Torsten Meyer / Marcus Popplow (Hgg.): Technik, Arbeit und Umwelt in der Geschichte. Günter Bayerl zum 60. Geburtstag, Münster: Waxmann 2006, 532 S., ISBN 978-3-8309-1685-7, EUR 38,00
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Technik, Arbeit und Umwelt sind Themenfelder, die nicht nur den wissenschaftlichen Werdegang des Cottbuser Technikhistorikers Günter Bayerl bestimmt haben. Sie werden - inhaltlich durchaus plausibel - auch in einer von ihm begründeten Schriftenreihe gebündelt verhandelt. [1] Technik prägt die Arbeitswelt des Menschen. Menschliche Gesellschaften nutzen mittels Arbeit und unter Einsatz von Technik ihre natürliche Umwelt. Der Hamburger Technikhistoriker Ulrich Troitzsch und Günter Bayerl repräsentieren mit ihrem in der Technikgeschichte wurzelnden Zugang einen der Impulse für die Entwicklung der Umweltgeschichte im deutschsprachigen Raum. [2] Die thematische Trias von Technik, Arbeit und Umwelt ist nun auch titelgebend für einen Sammelband, der Günter Bayerl zum 60. Geburtstag gewidmet ist. Die Herausgeber haben auf rund 520 Seiten 35 Beiträge versammelt. Es kann nicht verwundern, dass das breite Repertoire von Aufsätzen zu wirtschafts-, technik-, wissenschafts-, umwelt-, verkehrs-, landschafts- und kulturgeschichtlichen Themen weniger durch inhaltliche Kohärenz als durch seine facettenreiche Vielfalt besticht. Ebenso naheliegend ist, dass sich die vielen Beiträge nicht nur thematisch, sondern auch perspektivisch, formal und nicht zuletzt in ihrer Qualität erheblich unterscheiden.
Meyer und Popplow gliedern die Beiträge in die Abschnitte "Augsburgensien", "Früh- und Hochindustrielles", "Ingenieure und Ingenieurbau", "Automobilgeschichte", "Umweltgeschichte", "Bewahrung und Vermittlung industriellen Erbes" und "Übergreifendes". Mit dieser an der Biografie Bayerls orientierten Gliederung gelingt es weitgehend, die Stofffülle des Bandes zu erschließen. Mitunter scheinen alternative Gliederungsoptionen möglich, so etwa eine Verknüpfung der didaktischen Aufsätze zur Umweltgeschichte (Bodo von Borries) und zur Technikgeschichte (Karl Pichol) mit der musealen Vermittlung (Beiträge Markus Otto, Gerhard Lenz, Gerhard Zweckbronner und Eduard Führ). Die folgende Besprechung kann weder annähernd alle Beiträge diskutieren, noch wird sie sich eng an die Gliederung der Herausgeber anlehnen.
Drei Beiträge thematisieren Entwicklungen und Umbrüche in der neuzeitlichen Arbeitswelt. Reinhold Reith befasst sich am Beispiel fremder Goldschmiedegesellen in Augsburg mit Migration, Arbeitsmarkt und Wissenstransfer im 18. Jahrhundert und kann dabei das hohe Maß an Mobilität, aber auch eine bemerkenswert gering ausgeprägte Reguliertheit des frühmodernen Arbeitsmarkts nachweisen. Sylvia Hahn thematisiert anhand der österreichischen Papierarbeiterschaft zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert einmal mehr das Phänomen der Arbeitsmigration und diagnostiziert selbst noch für die industrialisierte Arbeiterschaft des 19. Jahrhunderts ein "dichtes Netzwerk, das auf verwandtschaftlicher oder herkunftsrelevanter Basis beruhte" (74f.). Klaus Schlottau zeigt, dass es lohnt, das Phänomen der Maschinenstürmerei verstärkt aus der Gender-Perspektive heraus zu diskutieren: Männer kämpfen gegen Maschinen, die es ermöglichen, schlechter bezahlte Frauen und Kinder in den Fabriken einzusetzen, und für den Erhalt einer mit dem männlichen Selbstverständnis harmonierenden Arbeitswelt. "Die Frau wird immer nur unter der Bedingung dem Mann gleich sein, dass sie nicht seinen Platz einnimmt" - so brachten es 1862 die streikenden Drucker in Paris auf den Punkt (132).
Karin Zachmann erörtert den Zusammenhang von Konsumkultur und Produktinnovationen im Übergang zum Industriezeitalter. Sie interessiert sich für die kulturelle Logik der Produktion von Dingen, die immer auch eine Produktion von Bedeutungen ist. Einen derart kulturalisierten Blick auf die Wirtschafts- und Industrialisierungsgeschichte überträgt Helmut Maier auf die Technikgeschichte, wenn er die "Material Culture" des Aluminiums analysiert. Die Geschichte von Stoffen sei immer auch eine Geschichte von Diskursen. Spannungsreich erweist sich die Beziehung zwischen technologischer und semantischer "Werkstoffaneignung" (268).
Rolf Gebuhr setzt sich kritisch mit Henning Eichbergs Sozialgeometriethese zur frühneuzeitlichen Herrschaftsarchitektur auseinander. Gebuhr beklagt gerade beim Festungsbau die unkritische Übertragung "marktschreierische[r] Überzogenheiten" (194) der architektonischen Lehrbücher auf die Baupraxis. Thomas Hänseroth zeigt weniger Unbehagen gegenüber der Sozialgeometrie. Er beschäftigt sich mit geometrisierten Wissensrepräsentationen in der frühneuzeitlichen Bauliteratur. Der für bautechnisches Wissen noch uneingelöste Nützlichkeitsanspruch frühneuzeitlicher Wissenschaft werde mit visualisierten Wissensrepräsentationen symbolisch konstruiert, imaginiert und legitimiert (201). Sehr lesenswert ist der programmatische Beitrag von Werner Lorenz, der der Frage nachgeht, "Was kann Bautechnikgeschichte?" (221). Er gibt einen wissenschaftsgeschichtlichen Überblick, versteht sich aber vor allem als Plädoyer für die weitere Etablierung dieser Disziplin sowie allgemein für ein kulturell und sozial erweitertes Verständnis von Technikgeschichte. In letzterem weiß er sich mit Joachim Varchim einig, der Wissenschafts- und Technikgeschichte als Spagat zwischen Natur- und Geisteswissenschaften beschreibt und der in vieler Hinsicht den methodisch vermeintlich "festen Boden" (483) der naturwissenschaftlichen Erkenntnis anzweifelt.
Ein großer Teil des Bandes beschäftigt sich mit der Bewältigung des Erbes der Industrialisierung: Fabrikgebäude und Maschinenparks, die für ihre primäre Zweckbestimmung nicht mehr benötigt werden und die es zu erhalten, wissenschaftlich aufzuarbeiten und museal zu präsentieren gilt, Regionen im schwierigen postindustriellen Strukturwandel sowie Bergbaufolgelandschaften, die nicht nur als Bade- und Surfparadiese "überschminkt" werden dürften (437). Allzu stark sehen sich freilich industriekulturelle Projekte und Technikmuseen im Widerstreit zwischen wissenschaftlich-didaktischem Anspruch sowie wirtschaftlichen und politischen Sachzwängen zerrieben. Besonders kritisch zur Stellung technikgeschichtlicher Museen in Zeiten der "Eventkultur" äußert sich Gerhard Zweckbronner, der Direktor des Museums für Technik und Arbeit in Mannheim.
Unter den als umweltgeschichtlich gekennzeichneten Beiträgen sind die Aufsätze von Torsten Meyer zur Wertschätzung der Robinie zwischen ökonomischer Aufklärung und Gegenwartslandnutzung und Bernd Herrmanns Versuch einer Historisierung der Schädlingsbekämpfung einer kultur- und wahrnehmungsgeschichtlichen Perspektive verpflichtet. Herrmann unterscheidet zwischen der erst jungen Begriffsbildung des "Schädlings" und einer notwendigerweise bereits lange vorher bestehenden Kategorie von Schädlingen, weil es "einen gleichsam a-priorischen ökonomischen Druck auf den nahrungsproduzierenden wie für den unter der beständigen Gefahr parasitischer Bedrohung stehenden Menschen" gebe, "sich der Nahrungskonkurrenten, der Nahrungsverderber, der Krankheitsüberträger und der Parasiten zu erwehren" (325). Christoph Bernhardt analysiert die Wasserversorgungspolitik der DDR im Spagat zwischen ungünstigen hydraulischen Gegebenheiten und den Anforderungen einer auf Industrialisierung, Massenkonsum und Wohnraumexpansion konzentrierten Wirtschaftslenkung. Die übrigen Beiträge dieses Kapitels widmen sich aus unterschiedlichen Perspektiven der Landschaftsgeschichte und der Geschichte der Landschaftsplanung; sie tun dies mit Schwerpunktsetzung auf die Lausitzer Tagebaureviere.
Wie viele andere Festschriften auch, vermittelt der vorliegende Sammelband nicht die inhaltliche Kohärenz, die ein straff konzipierter Tagungsband bieten kann. Einige Beiträge, auch solche, die hier aus Platzgründen nicht gewürdigt werden konnten, werden aber sicher dennoch den ihnen zukommenden Platz in der wissenschaftlichen Diskussion erhalten.
Anmerkungen:
[1] Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt.
[2] Vgl. Ulrich Troitzsch, Historische Umweltforschung. Einleitende Bemerkungen zu Forschungsstand und Forschungsaufgaben, in: Technikgeschichte 48 (1980), 177-190.
Martin Knoll