Franz J. Felten / Pierre Monnet / Alain Saint-Denis (Hgg.): Robert Folz (1910-1996). Mittler zwischen Frankreich und Deutschland (= Geschichtliche Landeskunde; Bd. 60), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, XIII + 152 S., ISBN 978-3-515-08935-7, EUR 26,00
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Am 23. März 2001 fand in Dijon ein deutsch-französisches Kolloquium mit dem Ziel statt, der historisch interessierten Öffentlichkeit Werk und Person des französischen Mediävisten Robert Folz (1910-1996) ins Gedächtnis zu rufen. Dies gilt vor allem für seine jahrzehntelange Tätigkeit als "Mittler" zwischen Frankreich und Deutschland und für sein Engagement im Rahmen der Kooperation zwischen den Universitäten Dijon und Mainz. Als Übersetzung des französischen Tagungstitels wählten die Herausgeber "Reich, Reichsidee und Königtum im Mittelalter zwischen Deutschland und Frankreich: zum Werk von Robert Folz" (VII). Damit wird ein Grundprinzip des Bandes deutlich: Es handelt sich hier im vollen Sinn um einen bi-nationalen Blick auf Leben und Werk von Folz. Besonders erfreulich ist das konsequente Bemühen um Zweisprachigkeit. Das gemeinsam von den Herausgebern verfasste Vorwort wird in beiden Sprachen präsentiert; die Autoren der übrigen Beiträge schreiben in ihrer jeweiligen Muttersprache. Alle Artikel enden mit kurzen deutschen und französischen Zusammenfassungen. Angesichts zurückgehender Sprachkenntnisse wird damit ein (nachahmenswertes) Beispiel zur Erhaltung von Deutsch und Französisch als Wissenschaftssprachen gegeben.
Zu den Autoren des Bandes gehören u.a. ehemalige Schüler, Fakultätskollegen und Wissenschaftler, die Folz im Rahmen der deutsch-französischen Hochschulkooperation begegnet waren. Trotz einiger inhaltlicher Überschneidungen in den biographischen Artikeln ergeben sich auf diese Weise unterschiedliche Blickwinkel. Wer Folz aus seiner Zeit als Professor in Dijon (1947-1978) kannte, erinnert sich besonders an sein Wirken "vor Ort", deutsche Kollegen eher an sein Engagement innerhalb der universitären Partnerschaftsbeziehungen. Einige Autoren erwähnen persönliche Erfahrungen oder anekdotische Erlebnisse. Am Anfang des Bandes steht der Hinweis auf die 1979 initiierte Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Mainz in Form von zwei Briefen des Geehrten und der von Alfons Becker verfassten Laudatio. Danach folgen zehn Einzelbeiträge, darunter eine chronologische Bibliographie der von Folz verfassten Bücher und Aufsätze (19-25), die dem Leser einen eigenen Zugang zum Werk des renommierten französischen Mediävisten erleichtert.
Michael Kißener, Alain Saint-Denis, Patrick Corbet, Francis Rapp und die Schlussbetrachtung von Jean Richard beschäftigen sich vorwiegend mit biographischen Aspekten, der Würdigung des wissenschaftlichen Werkes und dessen Entstehungsgeschichte. Robert Folz wurde 1910 in Metz geboren. Die Herkunft aus dem Grenzgebiet beeinflusste die Wahl der Forschungsgegenstände. Entscheidend für seinen wissenschaftlichen Werdegang war die Begegnung mit seinem akademischen Lehrer Marc Bloch, der während der deutschen Besatzungszeit als Angehöriger des französischen Widerstandes hingerichtet wurde. Für Folz selbst standen die Geschichte des mittelalterlichen Reiches, die Frage nach heiligen Königen und Königinnen, nach der Entwicklung des ihnen gewidmeten Heiligenkultes, nach der Erinnerung an Karl den Großen und - immer wieder - nach der "Reichsidee" im Mittelpunkt der Forschungen. Diese Interessen spiegeln sich in seinen wichtigsten Büchern wider, die zu Standardwerken wurden. Dazu gehören "Le souvenir et la légende de Charlemagne dans l'Empire germanique" (1950), "L'idée d'Empire en Occident" (1953) oder seine Werke zu "saints rois" (1984) und "saintes reines" (1992). Mehrere Autoren würdigen zu Recht einen weiteren wichtigen Aspekt des Lebenswerks, der zur deutsch-französischen Verständigung beitrug: Folz war als Rezensent deutschsprachiger Bücher tätig und verfasste über mehrere Jahrzehnte hinweg Berichte zur deutschen Forschung in der "Revue Historique".
"Reichsidee" und Königtum, aber auch "Erinnerung" und ihre Instrumentalisierung sind die Leitmotive des an Sachfragen orientierten zweiten Themenbereiches. Die diesbezüglichen Aufsätze von Caspar Ehlers, Franz J. Felten, Knut Görich und Pierre Monnet sind von großer thematischer Geschlossenheit. Im Vordergrund steht zwar der Umgang mit der "Erinnerung" an Karl den Großen, die "Karlstradition", es werden aber auch Merowinger, Salier und Ottonen berücksichtigt. Alle Autoren setzen einen städtischen Schwerpunkt. Aachen, Speyer, Mainz und Frankfurt am Main waren wichtige geistige Zentren, königliche "Erinnerungsorte" und zugleich politische Knotenpunkte des mittelalterlichen Reiches. Alle diese Städte setzten ihre besondere - manchmal mythisch überformte - Beziehung zu bedeutenden Herrschern der Vergangenheit auch zugunsten eigener Interessen, im Sinne städtischer Identitätsstiftung oder zur Aufwertung der eigenen Bedeutung ein. Besonders lesenswert sind die Beiträge von Franz J. Felten zu Mainz und von Pierre Monnet zu Frankfurt am Main. Franz J. Felten verfolgt "Spuren - Erinnerungen - Fiktionen - und ihre Nutzanwendung" in Mainz vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart. Er bezieht dabei auch die napoleonische Epoche ein und zeigt, dass der Merowingerkönig Dagobert immer wieder zentraler Bezugspunkt der Mainzer Erinnerungstradition war. Pierre Monnet beschäftigt sich mit der besonderen Beziehung Frankfurts zu Karl dem Großen, die auf das Engste mit der Funktion als Stadt der Königswahl verbunden war. Karl der Große wurde im mittelalterlichen Frankfurt gleich dreifach verehrt: als Gründer von Pfalz, Stiftskirche und Stadt. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang die Hinweise auf die Verbindung von Karl dem Großen mit dem Heiligen Bartholomäus und die ikonographische "Indienstnahme" beider durch die städtischen Eliten.
Insgesamt gesehen leistet der Band einen Beitrag zur deutsch-französischen Wissenschaftsgeschichte. In einem durch zwei Weltkriege geprägten Jahrhundert trug Folz durch sein Werk zu einem besseren wechselseitigen Verständnis von französischer und deutscher Mediävistik bei. Das Anliegen der Herausgeber des Bandes bestand daher vor allem in einer posthumen Ehrung, es geht hier also nicht um eine kritische "Bestandsaufnahme" oder Diskussion von einzelnen Forschungsergebnissen. Internationale Wissenschaftsbeziehungen leben nach wie vor vom persönlichen Einsatz von Individuen. Auch hieraus bezieht die Erinnerung an Robert Folz ihre Bedeutung.
Gisela Naegle