-Totalitarismus wird schließlich auch die Europa-Idee genannt. Zwar weisen die Herausgeber darauf hin, dass auch andere Widerstandsgruppen Vorschläge für eine europäische Nachkriegsordnung entwickelten. Doch für sie hat sich die "geistig-politische Affinität zur europäischen Idee" (52) am stärksten in der Programmatik der christlichen Demokraten ausgebildet.
Insgesamt reichen diese Gemeinsamkeiten wohl nicht aus, um vor 1945 von einer politischen Gruppe der christlichen Demokraten sprechen zu können. Doch das ist letztlich auch nicht entscheidend. Es gilt vielmehr, diejenigen zu würdigen, die Opfer der NS-Diktatur wurden und/oder aktiv im Widerstand tätig waren - und dieser Aufgabe widmet sich der Band intensiv und eindrucksvoll. Für die insgesamt 60 Kurzporträts, deren Schwerpunkt auf der sorgfältigen Rekonstruktion der Jahre zwischen 1933 und 1945 liegt, zeichnen 37 Autoren verantwortlich, darunter die drei Herausgeber und andere angesehene Historiker wie Winfried Becker, Kurt Düwell, Rudolf Lill, Hans Peter Mensing und Rudolf Morsey, um nur einige zu nennen. Unter den Porträtierten finden sich so bekannte Namen wie Konrad Adenauer, Karl Arnold, Hermann Ehlers, Eugen Gerstenmaier, Jakob Kaiser, Josef Müller und Fritz Schäffer, aber auch weniger bekannte wie Hanna Gerig und Therese Körner.
Es ist im Rahmen dieser Besprechung nicht möglich, die einzelnen biografischen Porträts angemessen zu würdigen; zwei allgemeine kritische Bemerkungen seien jedoch erlaubt: In der Regel folgen am Ende eines Porträts nur Hinweise auf Forschungsliteratur und den jeweiligen Nachlass. Hinweise auf weitere Quellen hätten den Band sicher noch bereichern können. So lassen sich für Josef Müller Entschädigungs- und Spruchkammerakten im Archiv des Bayerischen Landesfinanzamts bzw. im Staatsarchiv München finden, ebenso für Fritz Schäffer (im Bayerischen Hauptstaatsarchiv bzw. Staatsarchiv München). Zu Georg Meixner liegen zahlreiche Rückerstattungsakten im Staatsarchiv Nürnberg vor. Auf Grund der besonderen Sperrfristen können Entschädigungs- und Rückerstattungsakten zwar noch nicht ohne weiteres eingesehen werden, aber die Kurzporträts sollen auch zu weiteren biografischen Studien anregen, und dafür wären entsprechende Hinweise hilfreich gewesen. Was dem Band zudem fehlt, ist ein kritischer Apparat. Der Leser möchte doch gerne erfahren, woher die Verfasser ihre vielfältigen Informationen beziehen, und gerade die wertvollen Hinweise zu Verfolgung und Widerstand im 'Dritten Reich' sollten sorgfältig belegt werden. Lobenswert ist dagegen, dass die Verfasser ihren Protagonisten nicht mit parteipolitischen Scheuklappen gegenüberstehen, wie beispielsweise der Aufsatz über Hundhammer zeigt. So macht Oliver Braun deutlich, dass Hundhammers Verhältnis zur NSDAP in den Jahren 1932 und 1933 "nicht frei von Widersprüchen und Ambivalenzen" war (307). Auf diese Weise gelingt ihm ein ausgewogenes Porträt.
Mit der Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung liegt ein umfangreiches, preiswertes, gut lesbares, anregendes und fundiertes Werk vor, dessen Hauptthese, die christlichen Demokraten als politische Gruppe im Widerstand gegen Hitler zu fassen, freilich zu weiteren Diskussionen herausfordert.
Anmerkung:
[1] Günter Buchstab/Brigitte Kaff/Hans-Otto Kleinmann: Verfolgung und Widerstand 1933 - 1945. Christliche Demokraten gegen Hitler, Düsseldorf 1986, 10.
Tim Szatkowski