Günter Bayerl / Torsten Meyer (Hgg.): Die Veränderung der Kulturlandschaft. Nutzungen - Sichtweisen - Planungen (= Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt; Bd. 22), Münster: Waxmann 2003, 342 S., ISBN 978-3-8309-1315-3, EUR 25,50
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Der 22. Band der "Cottbuser Studien" vereint die überarbeiteten Beiträge einer bereits im Jahre 1998 stattgefundenen technik- und umwelthistorischen Tagung über "die Veränderung der Kulturlandschaft". Vielleicht ist es für den einen oder anderen Autor etwas unbefriedigend, dass die Druckfassung seines Beitrags erst mit über fünf Jahren Verspätung vorliegt; diese Zeitverzögerung ist jedoch nicht das Hauptproblem, das ein Leser mit dem Band haben kann. Stärker als ein möglicher Aktualitätsverlust wiegt eine nur schwer nachzuvollziehende inhaltliche Breite, der insgesamt ein wenig der Geschmack der Beliebigkeit beiwohnt.
Der Band schlägt mit seinen fünfzehn Aufsätzen einen weiten umwelthistorischen Bogen durch Themen des 18. bis 21. Jahrhunderts, diskutiert dabei - neben den genuin geschichtswissenschaftlichen - auch geografische und ästhetische Positionen. Ein gewisser regionaler Schwerpunkt liegt unverkennbar in den östlichen Bundesländern, insbesondere in Brandenburg und der vom Braunkohletagebau geprägten Niederlausitz; andere Beiträge führen aber auch nach Westfalen, in den Harz oder ins österreichische Weinviertel. Der Umgang mit landwirtschaftlichen Schädlingen im 18. Jahrhundert wird genauso diskutiert wie die Kartierung industrieller Altlasten des 20. Jahrhunderts, Erdölförderung steht neben Gartenbaukunst und Wasserwirtschaft neben Naturschutzgeschichte.
In ihrer Einleitung bemühen sich die Herausgeber dennoch, eine klammernde Zusammenschau des breiten inhaltlichen Spektrums anzubieten; dabei hilft ihnen das ursprünglich der Geografie entstammende, von dieser Disziplin aber seit den 1970er-Jahren eher gemiedene Paradigma der "Landschaft", welches in den letzten Jahren bekanntlich eine Wiederbelebung in der Umweltgeschichte findet. So stellt für Bayerl / Meyer der Landschaftsbegriff einen "überschaubaren Raum" zur Verfügung, in dem "das komplexe Wechselspiel zwischen Umweltmedien, Biodiversität, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Institutionen und Akteuren nachvollziehbar" (1) ist.
Der erste Beitrag des Bandes stammt denn auch aus der Feder eines Geografen: Andreas Dix, Privatdozent für Historische Geografie am Geografischen Institut in Bonn, zeichnet in seinem grundlegenden Aufsatz die Leitlinien der historischen Entwicklung der vorindustriellen mitteleuropäischen Kulturlandschaft nach. Sein Anliegen ist es aufzuzeigen, dass auch die vormoderne Kulturlandschaft keine "statische Idylle" war, in der "alles über Jahrhunderte gleich" blieb (16); die anthropogene Veränderung der Landschaft hat vielmehr eine lange, mal mehr stetige, mal mehr schubartige Geschichte. Relikte unterschiedlicher Epochen prägen bis heute, in gleichsam über- und nebeneinander liegenden Schichten, die Strukturen der Kulturlandschaft.
Dix macht in seiner fast etwas zu knappen Überblicksdarstellung insgesamt sieben Epochen auf: Bereits den Jäger- und Sammlerkulturen spricht er einen "nachhaltigen" Einfluss auf die Vegetation und auf "Vorformen der Kulturlandschaft" zu. Ungleich wirkungsreicher ist freilich der neolithische Übergang zu planvollem Ackerbau und Viehzucht, in dessen Zuge sich "ein Grundmuster der Besiedlung" herausbildete, das "bis in die Neuzeit hinein gültig blieb" (18). Es folgen Phasen des Ausbaus und des Niedergangs der Agrarkultur: die Ausbauepoche des Römischen Reiches, die Wellenbewegungen des Mittelalters mit seinen Ausbau- und Wüstungsperioden, die Frühe Neuzeit mit merkantilistisch motivierten Neukultivationen und der Blüte der allmendeabhängigen Wanderschäferei, dann die Epoche der Industrialisierung, innerhalb derer eine "vorindustrielle Kulturlandschaft" aber durchaus noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts überdauern konnte; und zuletzt die vom "50er-Jahre-Syndrom" und von hochgradig intensivierter Landnutzung gekennzeichnete Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
Mit den weiteren Beiträgen folgen ausdifferenzierte Fallbeispiele, die von der Zeitstellung her den letzten drei der von Dix angesprochenen Epochen zuzuordnen sind. Dem Thema des landwirtschaftlichen Kampfes gegen "culturschädliche Thiere", der Verdrängung und Ausrottung von "Schädlingen" im Zuge agrarischer Modernisierungen im 18. Jahrhundert nehmen sich Bernd Herrmann und Torsten Meyer in zwei Aufsätzen an. Während Herrmann das Thema auf Basis archivarischer Quellen für Brandenburg ausbreitet, geht es Meyer vor allem um den theoretischen Kontext, in dem die zum Zwecke der "allgemeinen Wohlfahrt" agrarreformerisch anvisierte "Abschaffung der Wildnis" zu sehen ist: das Paradigma der Nützlichkeit, welches freilich ohne die Konstruktion Nutzlosigkeit nicht zu denken ist.
Einige weitere Aufsätze kurz im Überblick: Der Landschaftsveränderung durch den Bau schiffbarer Kanäle in Brandenburg widmet sich Hans-Joachim Uhlemann, Michael Mende thematisiert die Anlage von Gräben und Teichen im Kontext des Harzer Erzbergbaues. Helmut Maier diskutiert Wasserkraftprojekte des Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerkes während des "Dritten Reiches" und stellt dabei mehr oder weniger überraschende Koalitionen zwischen Energieversorgern und Landschaftsschützern heraus. Hermann Behrens steuert einen gelungenen Überblick über Naturschutz und Landeskultur in der DDR bei, Georg Stadler stellt die Geschichte der niederösterreichischen Erdölförderung im Kontext der dortigen Kulturlandschaftsentwicklung dar, und Gerhard Lenz skizziert die Zusammenhänge von Ideologie und Industrie am Beispiel des nationalsozialistischen Ausbaus der Industrieregion Bitterfeld-Dessau. Dazu gesellen sich Gert Grönings Beitrag über die "Neue Gartenbaukunst" des frühen 19. Jahrhunderts und Perdita von Krafts Reflexion über "die Fremdheit von Landschaft", wobei beide Aufsätze auf die ostdeutschen Braunkohletagebauregionen beziehungsweise auf deren landschaftsästhetisches Potenzial Bezug nehmen.
Insgesamt und trotz der zu Beginn erwähnten Defizite kann dem interessierten Leser die Anschaffung des als Paperback erschienenen und dementsprechend günstigen Bandes durchaus empfohlen werden; kaum jemand wird ihn wohl als Ganzes lesen, dafür ist jedoch bei der gegebenen inhaltlichen Fülle wahrscheinlich für jeden etwas dabei. Das Buch stellt nicht unbedingt eine ambitionierte, umwelthistorische Aufsatzsammlung mit einem konzentrierten inhaltlichen Fokus dar, es ist vielmehr ein interdisziplinärer Tagungsband zu einer recht allgemein gehaltenen Problematik, nicht mehr und nicht weniger.
Roland Siekmann