Rezension über:

Tim Flannery: Wir Wettermacher. Wie die Menschen das Klima verändern und was das für unser Leben bedeutet. Aus dem Englischen von Hartmut Schickert, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2006, 397 S., ISBN 978-3-10-021109-5, EUR 19,90
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Stefan Rahmstorf / Hans Joachim Schnellnhuber: Der Klimawandel. Diagnose, Prognose, Therapie (= C.H. Beck Wissen; 2366), München: C.H.Beck 2006, 144 S., 25 Abb., 2 Tab., ISBN 978-3-406-50866-0, EUR 7,90
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Rezension von:
Anselm Tiggemann
Landtag Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Anselm Tiggemann: Die Klimageschichte der Erde, die globale Erwärmung und ihre Folgen (Rezension), in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/10/10683.html


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Die Klimageschichte der Erde, die globale Erwärmung und ihre Folgen

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Die Zunahme von Wetterextremen (etwa ein Vielfaches des ungewöhnlich heißen und trockenen Julis 2006 in Deutschland), der Rückgang des arktischen Eises und der Anstieg des Meeresspiegels sind einige der Folgen des vom Menschen verschuldeten Klimawandels. Sie sind bereits seit einigen Jahrzehnten festzustellen und lassen sich weder leugnen noch aufhalten. Die einzige für den Menschen verbleibende Möglichkeit ist, den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch (beispielsweise beim Kohlendioxid um 70% bis 2050) zu reduzieren, um die globale Erwärmung abzumildern. Nur so lassen sich die anthropogenen Einflüsse auf das Klima soweit begrenzen, dass es nicht "umkippt". Darin sind sich die Autoren beider Bücher einig.

Die Potsdamer Physiker Rahmstorf und Schellnhuber skizzieren knapp und präzise die Klimageschichte der Erde und die globale Erwärmung sowie ihre Folgen. Außerdem benennen sie den Stand der öffentlichen Diskussion um den Klimawandel in den USA und der Bundesrepublik Deutschland und zeigen politische Lösungsvorschläge für das Klimaproblem auf. Das schmale Bändchen in der Reihe C.H. Beck Wissen ist Jedem zu empfehlen, der schnell und punktgenau Informationen zu den wichtigsten Zusammenhängen des Klimawandels erhalten möchte.

Wer die komplexen Zusammenhänge genauer erläutert haben möchte und die weit reichenden Folgen der globalen Erwärmung anhand anschaulicher Beispiele aus der beruflichen Praxis eines Vollblutzoologen kennen lernen will, sollte es sich nicht nehmen lassen, das sehr gut zu lesende, fast 400 Seiten-starke Buch von Flannery zur Hand zu nehmen. Neben den vielfältigen Wirkungszusammenhängen, die einfachen Prognosen zum Klimawandel entgegenstehen, illustriert der Direktor des South Australian Museum in Adelaide drastisch anhand des Artensterbens in verschiedenen Öko-Systemen, wie bedroht die Biodiversität bereits ist. Aber nicht nur der Verlust einzelner Arten, wie der mittelamerikanischen Goldkröte oder die Bedrohung beispielsweise der Artenvielfalt der Sukkulenten in der südafrikanischen Karruwüste ist zu beklagen, sondern die Ressourcennetzwerke unserer Zivilisation wie die Wasser- oder die Nahrungsmittelversorgung werden durch die Folgen des Klimawandels in Gefahr geraten. Sie sind so "verwundbar wie ein Säbelzahntiger" (236). Flannery räumt zwar ein, dass bis jetzt der Klimawandel für die Zivilisation "relativ geringe Auswirkungen" gezeigt hat und ihr möglicher Untergang von der Schnelligkeit des Wandels abhängt. Wenn jedoch die biologische Produktivität auf Grund eines abrupten Wandels zurückgeht, können insbesondere Großstädte und Ballungsräume nicht mehr ausreichend versorgt werden.

Dies ruft die Frage nach wirksamen Gegenmaßnahmen auf den Plan. Wie die Potsdamer Klimaforscher widmet sich auch der Australier Flannery dem Medien- und Politdiskurs um die Klimafrage. Dass dabei keine Zeit zu verlieren ist, machen beide Bücher deutlich. Flannery zeigt anhand des Schutzes der Ozonschicht auf, wie internationales Handeln erfolgreich sein kann. Als der wissenschaftliche Zusammenhang zwischen Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) und Ozonabbau erbracht worden war, wurde 1987 das Protokoll von Montreal vereinbart, mit dem sich die Regierungen der Welt dazu verpflichteten, die schädlichen Chemikalien nach und nach abzuschaffen. Das Ziel wurde erreicht, im Jahr 2004 schrumpfte das Ozonloch um 20%.

Das Kyoto-Protokoll von 1997 ist die einzige internationale Übereinkunft, die eine reale Minderung der wichtigsten Treibhausgasemissionen vorschreibt. Flannery spricht sich trotz aller Probleme beispielsweise bei der Festlegung der Reduktionsverpflichtungen der einzelnen Staaten für das Kyoto-Protokoll aus und kritisiert sein Heimatland und die USA, die sich diesem Lösungsweg verweigern. Kyoto kann jedoch nur ein Anfang eines notwendigen globalen Klimaschutzes sein. Selbst wenn das Protokoll vollständig eingehalten wird, sind bis 2010 erst 5 % der Emissionen in den Industriestaaten reduziert, die durch den verstärkten Ausstoß in den Entwicklungsländern wett gemacht werden. Daher werden in beiden Büchern weitere Lösungsmöglichkeiten des Klimaproblems angesprochen.

So plädieren Rahmstorf und Schellnhuber für ein weltweites Klimapflichtversicherungssystem (analog zur Pflichtversicherung in einer Pflege- oder Krankenversicherung). Jeder Mensch wäre Mitglied in dieser "Klimakasse". Seine jährlich anfallenden Versicherungsprämien würden von den Staaten der Erde aufgebracht - und zwar nach Maßgabe ihres jeweiligen Anteils an den gesamten Treibhausgasemissionen. Für den Fall, das sich die negativen Folgen des Klimawandels verschärfen, skizziert Flannery die Möglichkeit einer globalen Öko-Diktatur, in der eine "Welt-Kommission für Thermostatsteuerung" durch weit reichende Reglementierungen den Kohlenstoffzyklus kontrolliert.

Diese Zukunftsperspektive ist wenig erstrebenswert und erinnert an George Orwell oder die Untergangsszenarien einiger Ökologen der 1970er-Jahre. Sie macht die Grenzen der Prognosen und Vorhersagen deutlich, die manchmal eher als plausible Gedankenspiele denn als reale Zukunftsmöglichkeiten erscheinen. Notwendigerweise liegt bei beiden Büchern das Hauptaugenmerk auf den naturwissenschaftlichen Zusammenhängen des Klimawandels, sodass für den Historiker die Wiedergabe der politischen Diskussionen und Standpunkte zu holzschnittartig daherkommt.

Sicherlich ist Skepsis gegenüber Studien angebracht, die - von interessierten Industriekreisen finanziert - den Klimawandel relativieren. Angesichts des Konsenses, der in der Wissenschaft über die Tatsache des anthropogen verursachten Klimawandels besteht, verwundert es schon, wie sich Politiker, Medien und Verbände streiten und negative Folgen des Klimawandels auf den Menschen verneint oder verharmlost werden. [1] Aufgabe des Umwelthistorikers wird es sein, diese Debatten zu analysieren. Es wird zu klären sein, wie mit den Vorboten des jetzt nicht mehr ernsthaft zu leugnenden Wandels umgegangen wurde. Bei dieser Frage drohen die Autoren beider Bücher in das Fahrwasser allzu einfacher Erklärungsmuster zu geraten nach dem Motto: Hier die böse Industrielobby, welche die korrupte Politik gekauft hat, da die löblichen Klimaforscher, die schon immer vor dem Problem gewarnt haben.

Die Vorstellung, dass die Einsicht in das Klimaproblem zu raschen kollektiven Verhaltensänderungen führt, die sich nachhaltig positiv auswirken, erinnert an Umweltdebatten der 1980er-Jahre (beispielsweise die Diskussion um ein freiwilliges Tempo 100, um den Stickoxidausstoß zu reduzieren). Flannerys Aufforderungen an den Leser zum individuellen Klimaschutzbeitrag sind sinnvoll (beispielsweise kleinere Autos zu kaufen und beim Heimwerken auf Elektrogeräte zu verzichten). Die Annahme, dass allein die Lektüre seines Buches zur Umsetzung eines solchen Verhaltens führt, wirkt etwas naiv. Rahmstorf und Schellnhuber wahren eine größere Distanz zum Leser, sodass individuelle Ratschläge fehlen. Ihre knappe Diskussion aktueller klimapolitischer Vorschläge ist fundierter und bietet dem politikwissenschaftlich und zeithistorisch interessierten Leser einen guten Überblick. Alles in allem skizzieren beide Bücher ein zentrales Problem der Menschheit auf kurze und faktenreiche (Rahmstorf und Schellnhuber) sowie anschauliche (Flannery) Art und Weise. Da der vom Menschen verursachte Klimawandel immer größere Auswirkungen auf die Biosphäre haben wird, werden Klimafragen für den Umwelthistoriker noch wichtiger werden.


Anmerkung:

[1] Beispielsweise Bundesministerium für Forschung und Technologie (Hrsg.): Klimaprobleme und ihre Erforschung, Bonn 1987, 28: "Auswirkungen einer globalen Erwärmung auf die menschliche Gesundheit sind - abgesehen von der Adaption an leicht veränderte Klimasituationen - nicht zu erwarten."

Anselm Tiggemann