Thomas Klein: "Frieden und Gerechtigkeit". Die Politisierung der Unabhängigen Friedensbewegung in Ost-Berlin während der 80er Jahre (= Zeithistorische Studien; Bd. 38), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, 548 S., ISBN 978-3-412-02506-9, EUR 59,90
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Bis zur Öffnung der Archive in der bundesdeutschen Forschung weithin unbeachtet geblieben (mit der bedeutsamen Ausnahme Karl Wilhelm Fricke!), hat sich die Beschäftigung mit "Opposition und Widerstand" seit 1990 rasch erheblich ausgeweitet. Maßgeblich beteiligt daran waren vor allem einstige Oppositionelle selbst sowie Forscherinnen und Forscher aus der ehemaligen DDR. Das erklärt auch, warum die Publikationen zu "Opposition und Widerstand" zwar quantitativ kaum noch zu überschauen sind, zugleich aber in der noch immer wissenschaftlich marginalisierten historischen Kommunismusforschung selbst eine Insellage einnehmen. Diese wird noch durch den Umstand befördert, dass viele der Debatten für Außenstehende kaum nachvollziehbar sind, weil, wie es scheint, ein Kampf ums Kleingedruckte tobt.
Mit seinem neuen Buch hat Thomas Klein nun einen neuen Beschäftigungstypus in die Debatte geworfen. Bislang war immer gut unterscheidbar, wer wann als Forscher und wer wann als Zeitzeuge spricht. Kleins Buch hingegen, immerhin in der renommierten Reihe des ZZF Potsdam erschienen, schert sich um solche Minimalunterscheidungen nicht sonderlich. Mit 1400, meist langen, sehr langen (Text-)Fußnoten selbst geadelt, erweckt der Band zwar den Eindruck einer handwerklich soliden zeithistorischen Studie, kann aber bei eingehender Betrachtung nicht den Eindruck zerstreuen, eine um Literatur- und Quellenrecherchen angereicherte Autobiografie und Selbstdeutung des Autors zu sein. Das mag noch kein ernsthafter Kritikpunkt der Darstellung sein, weist aber auf das Problem hin, dass wir es hier mit einem Zwitterprodukt zu tun haben, das seine Berechtigung hat, aber wohl vom Ort der Veröffentlichung her Erwartungen weckt, die der Autor selbst gar nicht zu erfüllen gedachte.
Thomas Klein (Jahrgang 1948), ein studierter Mathematiker, betätigte sich seit Anfang der 1970er-Jahre in oppositionellen Gruppen, saß 1979/80 dafür 15 Monate im Gefängnis, blieb auch nach der Haftzeit ein markanter Protagonist in der Oppositionsszene, war 1990 Abgeordneter der ersten frei gewählten Volkskammer und dann drei Monate des Deutschen Bundestages, arbeitet seit 1995 als Historiker am ZZF in Potsdam. Von seinen zahlreichen Publikationen sind vor allem die Arbeiten zum innerparteilichen Widerspruch und zur innerparteilichen Repression bekannt geworden. Mit seinem neuesten Buch will er den Wandlungsprozess der Ostberliner Oppositionsgruppen in den 1980er-Jahren nachzeichnen.
Ausgangspunkt seiner Monografie ist die Überlegung, dass die Opposition in der DDR nicht an ihrer Stellung zur bürgerlich-parlamentarischen Demokratie, ihrer Haltung zum Grundgesetz gemessen werden dürfe, sondern an ihrem Bemühen "Gegenöffentlichkeiten" herstellen und politische Alternativen zum herrschenden System erarbeiten zu wollen. Dabei unterscheidet er zwischen Opposition und Widerstand. Erstere versuchte sich offen zu konstituieren und blieb einem - allerdings nicht näher bestimmten - Legalitätsprinzip verbunden. "Widerstand" hingegen missachtete Legalitätsfragen, verstand sich selbst als "staatsfeindlich" und agierte konspirativ. "Widerstand" sei im Gegensatz zur "Opposition" fundamentale Gegnerschaft.
Klein verwendet somit mutatis mutandis Begriffe von Widerstand und Opposition, die so oder ähnlich in den meisten Demokratietheorien aufgegriffen werden und in den meisten westlichen Verfassungen reflektiert verarbeitet sind. Diese Beurteilung wird dem Autor nicht sehr gefallen. So wie andere Autoren versucht er begrifflich Phänomene auseinander zu halten, die in demokratischen Verfassungsstaaten tatsächlich eine scharfe Trennung erfahren, aber in diktatorischen Herrschaftssystemen in der historischen Rekonstruktion deshalb versagen, weil es die scharfe Trennlinie zwischen legalistischen und nicht-legalistischen Oppositions-/Widerstandsbewegungen - etwas anderes wäre die Bewertung einzelner Handlungen - nicht nur nicht gab, sondern aufgrund der Herrschaftsansprüche gar nicht geben konnte.
Die große Stärke von Thomas Kleins Buch liegt freilich weniger in der Theorie als in der Empirie. Auf wenigen Seiten zeichnet er zunächst die Entwicklung bis zum Ende der 1970er-Jahre nach. Diese Darstellung ist für das Buch insofern zentral, als Klein die Herausbildung konspirativer Gruppen exemplarisch betont und damit zugleich einen Spannungsbogen für die Achtzigerjahre entwirft: zwischen konspirativ arbeitenden und offen agierenden Gruppen. Auf den folgenden 400 Seiten entwirft Klein ein Panorama der Opposition in Ost-Berlin, wie es so zuvor noch keinem anderen Autor gelungen ist. Kaum eine Entwicklung scheint dem Autor entgangen zu sein. Er zeichnet die Entwicklung der kirchennahen Gruppen ebenso nach wie er die gesellschaftlichen und internationalen Rahmenbedingungen als Analysehintergrund beachtet. Die Tätigkeit des MfS gegen die Opposition zählt genauso zu einer Säule seiner Studie wie er ausführlich die sehr verschiedenartigen inhaltlichen Vorstellungen der Opposition vorstellt und debattiert. Insgesamt hat Thomas Klein eine Monografie vorgelegt, die viel Neues zur Ostberliner Oppositionsentwicklung beinhaltet, etwa auch die Vorstellung "konspirativer Widerstandsgruppen" aus den Achtzigerjahren.
Die eigentliche Überraschung an Kleins Buch dürfte (für Außenstehende) darin bestehen, dass er linke Ansätze innerhalb der Opposition als "Minderheitsströmung" (15, 472) ansieht. Auch wenn er diesem Ansatz in seinem Buch selbst fortwährend widerspricht und eher eine Ausgewogenheit verschiedener demokratischer Gesellschaftsideen konstatiert, liegt aber genau in dieser postulierten Annahme das Grundproblem des gesamten Buches. Einerseits unterlässt Klein es, explizit zu erklären, was er denn nun unter "linken" Ansätzen versteht. Andererseits weiß "man" ungefähr um die politischen Ansichten von Klein, die sich irgendwo am linken Rand bewegen und trotzkistische, marxistische, leninistische, anarchistische Splitter ebenso enthalten wie eine generelle Staatsskepsis. Vorsichtig ausgedrückt würde die in diesem Buch manifeste politische Überzeugung als "linksdogmatisch" gelten können, die an sich uninteressant wäre, wenn sie nicht auch gleichfalls zum historischen Erklärungsansatz geriete. Das Problem verschärft sich noch dadurch, dass Klein eine mit wissenschaftlichen Erkennungsmarken getarnte Selbstverteidigungsschrift vorgelegt hat. Denn er zählte in den 1980er-Jahren zu jenen "linken" Oppositionsprotagonisten, die selbst innerhalb der Ostberliner Szene zunehmend marginalisiert wurden, was er zwar akzeptiert, aber historisch als fatale Entwicklung zu konstruieren versucht. Es mutete nicht nur merkwürdig an, dass das Buch permanent zu beweisen sucht, dass die einen irrten und die anderen eigentlich richtig lagen, aber nicht zum Zuge kamen. Zu den "anderen" gehörte Klein selbst. Dem entspricht, dass Thomas Klein in diesem Buch zu den am häufigsten erwähnten und zitierten Akteuren der Opposition gehört, nur noch von Reinhard Schult übertrumpft, der aber oft nur stellvertretend - was wiederum Schults zentrale Rolle mehr herunterspielt als ihr gerecht wird - für Klein selbst zu Wort kommt.
Das Buch stellt auch den Versuch dar, kommunistische Ideen für die Gegenwart zu retten. Dass in dieser Perspektive die Wiedervereinigung Deutschlands als "Anschluss der DDR" (523) firmiert, mag kaum überraschen, rückt aber Klein selbst in die Nähe jener, denen er vor 1989 die Macht entreißen wollte. Dazu passt dann auch, dass er ausdrücklich IM des MfS nur selten als solche benennt (37) und so zuweilen beim unwissenden Leser Eindrücke hinterlässt, die bei Aufklärung über die eigentlichen Hintermänner der in der Opposition tätigen Nicht-Oppositionellen hätten vermieden werden können. Das ist freilich nicht Kleins Anliegen, weil er ähnlich wie Geisel IM des MfS nicht automatisch als Nicht-Oppositionelle markiert. [1] Klein geht sogar noch einen Schritt weiter (zurück) und nennt einige MfS-Offiziere nicht bei ihrem Namen, sondern gewährt ihnen Anonymität (442), womit er auch noch eine zweite Tätergruppe zu schützen beginnt.
Noch problematischer wird Kleins Darstellung durch den Umstand, dass er zwar die Ablehnung der politischen DDR-Verhältnisse in der Opposition als einen Grundkonsens erklärt, aber sich zu der Behauptung versteigt, die meisten oppositionellen Gruppen hätten noch "größeren Wert auf die Verdeutlichung ihrer politischen Distanz zum westlichen System" (334) gelegt. War die Opposition in der DDR also eigentlich Opposition gegen den Westen? Das korrespondiert dann auch mit seiner neuerlichen Diskreditierung jener, die ihr Menschenrecht auf Ausreise wahrnehmen wollten, weil sie oppositionelle Veranstaltungen "missbraucht" (377) hätten. In Kleins Sicht erscheint diese Interpretation logisch, historisch nachvollziehbarer wird sie dadurch freilich nicht.
Das Buch verlässt interpretatorisch leider nur sehr selten den engen, ideologisch geprägten Rahmen. Es kann kaum noch überraschen, dass die 1989 eher marginale "Vereinigte Linke" (VL), eines der vielen konkreten politischen Produkte von Thomas Klein, in diesem Buch als Lichtblick der Revolution - die er niemals so nennt - erscheint (479). Der Autor sieht zwar, dass sie am weitesten entfernt von der Gesellschaft war, aber im eigentlichen Sinne nur deshalb, weil die Gesellschaft sich weigerte, die von der VL artikulierten Vorstellungen als ihre ureigensten anzunehmen. Die Methode von Klein ist dabei insgesamt nicht so simpel, dass er nicht auch seine damaligen Gegenspieler in der Opposition ausführlich zitieren würde, aber meist kann er es nicht unterlassen, die Schlachten von damals erneut zu schlagen, um zu zeigen, wer "Recht" hatte und wer "irrte". Thomas Klein und die, denen er sich hinzuzählt, hätten demnach vor 1989 kaum geirrt - nach 1990 in ihrer Kapitalismusphobie und -analyse schon gar nicht.
Im Prinzip wäre dem Buch eine breite Debatte unter Spezialisten und Zeitzeugen zu wünschen. Diese Hoffnung wird wohl unerfüllt bleiben. Nicht nur, weil die Gräben zwischen den Zeitzeugen so tief sind, dass die einen "den Klein" als Fibel nehmen und die anderen nicht einmal das Inhaltsverzeichnis anschauen werden. Hinzu kommt eine Darstellungsform, die auch in wohlmeinender Lesart wohl kaum als leicht bezeichnet werden könnte. Die Sprache ist kompliziert und der Stil eigenwillig. Hans Misselwitz vom Pankower Friedenskreis hatte Mitte der Achtzigerjahre formuliert, dass "die Sprache des persönlichen Zeugnisses unvergleichlich eindeutiger ist, als jede Metasprache der politischen Argumentation" (138). Damit wies er "linksdogmatische" Ansinnen in der Opposition zurück. Auf die Darstellung von Thomas Klein im Jahr 2007 trifft dies ebenso zu. Der Arbeit haftet ein Charme an, den Freya Klier und Stephan Krawczyk 1988 als "das unerträgliche Klima dogmatischer Sektierergruppen" und für Ostberliner "K-Gruppen" charakteristisch bezeichneten (393).
Es ist im Übrigen legitim, einen Anti-Neubert zu verfassen, wie es Klein versuchte. Ehrhart Neuberts Oppositionsgeschichte, das übergreifende Standardwerk [2], hat viel Kritik auf sich gezogen und sich dennoch allseits als Referenzwerk erwiesen. Ob dies Thomas Klein mit seinem Werk gelingt, wird sich zu erweisen haben. Wahrscheinlich wäre dies eher denkbar, wenn Klein wie vor Jahren Wolfgang Rüddenklau eine deutlich den Autor selbst markierende Akteursposition konzeptionell eingenommen hätte. So muss man sich wundern, dass in einem in der wissenschaftlichen Reihe des ZZF Potsdam publizierten Buch viele Fußnoten nicht auflösbar sind, noch mehr Fußnoten Nebenschauplätze ausufernd eröffnen und überraschend viele Fußnoten einfach fehlen. Klein polemisiert unentwegt gegen andere Forscher, ohne sie - mit der permanenten Ausnahme Neubert - auch nur einer Erwähnung für würdig zu befinden. So bleibt das Buch ein Buch für Insider. Eine Autobiografie, was durchaus sinnvoll wäre, hätte sich all diesen Kritikpunkten nicht aussetzen müssen. So bleibt ein zwiespältiger Eindruck: viele interessante Befunde, aber eine ideologisch eindeutige und begrenzte Perspektive.
Anmerkungen:
[1] Christof Geisel: Auf der Suche nach einem dritten Weg. Das politische Selbstverständnis der DDR-Opposition in den achtziger Jahren, Berlin 2005, 232-233.
[2] Ehrhart Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949 - 1989, Berlin 1997.
Ilko-Sascha Kowalczuk