Barbara Dölemeyer: Die Hugenotten, Stuttgart: W. Kohlhammer 2006, 231 S., ISBN 978-3-17-018841-9, EUR 18,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Alexander Schunka: Die Hugenotten. Geschichte, Religion, Kultur, München: C.H.Beck 2019
Henning P. Jürgens / Thomas Weller (Hgg.): Religion und Mobilität. Zum Verhältnis von raumbezogener Mobilität und religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010
Anke Grodon: Mythen und Wahrheiten. Hugenotten in der Uckermark, Cottbus: Regia-Verlag 2005
Es fällt auf, dass in den letzten Jahren - nach einer Phase, in der vor allem Tagungsbände und Sammelwerke dominierten - mehrere Überblicksdarstellungen zum Thema "Hugenotten" erschienen sind. Erst im Sommer dieses Jahres konnte an dieser Stelle die Monographie von Eberhard Gresch besprochen werden. [1] Nun folgt eine einführende Arbeit von Barbara Dölemeyer, die bereits in zahlreichen Aufsätzen gerade die rechtshistorischen Aspekte des hugenottischen Refuge näher zu beleuchten versucht hat. Im Gegensatz zu Gresch geht Dölemeyer nur knapp auf die theologischen Hintergründe des französischen Protestantismus ein, weicht aber ansonsten im Aufbau nicht allzu sehr von Gresch ab. Auch bei Dölemeyer wird zunächst die Geschichte des Protestantismus in Frankreich von den Anfängen über die Bürgerkriegszeit, das Edikt von Nantes und seine Aufhebung durch Ludwig XIV. bis hin zur erneuten Duldung im Vor- und Umfeld der Französischen Revolution nachgezeichnet. Es folgt ein systematisch und vergleichend angelegtes Kapitel zur Organisation der Flucht und der Aufnahme, wobei den Aufnahmeprivilegien, mit denen sich die Verfasserin bereits intensiv beschäftigt hat, eine besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt jedoch auch hier auf dem Refuge, das in seinen europäischen und weltweiten Dimensionen erfasst, en detail aber doch nur für die deutschen Aufnahmeterritorien behandelt wird. Zum Abschluss folgen eine Auseinandersetzung mit dem "hugenottischen Mythos" sowie ein kursorischer Überblick über gegenwärtig noch anzutreffende Reste des "hugenottische[n] Erbe[s]".
Positiv fällt - gerade in den ersten Kapiteln - das Bemühen der Autorin um eine distanzierte Auseinandersetzung mit der ausgeprägten Legendenbildung der Hugenotten auf. Kritisch sieht Dölemeyer eine ausschließlich auf den Aspekt "Glaubensflüchtlinge - Glaubenszeugen" beschränkte Interpretationsweise. In ihrer Einleitung betont sie, dass die Geschichte der Hugenotten eben nicht mehr einseitig als "Geschichte eines Martyriums" geschrieben werden könne. Auch die Legenden um den von den Hugenotten ausgelösten wirtschaftlichen Fortschritt seien in der neueren Forschung relativiert worden. Zudem sei auf die Konflikte im Refuge einzugehen. Konsequenterweise werden in dem Schlusskapitel des Buches zum Hugenottenmythos noch einmal die in der jüngeren Forschung herausgestellten Aspekte der hugenottischen Historiographie mit ihrer Betonung der wirtschaftlichen und kulturellen Überlegenheit der Einwanderer und ihrer besonderen Nähe zum - insbesondere preußischen - Herrscherhaus zusammengefasst.
Besonders gelungen ist das zweite Kapitel, das eine Zusammenschau der Aufnahmebemühungen der Staaten des Refuge vorstellt. Ertragreich ist hier vor allem der vergleichende Zugriff bei der Darstellung der unterschiedlichen Hugenottenprivilegien. Auch das Wirken der Flüchtlingskommissare und Diplomaten sowie die Verhandlungen um die Aufnahmebedingungen werden prägnant herausgearbeitet. Insgesamt zeichnet die Verfasserin dabei das Bild eines europäischen Vorgangs, an dem die meisten protestantischen Mächte in unterschiedlicher Weise beteiligt waren und der in der internationalen Diplomatie durchaus eine Rolle spielte. Dabei hatten die Hugenotten selbst maßgeblichen Anteil an den Formen und Bedingungen ihrer Ansiedlung, so dass hier noch einmal deutlich wird, dass es sich bei ihnen eben nicht einfach um Asylsuchende handelte, sondern um Menschen, die selbstbewusst und nüchtern kalkulierend einen Niederlassungsort auswählten, während auf Seiten der sie aufnehmenden Herrscher insbesondere ökonomische Gesichtspunkte handlungsleitend waren.
Es ist freilich auch auf einige Schwachpunkte hinzuweisen, die in diesem vergleichenden Kapitel hervortreten. So erscheint Dölemeyers typologische Unterscheidung zwischen frühen allgemein gehaltenen Einladungsedikten, die vor allem als "Privilegienangebote" zu verstehen seien (42 f.), und später ausgehandelten differenzierteren Privilegien insgesamt als zu schematisch. Weder lässt sich diese Abfolge in allen Aufnahmeterritorien nachweisen, noch lässt sich ausschließen, dass nicht auch die früheren Edikte bereits wesentlich von Aushandlungsvorgängen bestimmt waren, wie es für Brandenburg-Bayreuth sogar nachgewiesen werden kann. Auch im Hinblick auf die in den meisten deutschen Territorien fehlende Synodalverfassung der Hugenottenkirchen ist zu fragen, ob Dölemeyers Darstellung eines einseitigen Beharrens der Landesherren auf ihrem Summepiskopat nicht den Blick auf die eigentliche Problematik verstellt. Vielmehr ist es für eine Einschätzung der Ursachen, die zum Wegfall der Synoden führten, erforderlich, die Genese der kirchenrechtlichen Stellung der Refuge-Gemeinden näher zu untersuchen und auch das Verhalten der Hugenotten selbst in den Blick zu nehmen. [2] Auch die Feststellung der Autorin, die Hugenotten hätten in England "die geringsten kirchlichen Sonderrechte" (47) gehabt, erweist sich als fragwürdig und stützt sich anscheinend ausschließlich auf die Betrachtung der Aufnahmeproklamation Karls II. von 1681, in der kirchliche Fragen in der Tat keine Rolle spielten. Doch blieben neben den "konformen" Kirchen, die den anglikanischen Ritus übernahmen, auch solche aus dem sogenannten ersten Refuge des 16. Jahrhunderts bestehen, die noch im späten 17. Jahrhundert über sehr weitgehende Freiheiten verfügten.
Als durchaus lehrreicher Überblick ist das dritte Kapitel anzusehen, das sich mit den europäischen und überseeischen Aufnahmeländern mit Ausnahme Deutschlands befasst. Lediglich die Lemmata, unter denen diese Refuge-Staaten betrachtet werden, vermögen nicht so recht zu überzeugen. So erfolgt die Behandlung der Niederlande unter der Überschrift "Ökonomie und Toleranz" und die Englands unter "Politik und Militär", was doch recht willkürlich anmutet. Nicht überzeugend ist streckenweise auch die Darstellung der deutschen Aufnahmeländer, die im vierten Kapitel erfolgt. Ist die Aufnahme der Hugenotten in Brandenburg-Preußen und Hessen-Kassel noch treffend zusammengefasst, so fällt gerade bei den kleineren Territorien auf, dass die Verfasserin zunehmend der Versuchung nachgibt, Einzelgemeinden aufzuzählen, und somit den Blick für die wesentlichen Züge und größeren Zusammenhänge aufgibt. Die kleinen südhessischen Aufnahmegebiete nehmen zudem mehr Raum ein, als es die historische Relevanz dieser Fallbeispiele erfordert. In anderen Fällen, wie etwa bei der Behandlung der Kurpfalz (145-149), schweift die Darstellung ab und beschäftigt sich über fast drei von dreieinhalb Seiten mit religiösen und politischen Entwicklungen des Territoriums, ohne dass der Zusammenhang zur Einwanderung der Hugenotten deutlich wird. Hier hätte eine Straffung und Konzentration der Arbeit sicher gut getan.
Hervorzuheben ist, dass Dölemeyer nicht nur en passant, sondern in einem eigenen Unterabschnitt auch auf die im Refuge aufgetretenen Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung eingeht. Diese unterteilt sie in ländliche und städtische Auseinandersetzungen, wobei die Ursachen ersterer vor allem in der Nutzung von Allmenden, zweiterer im Zugang zu und in Konkurrenz mit den Zünften gesehen werden. Hinzu treten Konflikte, die sich aus dem umstrittenen Zuzug Deutscher in die Kolonistenorte ergaben.
Insgesamt handelt es sich bei dem schmalen Band trotz der Kritik im Einzelnen um eine durchweg hilfreiche Einführung, die dem mit dem Thema nicht vertrauten Leser eine gute und faktensichere Orientierung bietet und zugleich auf Forschungstendenzen und in den letzten Jahren erfolgte Neubewertungen hinweist. Gerade das systematisch angelegte zweite Kapitel zeigt zudem Möglichkeiten auf, die Geschichte des Refuge huguenot international anzugehen, ohne dabei bloß additiv unterschiedliche Aufnahmeländer aneinander zu reihen.
Anmerkungen:
[1] Eberhard Gresch: Die Hugenotten. Geschichte, Glaube und Wirkung, Leipzig 2006; s. hierzu die Rezension von Ulrich Niggemann, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8, URL: http://www.sehepunkte.de/2006/07/10366.html. (15.7.2006)
[2] Hierzu demnächst Ulrich Niggemann: Immigrationspolitik im Konflikt. Die Auseinandersetzungen um die Hugenottenaufnahme in Deutschland und England, 1681-1697, Diss. phil., Marburg 2006.
Ulrich Niggemann