Werner Hofmann: Die gespaltene Moderne. Aufsätze zur Kunst, München: C.H.Beck 2004, 208 S., 35 Abb., ISBN 978-3-406-52185-0, EUR 19,90
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Immer wieder hat Werner Hofmann, der als Museumsmann wohl wie kein Zweiter die deutsche akademische Kunstgeschichte mitgeprägt und über wichtige Ausstellungen bedeutende Forschungsbereiche erschlossen hat, seine Studien in Form von Aufsatzbänden veröffentlicht. Stets hatten diese Bände gleichermaßen programmatische wie prägnante Titel: Bruchlinien etwa, wenn es vorrangig um die Kunst des 19. Jahrhunderts ging, oder Gegenstimmen und Anhaltspunkte, wenn Hofmann von der Kunst und Kunsttheorie des 20. Jahrhunderts handelte. [1] Mit dem jüngsten, bereits vor einiger Zeit veröffentlichten Band Die gespaltene Moderne legt Hofmann eine weitere Aufsatzsammlung vor, die sich nun sowohl mit der Kunst um 1800 wie mit der des 20. Jahrhunderts beschäftigt. Dabei handelt es sich um geschickt kombinierte Beiträge, deren Erstveröffentlichung zum Teil bis in die frühen 1950er-Jahre zurückreicht. Diese Rückgriffe, zumal es sich um Zeitungsartikel handelt, erscheinen auf den ersten Blick rechtfertigungsbedürftig. Wer die kunsthistorische und kunstkritische Literatur der ersten Nachkriegsjahre etwas kennt, weiß, wie wenig sie - von bedenkenswerten Ausnahmen einmal abgesehen - an analytischer Prägnanz zu bieten hat und häufig allein historisch interessant ist. Für Hofmanns frühe Beiträge gilt diese Zeitbedingtheit ebenfalls, trotz der beobachtbaren frühen Formulierung von später noch leitenden Erkenntnisinteressen und Fragstellungen - er selbst spricht von Orientierungslinien (7), die sich zeigen und den späten Wiederabdruck aus seiner Sicht rechtfertigen -, etwa wenn die eigene Frontstellung zu den modernekritischen Ausführungen Hans Sedlmayrs hervorgehoben oder Paul Klee als aussagekräftiger Gewährsmann der Moderne zitiert wird.
Der erste Teil der Sammlung steht unter der von Gottfried Benn entlehnten Überschrift "Integration der Ambivalenz" und besteht aus einer kurzen orientierenden Einleitung, vier Feuilletonbeiträgen der frühen 1950er-Jahre, die in der Wiener Zeitung oder der Münchner Neuen Zeitung erschienen sind, sowie schließlich einem instruktiven Beitrag zur Rolle der Karikatur im Werk Picassos, den Hofmann 2003 anlässlich einer Picasso-Ausstellung in Barcelona verfasst hat. Er eröffnet dabei den Blick auf Randbereiche der Moderne, indem er auf die Karikatur, auf Satire und Groteske sowie die Fantastik im Allgemeinen zu sprechen kommt und damit damals z.T. vergessene - vor allem Wilhelm Fraenger hatte sich bereits in den frühen 1920er-Jahren intensiv mit diesen Dingen befasst - und heute wieder aktuelle Fragestellungen aufgriff. Es sind diese Interessen und der von ihnen mitbestimmte Blick auf die Moderne, der in den 1950er-Jahren für die Loslösung des Bildes von der Wand und flexible Rauminstallationen plädierte (20) oder 2003 die Errungenschaften der Renaissance gerade nicht in der Wiederbelebung der Antike oder der Etablierung eines Schönheitskanons (31) erkennen will, die auch heute (z.T. noch und wieder) überaus anregend und gewinnbringend zu lesen sind.
Der zweite Teil von Hofmanns Sammlung beschäftigt sich mit höchst unterschiedlichen "Leitfiguren" aus den Bereichen Philosophie, Kunstgeschichte und bildende Kunst. Er vereinigt Skizzen so prominenter Denker und Historiker wie Jacob Burckhardt, Friedrich Nietzsche, Aby Warburg, Julius von Schlosser, Ernst H. Gombrich, Hans Sedlmayr und schließt etwas gewollt die beiden Künstler Marcel Duchamp und Henri Matisse mit ein. Die Texte sind aus verschiedenen Anlässen heraus entstanden, als Artikel für eine Wochenzeitung, als Reden oder Originalbeiträge für den vorliegenden Band und man merkt ihnen diese divergierende Provenienz mitunter an, ohne dass sie den Leser wirklich stört. Hofmann fasziniert an den genannten Leitbildern offensichtlich die Bereitschaft, sich von etablierten Zuschreibungen, Kategorisierungen und Gegenstandsfeldern lösen zu können und stattdessen immer den Blick für die Randbereiche, Umbrüche, Störungen und Umgestaltungen der Kunst gewahrt zu haben, der in letzter Konsequenz mit Nietzsche sogar die Möglichkeit einer "Selbstauflösung der Kunst" (71f) ins Auge zu fassen bereit ist.
In diesem Teil des Buches werden die Arbeitsgebiete und Fragestellungen bekannter und weniger bekannter Figuren der Kunstgeschichte ausgebreitet. Neben Jacob Burckhardt, der durch die im Erscheinen begriffene kritische Gesamtausgabe vom Fach gerade neu zu entdecken ist, sind gerade der Aufsatz über Julius von Schlosser, dessen wissenschaftliches Profil vor der Kontrastfolie der Arbeiten Alois Riegls erhellt wird, und die beiden, sich wechselseitig erhellenden Studien über Gombrich und Sedlmayr besonders zu empfehlen. Nicht, dass Hofmanns Ausführungen zu Nietzsche und Warburg weniger beachtenswert wären, doch sind sie in einem breiteren Bewusstsein verankert, während man den Hinweis, dass Gombrichs Lebenswerk einen zentralen Beitrag zu einer "psychologisch begründeten Bildwissenschaft" darstelle, angesichts der gegenwärtigen Fachdebatten gerne nochmals in Erinnerung gerufen bekommt.
Der dritte Teil, unter Nietzsches Satz von der Bewegungsrichtung der Kunst hin zu ihrer Auflösung stehend, widmet sich in drei längeren, ausgearbeiteten und bereits publizierten Beiträgen der Kunst selbst. Hier wiederholt sich Hofmann in seinen Ausführungen am stärksten, wenn er sich dem von ihm in die Diskussion eingeführten, aber nach eigener Ansicht kaum aufgegriffenen Begriff der Polyfokalität der modernen Kunst zuwendet. "Ihr zentrales Thema ist das Verunsicherungspotenzial der Moderne, das sich in Entgrenzungen, Vermischungen und Revokationen ereignet." (119) Anhand des Capriccios und weitergehend am Beispiel des Wörlitzer Landschaftsgartens und Jean Pauls literarischer Evokation desselben oder anhand der Beispiele von William Hogarths Kupferstich The Bathos von 1764 sowie Kurt Schwitters, Marcel Duchamps und André Breton zeigt Hofmann immer wieder die Tendenz zur Uneindeutigkeit, zum Sowohl-als-auch statt des Entweder-oder und zur fundamentalen Ambivalenz als Kennzeichen der Moderne, die seiner Ansicht nach nicht im Verlauf des 19. Jahrhunderts, auch nicht um 1800, sondern bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzt - Werner Busch hat dies in den letzten Jahren anhand sehr ähnlicher Beispiele und in Weiterführung der Arbeiten von Theodor Hetzer und eben vor allem Werner Hofmann weiter exemplifiziert. [2]
So kann man Hofmanns Aufsatzband jedem an der künstlerischen Moderne Interessierten und gerade Studienanfängern als Einstieg empfehlen, auch wenn die Lektüre der anspielungsreichen und bildungsimprägnierten Aufsätze nicht immer leicht fallen dürfte. Der Autor eröffnet anregende und immer mit Gewinn zu lesende Sichtweisen auf die moderne Kunst. Von diesem Band aus - der es nicht etwa unternimmt, eine Lebenssumme zu ziehen und deshalb andere Schriften des Autors ersetzen könnte - und über die weiteren Aufsatzpublikationen Hofmanns sowie seine großen Monografien zu Francisco Goya und Caspar David Friedrich, seine Interpretation des 19. als "entzweites Jahrhundert", die Motivgeschichte eben dieses 19. Jahrhunderts unter dem schönen wie irreführenden Titel Das irdische Paradies bis schließlich zu der unerreicht materialreichen Ausstellungs- und Katalogreihe Kunst um 1800 lässt sich eine faszinierende Perspektive auf die Moderne einnehmen. [3]
Anmerkungen:
[1] Vgl. Werner Hofmann: Bruchlinien. Aufsätze zur Kunst des 19. Jahrhunderts, München 1979; ders.: Gegenstimmen. Aufsätze zur Kunst des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1979 und ders.: Anhaltspunkte. Studien zur Kunst und Kunsttheorie, Frankfurt/M. 1989.
[2] Vgl. Werner Busch: Das sentimentalische Bild: die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne, München 1993.
[3] Vgl. Werner Hofmann: Das entzweite Jahrhundert. Kunst zwischen 1750 und 1830 (= Universum der Kunst), München 1995, die Ausstellungsreihe Kunst um 1800, die 1974 mit einer Ausstellung zu Caspar David Friedrich in der Hamburger Kunsthalle einsetzte und schließlich die Festschrift für Werner Hofmann unter dem Titel: Kunst um 1800 und die Folgen. Werner Hofmann zu Ehren, hrsg. von Christian Beutler, Peter-Klaus Schuster und Martin Warnke, München 1988.
Olaf Peters