Rifaat Y. Ebied / David Thomas (eds.): Muslim-Christian Polemic during the Crusades. The Letter from the People of Cyrus and Ibn Abī Ṭālib al-Dimashqī's Response (= The History of Christian-Muslim Relations; Vol. 2), Leiden / Boston: Brill 2005, vii + 516 S., ISBN 978-90-04-13589-5, EUR 105,00
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Die beiden Autoren haben hier eine exzellente Einleitung, Edition und Übersetzung von zwei hochinteressanten, aufeinander bezogenen Dokumenten der intellektuellen christlich-muslimischen Auseinandersetzungen aus dem 14. Jahrhundert vorgelegt.
Der "Brief der Leute von Zypern" wurde um 1316 von einem wahrscheinlich aus Syrien stammenden Christen verfasst, der im Arabischen zu Hause war und den Koran sehr genau kannte. Dass er offenbar dem melkitischen Glauben anhing, zeigt sich in den von ihm verwendeten christologischen Formulierungen. In seiner Epistel ging es ihm in erster Linie darum, die Überlegenheit des Christentums gegenüber dem muslimischen Glauben argumentativ zu begründen, wobei ihm als wichtigster Beweis entsprechende koranische Hinweise dienten. Wichtig für die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte des Textes ist natürlich, dass viele Nicht-Muslime zu Beginn des 14. Jahrhunderts glaubten, sie befänden sich in einer Epoche des vermeintlichen Untergangs des Islams. Eine Unterwerfung der islamischen Kerngebiete durch Mongolen oder Christen und Mongolen schien vor allem nach dem Fall Bagdads im Jahre 1258 kurz bevorzustehen. Die Christen hörten von den hartnäckigen mongolischen Feldzügen gegen Syrien und unternahmen einige Versuche, ein Bündnis mit den Nomaden zu erwirken. Vielerorts entstand auch die Vorstellung eines neuen Kreuzzuges in das Heilige Land. Es spricht viel dafür, dass der "Brief der Leute von Zypern" vor diesem Hintergrund konzipiert worden ist. Sein Autor wollte damit zum einen indirekt für etwaige Kreuzzugspläne werben und zum anderen die Muslime davon überzeugen, dass ihre Heilige Schrift die Rechtmäßigkeit der Christenheit anerkannte.
Zu diesem Text gibt es allerdings eine Vorgeschichte: der melkitische Bischof von Sidon, Paul von Antiochien, eine historisch schwer zu fassende Persönlichkeit, die irgendwann zwischen dem 11. und dem frühen 13. Jahrhundert lebte, hatte einen "Brief an einen muslimischen Freund" verfasst: Nachdem Paul in verschiedenen christlichen Regionen umhergereist war und sich dort mit christlichen Gelehrten über deren Wissen von Muḥammad unterhalten hatte, wollte er daheim in Sidon darüber einem muslimischen Gefährten erzählen. Natürlich ist diese Rahmenhandlung nur ein narrativer Kunstgriff, und gezeigt wird selbstverständlich nicht die Größe Muḥammads, sondern die allgemeine Unterlegenheit des Islams gegenüber dem Christentum. Paul von Antiochiens Brief wurde viel gelesen, und der ägyptische Gelehrte Šihāb ad-Dīn al-Qarāfī (gestorben 1285) schrieb offenbar als Entgegnung darauf ein Werk mit dem Titel "al-Aǧwiba al-fāḫira 'an al-as'ila al-fāǧira" ("Ausgezeichnete Antworten auf ungeziemende Fragen").
Auch unser anonymer Verfasser kennt das Schriftstück sehr gut und folgt weitgehend Pauls Argumenten. Allerdings nimmt er ein wenig die Polemik heraus und bietet stattdessen eine Reihe von Beweisführungen, die sich auf die Bibel und den Koran stützen. Das fertige Dokument schickte er an zwei berühmte muslimische Gelehrte in Damaskus. Ibn Taymiyya (gestorben 1328) erhielt eine Version 1316 und antwortete darauf in seinem umfangreichen "al-Ǧawāb aṣ-ṣaḥī ḥ li-man baddala dīn al-Masīḥ" ("Die richtige Antwort an denjenigen, der die christliche Religion ändern will"). 1321 wurde eine zweite Fassung an Šams ad-Dīn Abū 'Abdallāh Muḥammad b. Abī Ṭālib al-Anṣarī aṣ-Ṣūfī ad-Dimašqī (gestorben 1327) versandt. Ad-Dimašqī berichtet, dass ihm den Brief ein Kaufmann namens Kilyam (wohl: Guillaume/Wilhelm) überbrachte. Da ad-Dimašqī den Überbringer allerdings in die Argumentation seiner Erwiderung integrierte, kann man davon ausgehen, dass es sich um eine rhetorische Erfindung zur Erzeugung eines höheren Authentizitätsgrades handelt. Seiner Antwort, die er zwischen März und Juni 1321 verfasste und die aus einer Einleitung und 13 Teilen besteht, gab ad-Dimašqī den lakonischen Titel "Ǧawāb risālat ahl ǧazīrat al-Qubruṣ" ("Antwort an die Leute von der Insel Zypern". Der Text enthält sehr viele Argumente, um dem christlichen Autor die Inkohärenz seiner Beweisführung zu zeigen. Allerdings ist ad-Dimašqīs Darlegung nicht immer klar und logisch, sondern an vielen Stellen polemisch und unsachlich. Trotz des etwas flüchtigen Charakters bietet das Dokument dennoch einen tiefen Einblick in die zeitgenössische muslimische theologische Position gegenüber dem Christentum. Es reiht sich ein in die bedeutende Zahl antichristlicher Traktate. Allerdings wissen wir nicht, ob der Antwortbrief jemals nach Zypern gelangt ist bzw. ob er Damaskus überhaupt verlassen hat...
Die Edition des "Briefes der Leute von Zypern" (53-147), dem der Wortlaut der Epistel aus der Feder Paul von Antiochiens gegenübergestellt ist, basiert auf einem aus dem 14. Jahrhundert stammenden Manuskript aus der Sammlung der christlich-arabischen Handschriften der Bibliothèque Nationale (MS Arabe 204) in Paris. Als Grundlage für ad-Dimašqīs Antwort (149-497) dienten zum einen eine 1370 angefertigte und in der Utrechter Universitätsbibliothek aufbewahrte Handschrift [Utrecht Codex No. 40 [1449] und zum anderen eine spätere Abschrift (1645) aus der Bodleian Library in Oxford [Uri Arab. Moh. 124(2)].
Mit ihren sauberen Editionen und einwandfreien Übersetzungen erschließen Rifaat Y. Ebied und David Thomas sowohl dem islamwissenschaftlichen wie auch dem interessierten, aber des Arabischen nicht mächtigen Leser zwei wichtige mittelalterliche Texte der zeitgenössischen interkonfessionellen theologischen Debatte.
Stephan Conermann