Cecilie Hollberg: Deutsche in Venedig im späten Mittelalter. Eine Untersuchung von Testamenten aus dem 15. Jahrhundert (= Studien zur Historischen Migrationsforschung; Bd. 14), Göttingen: V&R unipress 2005, 294 S., ISBN 978-3-88971-207-3, EUR 29,90
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David Rosand: Myths of Venice. The Figuration of State, Chapel Hill, NC / London: University of North Carolina Press 2001
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Barbara Stollberg-Rilinger: Rituale, Frankfurt/M.: Campus 2013
Mit dieser Göttinger Dissertation von Cecilie Hollberg, die zunächst von Hartmut Boockmann und nach dessen Tod von dem kürzlich verstorbenen Ernst Schubert betreut wurde, führt das Osnabrücker Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien seine Publikationsreihe erstmals vor das 18. Jahrhundert zurück. Mit der Auswertung von Testamenten deutscher Zuwanderer und Gäste aus dem Venedig des 15. Jahrhunderts wird die Frage nach deren Akkulturation gestellt und positiv beantwortet.
Die Quellengrundlage sind 181 Testamente, die gleichmäßig verteilt in der Zeit von 1400 bis 1499 abgefasst wurden. Die Testatoren waren zu zwei Dritteln männlichen Geschlechts, ein einziger nicht-christlichen Glaubens: der Jude Lazarus aus Nürnberg. Die Venezianer Testamente sind eine Fundgrube für Realienforscher, man vergleiche nur die minuziöse Betrachtung von Kleidung und Stoffen im Kapitel über die weltlichen Legate (190-199), allerdings nur "selten scheint zwischen den Zeilen etwas Persönliches hindurch" (206); gleichwohl gelingt es Hollberg, anhand von genannten Personen soziale Netzwerke und anhand von Legaten sozial-religiöses Verhalten zu rekonstruieren. Zum Vergleich dienen ihr die Ergebnisse der Dissertation von Linda Guzzetti, die bereits vor einigen Jahren Venezianer Testamente für eine sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung auswertete. [1]
Hollberg kann zeigen, dass "die Handwerker kaum noch Verbindungen zu ihrer Heimat aufrecht" hielten (247), vielmehr "intensive soziale Bindungen zur venezianischen Umwelt" pflegten; das konnte soweit gehen, "daß aus den Testamenten keinerlei Verbindungen mehr zu Deutschen erkennbar sind, was als Beleg für die Integration der Deutschen in ihre venezianische Umgebung zu werten ist" (18). Es stifteten nur "ein Drittel der Testatoren an spezifisch deutsche Bruderschaften" (247). "Unter den Kirchen gab es [...] keine, die als besonderer Bezugspunkt betrachtet wurde", nicht einmal S. Bartolomeo, die Pfarrkirche des Fondaco dei Tedeschi (248). Abgesehen von einer gewissen Konzentration im und um diesen zentral bei der Rialto-Brücke gelegenen Wirtschaftshof der Deutschen (was aber sicher damit zu tun hat, dass jeder Zehnte der Testatoren Kaufmann war, 247), lebten die Testierenden denn auch in der ganzen Stadt verteilt, was auf einer Karte veranschaulicht wird (60). Das Resümee der Arbeit über die Deutschen überrascht daher nicht: "Weder fühlten sie sich als Fremde, noch wurden sie dazu durch äußere Umstände gezwungen." (251).
Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt auch meine ebenfalls 2005 erschienene Untersuchung zu den transalpinen Zuwanderern im spätmittelalterlichen Italien [2]; die Arbeit von Knut Schulz und Christiane Schuchard zu den deutschen Handwerkern im Rom der Renaissance aus demselben Jahr zeigt zwar deren enge Anbindung an landsmannschaftliche Bruderschaften, gleichzeitig aber die Verteilung der von deutschen Zuwanderern betriebenen Bäckereien über die ganze Stadt. [3]
Bei der aufwändigen Suche nach den passenden Testamenten im Venezianer Staatsarchiv bemühte sich Hollberg um Repräsentativität, indem sie Dutzende von Notaren berücksichtigte (6 Testamente manu propria, 19 manu aliena; 146 auf Latein, 33 in Volgare, 2 auf Deutsch). Bei deren Auswertung, die sich in 13 Tabellen niederschlägt, erweist es sich allerdings als problematisch, dass sie sich nicht auf Zuwanderer beschränkte, sondern auch Fernhändler hinzunahm, die offensichtlich nicht auf Dauer, sondern gastweise in der Stadt weilten, zumeist im Fondaco dei Tedeschi. So relativiert sich die im Vergleich mit den Ergebnissen der Untersuchung von Brunehilde Imhaus zu den Albanern, Dalmatiern und Griechen aus den venezianischen Kolonien [4] gewonnene Aussage, dass "das Vermögen der Deutschen um ein Vielfaches über dem beispielsweise der östlichen Europäer" gelegen habe (im Durchschnitt 134 Duk. zu 27 Duk.), wenn man erfährt, dass es alleine der Frankfurter Kaufmann Hans Rauchfas auf 5.194 Dukaten brachte (161).
Der herausragende Rang, den der Fondaco dei Tedeschi zu Recht in der Geschichte wie in der Forschung zu Venedig einnimmt, führt zu eigentümlichen Maßstabsverzerrungen: "Wider Erwarten testierten relativ wenige Kaufleute bzw. Händler, von denen eigentlich hätte angenommen werden können, dass sie die größte Gruppe darstellen, wenn man bedenkt, dass sie mit dem Fondaco einen Konzentrationspunkt in der Stadt besaßen." (74). So überraschend ist dieser Befund nicht, gab es doch zum einen viele Gründe, warum deutsche Kaufleute, die sich nur vorübergehend in der Stadt aufhielten, nicht in Venedig testierten und selbst wenn man berücksichtigt, dass nur Besitzende ein Testament zu machen pflegen und unter den Zuwanderern viele Habenichtse waren, stellten die Kaufleute doch sicher nur einen Bruchteil der Deutschen in Venedig dar, deren Zahl sich "auf einige Tausend" schätzen lässt (15). Unter den Handwerkern ragen wie andernorts in Italien die Bäcker und Schuster hervor sowie ortsspezifisch die Ballenbinder, während bei der Auflistung der 47 verschiedenen Berufe, die in den Testamenten auftauchen (69 f.), die sonst allgegenwärtigen Wirte fehlen, was aber daran liegen mag, dass in dieser Arbeit ein hospes nicht als Wirt, sondern als Gast aufgefasst wird (65 Anm. 94 und 68 Anm. 115).
Die Testatoren werden nicht in einem prosopografischen Katalog präsentiert, sondern lediglich in einer Tabelle (287-294). Praktisch ist ein Glossar mit häufig wiederkehrenden venezianischen Begriffen (256-258). Vermisst wird ein Register sowie das Faksimile samt Transkription eines Testamentes. Nützlich wären auch Regesten der Testamente gewesen. Beim Quellen- und Literaturverzeichnis kommt es zu einigen Inkonsequenzen in der Zuordnung (unter die gedruckten Quellen werden beispielsweise ein Buch über Gebräuche aus dem 16., ein Gesetzbuch aus dem 17., eine Kirchengeschichte aus dem 18. und sogar Henry Simonsfeld, Fondaco dei Tedeschi, gerechnet). Literatur, die nach Abgabe des Dissertationsmanuskripts erschien, wurde kaum mehr berücksichtigt (die neuesten drei Titel stammen aus den Jahren 2000 und 2001).
Anmerkungen:
[1] Linda Guzzetti: Venezianische Vermächtnisse. Die soziale und wirtschaftliche Situation von Frauen im Spiegel spätmittelalterlicher Testamente (= Ergebnisse der Frauenforschung, 50), Stuttgart 1998 (zugl. Berlin, Technische Univ., Diss., 1997).
[2] Uwe Israel: Fremde aus dem Norden. Transalpine Zuwanderer im spätmittelalterlichen Italien (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom , 111), Tübingen 2005 (zugl. Göttingen, Univ., Habil.-Schr., 2003).
[3] Knut Schulz / Christiane Schuchard: Handwerker deutscher Herkunft und ihre Bruderschaften im Rom der Renaissance. Darstellung und ausgewählte Quellen (= Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementband 57), Rom u. a. 2005.
[4] Brunehilde Imhaus: Le minoranze orientali a Venezia. 1300-1510, Roma 1997.
Uwe Israel