Hellmut Lorenz / Huberta Weigl (Hgg.): Das barocke Wien. Die Kupferstiche von Joseph Emanuel Fischer von Erlach und Johann Adam Delsenbach (1719), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2006, 160 S., 30 Tafeln, 137 Abb., ISBN 978-3-937251-76-9, EUR 19,40
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In den 20er- und 30er-Jahren des 18. Jahrhunderts schuf der Augsburger Salomon Kleiner (1700-1761) in mehreren druckgrafischen Ansichtenfolgen ein Bild von Wien, das unsere Vorstellung von Wien als Barockstadt bis zum heutigen Tag wesentlich bestimmt. Kleiners Ansichten erfreuen sich bis heute größerer Beliebtheit und Bekanntheit.
Weniger bekannt ist dagegen, dass Kleiners "Prospecte" - wie man seine Kupferstichveduten damals nannte - einen Vorläufer hatten, der die Blüte der Wiener Barockarchitektur mit seinen wichtigsten Werken bereits zehn Jahre früher vorstellte. Dies ist umso bemerkenswerter, weil die Initiative zu diesem Stichwerk von dem berühmtesten Barockarchitekten Österreichs, Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656-1723), und seinem Sohn Joseph Emanuel Fischer von Erlach (1693-1742) ausging.
Eine erste, heute nicht mehr nachweisbare Ausgabe erschien 1713 als Manuskript unter dem Titel "Prospecte und Abrisse einiger Gebäude von Wien" mit 16 Tafeln [1], eine erweiterte Auflage 1715 unter demselben Titel und schließlich 1719 unter dem Titel "Anfang Einiger Vorstellungen der Vornehmsten Gebäude so wohl innerhalb der Stadt als in denen Vorstädten von Wien: wovon mit der Zeit das abgehende nachfolgen soll" eine letzte Fassung mit 30 Kupferstichtafeln, die die Grundlage für die vorliegende Publikation bildete.
Nachdem Kleiners Ansichten bereits zu Beginn der 1970er-Jahre als nahezu formatgleiche "Faksimiles" erschienen waren [2], liegt nun auch sein "Vorgänger" in einem handlichen und ausführlich kommentierten Nachdruck vor. Die Publikation ist aus einem Seminar zur "Adelskultur der Barockzeit" hervorgegangen, das die beiden Herausgeber Hellmut Lorenz und Huberta Weigl an der Universität Wien veranstaltet haben. Ziel des schmalen Bandes ist es, "auf solider wissenschaftlicher Grundlage, jedoch in allgemein verständlicher Form eine Würdigung der Kupferstiche zu geben, zugleich aber auch die dargestellten Bauten ihrem Rang gemäß vorzustellen und zu kommentieren" (7). Dieses Vorhaben ist in wünschenswerter, den heutigen Stand der Forschung zusammenfassender Ausführlichkeit gelungen, denn die auf 30 Stichen abgebildeten Paläste werden nicht nur vom Kommentar begleitet, sondern auch von instruktiven Vergleichsabbildungen - dazu gehören Pläne, die Aufnahme der heutigen Situation vom selben Standpunkt oder auch Ausstattungsstücke -, die den Betrachter mit dem Bauwerk insgesamt vertraut machen. Vorgestellt werden bis auf das Neugebäude (Tafel 19, 104-109) Paläste, die nicht älter als 25 Jahre sind - darunter die bedeutendsten Profanbauten von Johann Bernhard Fischer von Erlach wie das Palais Trautson (Tafel 21-23, 116-123) oder die Böhmische Hofkanzlei (Tafel 13, 76-79). Aber auch Johann Lucas von Hildebrandt ist mit dem Palais Daun-Kinsky (Tafel 10a, 64-67) genauso vertreten wie Domenico Martinelli mit dem Palais Kaunitz-Liechtenstein (Tafel 8, 50-53) oder dem Gartenpalais Liechtenpalais (Tafel 25, 128-133). Auch wenn es nicht ihr Anspruch ist, ist die Publikation geeignet, Bruno Grimschitz' jahrzehntealte und längst überholte Geschichte des Wiener Barockpalasts zu ersetzen. [3]
Den Darstellungen der einzelnen Bauten vorangestellt ist eine Einführung von Hellmut Lorenz, die die Entstehung des Stichwerks erläutert und dessen Bedeutung würdigt. Die konkrete Planung des Projektes ist zwar weitgehend unbekannt, doch markiert der 26. Mai 1711 für dessen Entstehung ein wichtiges Datum, als Joseph Emanuel Fischer von Erlach dem Oberststallmeister Graf Philipp Sigmund von Dietrichstein zu dessen Geburtstag eine Zeichnung seines Palastes am Schweinemarkt widmete, die nahezu unverändert als Vorlage für Tafel 7 (46-49) verwendet wurde. Zwei Jahre später wiederum zum Geburtstag überreichte Fischer dem Grafen das Manuskript der "Prospecte und Abrisse einiger Gebäude von Wien", das der Nürnberger Johann Adam Delsenbach (1687-1765) gestochen hatte. Dieser war gleichzeitig für Joseph Emanuels Vater Johann Bernhard tätig, der gerade sein Kupferstichwerk "Entwurff einer Historischen Architectur" vorbereitete und für den Delsenbach bis 1712 mehr als zehn Blätter gestochen hatte. Deshalb besteht auch kein Zweifel, dass der geistige Urheber der "Prospecte" Johann Bernhard ist, der außerdem die Drucklegung und Herausgabe der ersten Auflage 1715 besorgte, als sich sein Sohn bis 1722 zu Studienzwecken in Rom, Frankreich und England aufhielt.
Fischers Stichwerk vermittelt nicht nur ein anschauliches Bild der nach der Türkenbelagerung 1683 architektonisch prosperierenden Residenz, sondern ist auch ein bedeutender Beitrag zur visuellen Kultur der Barockzeit. Dabei hat es sicher auch die Tradition der Wiener Kupferstichvedute begründet (9), doch steht es im deutschsprachigen Raum zunächst mit ähnlichen Projekten wie Paul Deckers "Fürstlichem Baumeister" oder Johann Friedrich Nettes Ansichten von Schloss Ludwigsburg am Beginn einer langen Reihe von repräsentativen Ansichtenwerken, die auf die alleinige Wirkung des Bildes vertrauen. Keine erläuternden Texte begleiten mehr die Darstellung, das Bild spricht abgesehen von einer kleinen Bildunterschrift für sich.
Dies hat Konsequenzen für die Bildauffassung, die sich bei Fischer zwischen Architekturtraktat und Architekturprospekt bewegt: Er verzichtet auf die flächige Orthographia, die in Architekturtraktaten bevorzugt wurde, und ersetzt sie durch eine zumeist perspektivische Ansicht, die Scenographia. Sie war geeignet, die abgebildeten Bauten perspektivisch "in Szene" zu setzen, und ließ den Betrachter bereits im Stich eine Vorstellung von den körperhaften Bauvolumen gewinnen. Obwohl Fischer der perspektivischen Ansicht vertraut, bevorzugt er zumeist die frontale Aufnahme der Paläste von einem relativ niedrigen Augenpunkt, die ihre Herkunft aus Architekturtraktaten nicht verleugnen kann (z.B. Stadtpalais des Prinzen Eugen, Tafel 4, 32-37; Stadtpalais Batthyány-Schönborn, Tafel 11, 68-71; Böhmische Hofkanzlei, Tafel 13, 76-79). In diesen Ansichten ist der didaktische Anspruch im Sinne einer vorbildhaften Architektur am deutlichsten, während auf anderen Prospecten wie etwa dem Stadtpalais Kaunitz-Liechtenstein (Tafel 8, 50-53) die Tiefe des mächtigen Baublocks im Vordergrund steht.
Allen diesen Ansichten ist gemeinsam, dass Fischer auf ihnen den Stadtraum - die von den Zeitgenossen wiederholt bemängelten engen Gassen in Wien - weitgehend negiert. Fischer setzt die Paläste so ins Bild, "als wenn dieselben an großen Plätzen und in weiten Gassen gelegen wären, da man derselben Schönheit im Prospect weit vollkommener würde observieren können". [4]
Wie sehr Fischers Ansichten eine Mittlerrolle zwischen einem Architekturtraktat und einem Vedutenwerk im Sinne Salomon Kleiners einnehmen, wird auch daran deutlich, dass Fischer einige Ansichten von Plätzen und Märkten aufgenommen hat, die für das städtische Leben eine überragende Funktion hatten. Obwohl ihre Bedeutung für das aktuelle Baugeschehen eher marginal war, geben Ansichten vom Neuen Markt (Tafel 5, 38-41), auf dem die kaiserliche Schlittenfahrt stattfindet, vom Hohen Markt (Tafel 14, 80-83), auf dem der Fischmarkt abgehalten wird, Einblicke in das tägliche Leben einer Stadt, die zu den bedeutendsten in Europa gehörte. Den Anspruch einer europäischen Metropole formulierte der kaiserliche Hof-Antiquarius Carl Gustav Heraeus, wenn er im Vorwort des Manuskripts von 1713 darauf hinweist, dass Wien "in [der] Herausgabe ihrer Prospecte hinter anderen europäischen Hauptstädten nicht zurückstehen dürfte." Heraeus bemüht zwar in der Formulierung dieses Konkurrenzanspruchs den Topos des Städtelobs, doch war die Herausgabe des Stichwerks durch Vater und Sohn Fischer nicht uneigennützig: Fast die Hälfte der abgebildeten Paläste geht zumindest in Teilen auf Johann Bernhard Fischer von Erlach zurück, weshalb es sich bei den "Prospecten" ähnlich wie beim vierten Teil der "Historischen Architectur" um eine geschickt platzierte Eigenwerbung handelt. Sie zielt vor allem auf den Sohn Joseph Emanuel, der sich mit den aktuellen Tendenzen des Baugeschehens vertraut zeigt. Dies wird nirgends so deutlich wie auf dem Titelblatt (Tafel 3, 28-31), mit dessen denkmalartiger Inszenierung Fischer sich als potenzieller Architekt empfiehlt, die begonnene Verschönerung der Stadt fortzuführen. Dabei zeigen die in den Vordergrund gerückten Gartenpaläste, dass das neue Wien in den Vorstädten entstehen soll. Diesem Anspruch entspricht auch die Abfolge der Ansichten, die mit den Stadtpalästen beginnt und mit den Palastanlagen in den Vorstädten endet. Die Ankündigung, die Verwirklichung dieser Pläne "nächtens herauszugeben", blieb Fischer verwehrt - dies wohl auch deshalb, weil der Augsburger Verleger Pfeffel, bei dem die letzte Ausgabe von Fischers "Prospecten" erschienen war, in Kleiner einen geeigneten Zeichner gefunden hatte, mit dem er seine weiterführenden Pläne verwirklichen konnte.
Anmerkungen:
[1] Albert Ilg: Leben und Werke Johann Bernhard Fischers von Erlach des Vaters, Wien 1895, 684.
[2] Wiennerisches Welttheater: das barocke Wien in Stichen von Salomon Kleiner, Nachdruck der Ausgabe: Wahrhafte und genaue Abbildung aller Kirchen und Klöster, vieler Paläste, Monumente, Spitäler und Bürgerhäuser in Wien und seinen Vorstädten (= Vera et accurata delineatio omnium templorum et coenobiorum quae tam in Caesarea urbe ac sede Vienna Austriae, quam in circumjacentibus suburbijs ejus reperiuntur, Teil I-IV, hrsg. und kommentiert von Anton Macku, Alfred May, Kommentarband nicht erschienen, Graz 1971).
[3] Bruno Grimschitz: Wiener Barockpaläste, Wien 1944.
[4] Johann Basilius Küchelbecker: Allerneueste Nachricht vom Römisch-Kaiserl. Hofe, nebst einer ausführlichen Beschreibung der Kayserlichen Residenz-Stadt Wien, Hannover 1730, 618.
Peter Prange