Judith Pollmann / Andrew Spicer (eds.): Public Opinion and Changing Identities in the Early Modern Netherlands. Essays in Honour of Alastair Duke (= Studies in Medieval and Reformation Traditions. History, Culture, Religion, Ideas; Vol. CXXI), Leiden / Boston: Brill 2007, xiii + 305 S., ISBN 978-90-04-15527-5, EUR 99,00
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Will Coster / Andrew Spicer (eds.): Sacred Space in Early Modern Europe, Cambridge: Cambridge University Press 2005
Raymond A. Mentzer / Andrew Spicer (eds.): Society and Culture in the Huguenot World 1559-1685, Cambridge: Cambridge University Press 2002
Die Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas' "Strukturwandel der Öffentlichkeit" - in der ersten Auflage erschienen 1962 - scheint in einem Sammelband zu Themen frühneuzeitlicher Öffentlichkeit nach wie vor unumgänglich zu sein, erst recht wohl in einem englischsprachigen Werk wie der vorliegenden Festschrift für einen der Altmeister der Geschichte der öffentlichen Meinung in den Niederlanden des 16. und 17. Jahrhunderts, Alastair Duke. In England setzte die Auseinandersetzung mit den Thesen Habermas', wonach eine kritisch räsonierende Öffentlichkeit nicht vor der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstand, erst spät ein. Pollmann und Spicer, die Herausgeber dieser Festschrift, zeichnen somit noch einmal knapp die Stationen der Diskussion nach, wobei sie insbesondere die zahlreichen Studien hervorheben, die in den letzten Jahren die Existenz einer lebendigen frühneuzeitlichen Publizistik und einer diese rezipierenden breiteren Öffentlichkeit nachgewiesen haben. Dennoch steht am Ende der Einleitung die Feststellung, dass der Einfluss der öffentlichen Meinung auf die Politik zwar zu Recht hervorgehoben werde, dass jedoch "some fundamental shifts in the conceptualization of politics had to wait until the eighteenth century". (8)
Dieser unzweifelhaft richtigen Einschätzung zum Trotz weisen die Einzelbeiträge jedoch vor allem auf die Vielfalt der medialen Möglichkeiten und die Breite der politischen und religiösen Diskurse in den Niederlanden zwischen dem Beginn des Aufstandes und der endgültigen Unabhängigkeit der Republik hin. Das Spektrum der in den Aufsätzen untersuchten Medien reicht von Flugschriften über Geschichtswerke (Raingard Eßer), offene Briefe (Nicolette Mout), Karten (Paul Regan), Bilder (Andrew Sawyer), Kirchenfenster (Andrew Spicer) und Theaterstücke (Joke Spaans) bis hin zur Gerüchteküche (Henk van Nierop). Auf diese Weise werden durchaus Quellen fruchtbar gemacht, die in der Erforschung der öffentlichen Meinung in der Frühen Neuzeit oft unbeachtet bleiben. Dass dabei freilich auch die grundlegende Skepsis der Frühneuzeit gegenüber der öffentlichen, kontroversen Debatte zu beachten ist, der als Ideal stets das Leitbild der Harmonie und des Konsenses entgegengestellt worden sei, wird in dem Beitrag von Joke Spaans deutlich.
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Mehrzahl der Studien die Frage nach dem Entstehen einer spezifisch niederländischen bzw. nordniederländischen Identität. Schon der Beitrag Hugh Dunthornes, der der Inszenierung des niederländischen Aufstands im Theater bis in die Moderne hinein nachgeht, weist auf die Entwicklung einer "nationalen" Identität schon in der Frühen Neuzeit und dann wieder im Zuge der Schaffung eines Königreichs der Niederlande im 19. Jahrhundert hin. Auch die kartographische Repräsentation des Landes (Paul Regan) oder die bildlich-allegorische Darstellung von Leitbegriffen des Aufstands (Andrew Sawyer) hatten beträchtliche Bedeutung für ein spezifisch niederländisches Bewusstsein, das freilich auch mit der allmählichen Exklusion der südlichen Niederländer einherging, die zunehmend mit Spanien identifiziert wurden (Judith Pollmann). Judith Pollmann weist darauf hin, dass eine national gefärbte Definition dessen, was als niederländisch galt, den Vorteil besaß, konfessionelle Differenzen überbrücken zu können. Umgekehrt konnte etwa Justus Lipsius schon auf die südlichen Niederlande als "Vaterland" rekurrieren und sich damit von der Republik im Norden deutlich distanzieren (Nicolette Mout). Es ist jedoch zu fragen, ob mit dem Begriffsfeld des Nationalen in diesen Beiträgen nicht bisweilen etwas zu leichtfertig umgegangen wird und ob semantische Differenzen zur Moderne dadurch nicht verwischt werden.
Neben der Einheit thematisieren verschiedene Beiträge auch die Vielfalt der Provinzen und Städte mit ihren je eigenen Identitäten und ihrer mitunter heftigen Rivalität untereinander. So weist Raingard Eßer auf unterschiedliche Identitätskonstruktionen in zentralen Geschichtswerken Gelderlands und Zeelands hin, während Andrew Spicer vorführt, wie die von Städten gestifteten Kirchenfenster zum Ausdruck urbanen Selbstbewusstseins werden konnten. Einzelne Kirchen erhielten - trotz der reformierten Bilderfeindlichkeit - bemalte Fenster aus Stiftungen der Nachbarstädte, in denen die stiftenden Städte ihren Stolz zum Ausdruck brachten, zugleich mit der Stiftung aber auch Verbundenheit mit der beschenkten Stadt und Kirche demonstrierten.
Stärker um konkrete öffentliche Reaktionen auf Einzelereignisse geht es in den Beiträgen von Woltjer und Janssens. Während Woltjer - für den Kenner frühneuzeitlicher Herrschaftsverhältnisse nicht ganz überraschend - die Kluft zwischen der spanischen Ketzergesetzgebung und der lokalen Praxis betont, untersucht Janssens die Reaktionen auf die Generalamnestie für die Aufständischen, die Philipp II. 1570 verkündete. In seiner Predigt betonte Bischof Richardot die "clementia" und "misericordia" als herrscherliche Tugenden und lobte die Absicht, möglichst viele Protestanten zur Wiederversöhnung mit der katholischen Kirche zu bringen. Zugleich sei in dieser Predigt die allgemeine Ablehnung der repressiven Maßnahmen des Herzogs von Alba zum Ausdruck gekommen. In beiden Beiträgen wird zudem deutlich, wie wenig Philipp II. von Madrid aus die Stimmung in den Niederlanden einzuschätzen in der Lage war.
Das Funktionieren lokaler "news communities" beschreibt Andrew Pettegree in seinem Beitrag, der sich freilich nicht mit den Niederlanden, sondern mit dem französischen Rouen beschäftigt. Immerhin führt er damit aber ein Modell vor, wie jenseits eines Pressezentrums (in diesem Fall Paris) nach Bedarf zum Beispiel im Kriegsfall relevante Nachrichten für lokale Rezipienten selektiert und verbreitet werden konnten. Leider lässt es die Quellenlage anscheinend nicht zu, die nach Meinung des Rezensenten entscheidende Frage zu beantworten, ob nämlich die Nachrichtenproduktion letztlich vom Markt abhing oder eben doch von den lokalen Autoritäten gesteuert wurde.
Etwas aus dem Rahmen der Festschrift fällt auch der Aufsatz von Jonathan Israel zum Toleranzdiskurs innerhalb der hugenottischen Diaspora der Niederlande. Hier steht die Toleranztheorie Pierre Bayles, die zutreffend als frühe Theorie einer allgemeinen Religionsfreiheit vorgestellt wird, im Mittelpunkt der Betrachtung, womit nicht nur der zeitliche Rahmen der übrigen Beiträge durchbrochen wird. Denn obwohl das Beispiel der hugenottischen Diaspora in der Einleitung als repräsentativ für die Spannungen innerhalb der niederländischen Gesellschaft insgesamt angekündigt wird, verbleibt der Aufsatz selbst doch weitgehend innerhalb des hugenottischen Diskurses, ohne den weiteren Kontext der niederländischen Aufnahmegesellschaft zu explizieren. Israel gelangt somit nicht über den derzeitigen Forschungsstand hinaus.
Überhaupt wird hier vielleicht der Schwachpunkt eines ansonsten sehr gelungenen Panoramas frühneuzeitlicher Öffentlichkeit in den Niederlanden deutlich: Kaum jemals wird versucht, die beschriebenen Phänomene in einen weiteren Kontext einzuordnen oder gar den europäischen Zusammenhang herzustellen. So wird nicht erörtert, inwieweit die niederländische Öffentlichkeit mit ihrer Vielfalt an Medien und Ausdrucksformen eigentlich eine Besonderheit darstellte. Hierzu wäre eine vergleichende Perspektive vonnöten gewesen, die nahezu völlig fehlt. Auch wird die Ausstrahlung der Niederlande im Hinblick auf die Diskussionskultur in anderen europäischen Ländern oder die Bedeutung der Republik als Druckort auch für zensierte Schriften aus anderen Staaten ausgeblendet.
Gleichwohl handelt es sich bei dieser Festschrift um einen anregenden und zahlreiche Perspektiven eröffnenden Band, nicht zuletzt auch deshalb, weil eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Quellen behandelt wird. Abgerundet wird das Werk durch ein Orts- und Personenregister. Bedauerlich ist hingegen das Fehlen eines ansonsten in Festschriften üblichen Publikationsverzeichnisses des Geehrten.
Ulrich Niggemann