Heidrun Kugeler / Christian Sepp / Georg Wolf (Hgg.): Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven (= Wirklichkeit und Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit; Bd. 3), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006, 279 S., ISBN 978-3-8258-7583-1, EUR 19,90
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Die Geschichte von Diplomatie und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit, zwischenzeitlich unter den Generalverdacht der methodischen Überholtheit und inhaltlichen Sinnleere gestellt, hat sich wieder als angesehenes Forschungsfeld und als Schauplatz viel beachteter Innovationen etabliert. An die Stelle der starren Diplomatiegeschichte älterer Prägung, die mit erheblichem zeitlichen Abstand den Winkelzügen toter Staatsmänner folgte, ist eine in der Methode offene, neue thematische Wege wagende und den Blick auf die außereuropäische Welt richtende Geschichte der Internationalen Beziehungen getreten, die ihr Aschenputtelgewand abgestreift hat. Wie bei jedem Aufbruch liegen Chancen und Gefahren nah beisammen. So stellt sich die Frage, wie sich die erneuerte Disziplin zwischen Geschichts- und Politikwissenschaft verortet und wie sie ihre von Berührungsängsten gänzlich freie Multiperspektivität mit dem Anspruch vereinbart, eben eine eigenständige Disziplin im historischen Fach zu sein.
Es scheint nicht nur erlaubt, sondern auch geboten, dass sich jüngere Forscher mit ihren Anregungen und Beiträgen zu diesen Fragen zu Wort melden, wenn sie etwas zu sagen haben. Das ist hier ohne jede Einschränkung der Fall. Daher ist den Beteiligten für das Wagnis und den Wagemut zu danken. Außer ihren gemeinsamen wissenschaftlichen Interessen verbindet die Autoren, dass sie ihre Forschungsarbeiten in München begonnen haben, zumeist am Lehrstuhl von Winfried Schulze. Wenn es bei aller Themenvielfalt der gebotenen Arbeiten einen Schwerpunkt gibt, so liegt er auf dem Verhältnis von politischer Theorie und diplomatischer Praxis in der Frühen Neuzeit. Auch den Beiträgen und ihren Verfassern geht es um ein Gleichgewicht, nämlich dasjenige zwischen den "Haupt-, Hof- und Staatsaktionen", über die wir auch noch längst nicht alles wissen, und den Diskursen über die Außenpolitik, die in die Vorstellungs- und Wahrnehmungswelt der Akteure führen. Beide Hauptaspekte dürfen weiterhin das ganze Interesse der Historiker einfordern, wenn Ereignis und Struktur in unserem Geschichtsbild nicht ins Ungleichgewicht geraten sollen.
Ein zuletzt recht gut bestelltes Tätigkeitsfeld der Außenpolitikgeschichte der Frühen Neuzeit sind Träger und Netzwerke internationaler Beziehungen. Einzelpersonen oder Personengruppen bieten sich an, um die Praxis zwischenstaatlicher Beziehungen und die Prozesse der Kommunikation zu untersuchen. Welche eigentümlichen Varianten die Spezies "Diplomat" im 16. Jahrhundert ausprägte, zeigen exemplarisch die Aufsätze über Christopher Mont (Christian Sepp) und Wolfgang Zündelin (Ruth Kohlndorfer-Fries). Mit dem Rheinländer Mont (1497-1572) lernt der Leser einen englischen "Agenten" im Heiligen Römischen Reich kennen, dessen Aktivitäten klar an den Tag legen, dass man in London unter Königin Elisabeth I. doch mehr über die verschlungenen Pfade der Reichspolitik wusste, als die Historiker bisher vermuteten. Der in Konstanz geborene Zündelin (1539-1614) war ein zuletzt wenig beachteter Angehöriger jenes reformierten Netzwerkes aus Gelehrten, Theologen und fürstlichen Räten, das in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein System internationaler Kommunikation und Interaktion ausbildete, mit dem der deutsche Fürstenstaat sich angesichts begrenzter finanzieller Möglichkeiten behalf und den kostspieligen diplomatischen Apparat substituierte. Ein Mann wie Zündelin schlüpfte, durchaus repräsentativ, gelegentlich aus der Rolle des Informanten in die des Akteurs - und umgekehrt. Wir sehen, wie viel an Forschung doch noch zur "konfessionellen Nachrichtenpolitik" der europäischen Reformierten um 1600 zu leisten ist.
Wenn nach der Vorstellungswelt politischer Akteure und nach dem Rahmensystem staatlichen Machthandelns gefragt wird, so wird man neben den "Männern aus dem zweiten Glied" doch auch weiterhin die Fürsten studieren müssen. Deren Aktion stand in einem Spannungsgefüge aus Konfession und Staatsräson. Dies galt zumal beim Lutheraner Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, dessen Übertritt zum Katholizismus 1614 seinen Vater Philipp Ludwig in tiefste Ratlosigkeit stürzte (Eric-Oliver Mader). Dabei handelt es sich bei der Konversion des Pfalzgrafen sehr wohl um eine aus zeitgenössischen Politikkonzepten ableitbare Entscheidung, die Aussagen über Bedingungen politischer Dezision gestattet. Sich nicht zwischen zwei streitenden Lagern zu entscheiden, sondern die Neutralität zu wahren, ist natürlich auch eine Form außenpolitischer Festlegung, die im Italien des 16. Jahrhunderts in praktisch-politischen Discorsi recht eingehend diskutiert wurde (Cornel Zwierlein). Diese konkrete Denkfigur der Neutralität erlaubt es, das Politikhandeln in eine bestimmte mentale Welt und in ein Rahmensystem einzufügen. Es geht darum, die herkömmliche Abkapselung der politischen Ideengeschichte aufzubrechen, um die handlungsleitenden Denkweisen bei den Zeitgenossen zu fixieren.
Anschaulicher als abstrakte Denkfiguren sind die konkreten Verfahrensweisen im Alltag der Diplomaten, die sich beispielsweise aufgrund der Quellenlage für die wittelsbachischen Höfe in Heidelberg und München in der Zeit um 1600 recht gut rekonstruieren lassen (Georg Wolf). So rief beispielsweise der Hut des kurpfälzischen Gesandten Dohna 1615 in Paris einen Zeremonialstreit hervor, der in der Logik der Politik die wichtige Frage aufwarf: Welchen Rang bekleiden die Kurfürsten im Verhältnis zu den königlichen Häusern Europas? Vollends in das Souterrain des Diplomatengeschäfts gelangt man mit der Frage nach einer Abgrenzung zwischen Kommunikation und Spionage. Wie Lucien Bély bereits gezeigt hat, kommt man hier in ein sehr unsicheres Fahrwasser. Gerade wenn sich zwei Höfe mit so viel Misstrauen und wohl auch Angst begegneten, wie das bei Wien und München in den 1730er Jahren der Fall war, so lag der Verdacht auf Spionage und ebenso die Versuchung dazu sehr nahe, wie ein Casus aus der Praxisgeschichte der Diplomatie zeigt (Volker Laube).
Schließlich ist auch das Gesandtschaftswesen selbst und seine normative Erfassung in der politischen Theorie seit einigen Jahren wieder ein Forschungsgegenstand. Wie stellte man sich le parfait Ambassadeur vor (Heidrun Kugeler)? Diplomatische "Kunst", Sprachkenntnis, gewandtes Auftreten, Wissen über fremde Länder und Herrscher sowie eine gewisse Vertrautheit mit Macht und Interessen der Staaten bildeten den vollkommenen Gesandten. Soweit der theoretische Entwurf. Handelte es sich um einen Beruf oder war der Adlige von Geburt an dazu berufen? Herkunft, Vermögen und Patronage blieben bis in die jüngere Vergangenheit entscheidende "Qualifikationen". Das trifft für Europa zu. Im Fernen Osten galten andere Regeln. Hier mussten sich die Diplomaten erst einen Platz in den bisher zumeist von Missionaren und Händlern getragenen internationalen Beziehungen sichern, wie sich am Beispiel der britisch-chinesischen Kontakte zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufzeigen lässt (Ulrike Hillemann).
Im Umriss demonstriert dieser Band, welchen Beitrag die Frühe Neuzeit für die Konzeption einer Geschichte der Internationalen Beziehungen erbringen kann und wird. Grundlegende Phänomene der Außenpolitikgeschichte wie Staat und Staatlichkeit, Religion, Mentalität und nicht zuletzt funktionstüchtige transnationale Netzwerke sind hier in ihren Verflechtungen und Verschränkungen klar erkennbar.
Thomas Nicklas