Samuel Wittwer: Raffinesse & Eleganz. Königliche Porzellane des frühen 19. Jahrhunderts aus der Twinight Collection New York, München: Hirmer 2007, 487 S., 200 Farb-, 120 s/w-Abb., ISBN 978-3-7774-3465-0, EUR 65,00
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Gälte es, die Sammlung, die Ausstellung und den Katalog mit einem Wort zu beschreiben, stünde nur ein Adjektiv zur Wahl: opulent. Der Amerikaner Richard Baron Cohen hat mit der Twinight Collection eine außergewöhnliche Sammlung von europäischen Porzellanen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammengetragen. Eine Auswahl von etwa 300 Stücken, ergänzt durch Leihgaben aus Berliner Museumsbesitz, waren im vergangenen Jahr im Schloss Charlottenburg, Berlin, in einer hervorragenden Ausstellung zu sehen, die der im Hirmer-Verlag erschienene Katalog begleitete.
Obgleich die Twinight Collection eine recht junge Sammlung ist - sie wurde im Jahr 1994 begonnen - darf sie als die weltweit qualitätvollste und umfangreichste Sammlung ihrer Art gelten, der höchstens die Bestände der Eremitage in St. Petersburg gleich kommen. Zusammengetragen hat Cohen eine Kollektion, die ihre Schwerpunkte auf die Zeitspanne von 1800 bis 1830 und die führenden europäischen Manufakturen legt. Zudem besticht der Qualitätsanspruch des Sammlers, der sich möglichst auf Spitzenstücke mit illustrer Provenienz konzentriert. Für die von Dr. Samuel Wittwer, dem Leiter des KPM-Archivs der Staatlichen Preußischen Schlösser und Gärten und Herausgeber des Katalogs, kuratierte Ausstellung sind hauptsächlich Produkte der Manufakturen Sèvres, Berlin und Wien gewählt worden, Meissen und Nymphenburg sind in Einzelstücken vertreten. Das ambitionierte Ziel von Ausstellung und Katalog ist es, "die intensiven technischen, personellen und künstlerischen Querverbindungen der europäischen Porzellankunst jener Zeit" (9) darzustellen und zu analysieren.
Der Katalog umfasst fünf historische, wissenschaftliche Kapitel, es folgt der ausführliche Katalogteil mit 150 Nummern, und schließt mit einem Kapitel über das "Hippopotamus-Service", einer Sonderanfertigung der Kopenhagener Porzellanmanufaktur in Cohens Auftrag. Da der Katalog auch für die weiteren Stationen der Ausstellung in Wien und New York konzipiert ist und auch in einer englischen Fassung vorliegt, sind im Katalogteil nur die Stücke aus der Twinight Collection aufgeführt. Der Anhang wartet mit einem ausführlichen Inventar zu den ausgestellten Porzellanen der Twinight-Collection und einer auszugsweisen Edition von Katalogen der Berliner Akademie-Ausstellungen auf. Wie es sich gehört, ist hier auch eine Markentafel zu finden. Das Buch ist durchgehend mit sehr guten Farbabbildungen versehen; Detailaufnahmen und verschiedene Ansichten einzelner Stücke führen die Porzellane eindrucksvoll vor Augen.
Im ersten Kapitel umreißt Arnulf Siebeneicker konzis den (kultur-)historischen Kontext, in dem die Porzellane zu verorten sind. Im sich anschließenden Aufsatz beschäftigt sich Claudia Lehner-Jobst mit der Produktion der Wiener Porzellanmanufaktur. Samuel Wittwer erläutert sodann die künstlerische Entwicklung der Königlichen Porzellanmanufaktur in Berlin. Tamara Préaud erweitert diesen Blick um eine französische Perspektive, indem sie den Austausch zwischen der Staatsmanufaktur Sèvres und den deutschen Manufakturen untersucht. Noch einmal meldet sich Samuel Wittwer im fünften Kapitel mit einer profunden Darstellung der in Berlin gepflegten Techniken der Porzellanmalerei zu Wort.
Die Porzellankunst der Epochen Klassizismus, Empire und Biedermeier ist gekennzeichnet durch schlichte Formgebung, Verzicht auf Reliefschmuck und Antikenzitat. Vor allem zeichnet sie aber eine Betonung der Malerei aus, die in neuer Art und Weise und mit bis dahin unbekannter Farbenpracht die Oberflächen der Flachgeschirre, Gefäße und Vasen zum Teil vollständig überzieht. Es waren die genannten Manufakturen, die in eigenen Farblabors die Technik der Porzellanmalerei gleichsam neu erfanden und so eine künstlerische Verfeinerung höchsten Grades ermöglichten. Der beständige Austausch der zugleich konkurrierenden Unternehmen beförderte diese Entwicklung, suchte man sich doch gegenseitig durch immer neue Farben, diffizilere Dekore, prachtvollere Vergoldungen und ins Monumentale gesteigerte Größenformate gegenseitig zu übertreffen.
Eine besonders treibende Kraft in dem Zirkel der Manufakturdirektoren und in dem Transfer von technologischem Wissen und künstlerischer Entwicklungen war Alexandre Brongniart, der 1800 mit der Leitung von Sèvres betraut worden war. Ihm oblag es, nicht nur Sèvres zu neuem Glanz und Ruhm zu führen, sondern er schuf mit seiner Politik des Austauschs die Grundlagen des heutigen Musée national de Céramique des Sèvres. Besonders enge Kontakte knüpfte er dabei zu den Manufakturen in Wien und Berlin, die bereitwillig Probestücke schickten und Auskünfte über ihre Fertigungstechniken gaben. Zum Dank erhielten sie Porzellane aus Sèvres, die jeweils den Stand der Technik und den neuesten Geschmack in Frankreich vermittelten. Wien und Berlin standen ihrerseits in teils enger Verbindung, was sich vor allem in der erstaunlichen Tatsache der Ausbildung eines Berliner Blumenmalers in der Wiener Manufaktur niederschlug.
Es ist die besondere Qualität des Buches, dass eine Vielzahl von Aspekten zur wechselseitigen Beeinflussung der Manufakturen beleuchtet werden. So werden nicht nur neu entstehende Dekorarten, wie etwa die von Sévres ausgehende Kameenmalerei, und deren Rezeption in den Konkurrenzbetrieben beschrieben und erläutert. Auch die Bedeutung herrschaftlicher Auftraggeberschaft und ökonomische Fragestellungen werden einbezogen sowie funktionale Aspekte und Fertigungstechniken. Einzig eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Ikonologie von programmatisch bemalten Ensembles wie dem Déjeuner "Potiers célèbres modernes" (Kat. Nr. 20) mag man vermissen. Doch kann man dies auch als Aufgabe für weitere Studien begreifen.
Der Katalog erweitert die bisherige Forschung zum Porzellan des 19. Jahrhunderts entschieden, indem er das Thema des Austauschs nicht nur über formal-stilistische Analysen bearbeitet, sondern sich auf intensives Aktenstudium stützt. Vor allem die auszugsweise vorgenommene Transkription der Korrespondenz Brongniarts durch Tamara Préaud ist äußerst lobenswert und wertvoll.
"Raffinesse und Eleganz" ist das erste große Buchprojekt zu diesem Gebiet der Porzellankunst seit dem vor einem Vierteljahrhundert erschienenen Standardwerk von Antoinette Faÿ -Hallé und Barbara Mundt [1] und verdient auf Grund seiner wissenschaftlichen Qualität den gleichen Titel. Abschließend darf noch die Hoffnung ausgesprochen werden, dass die Twinight Collection in der Zukunft eine ihr gebührende museale Heimstatt finden wird.
Anmerkung:
[1] Antoinette Faÿ-Hallé und Barbara Mundt: Europäisches Porzellan vom Klassizismus bis zum Jugendstil, Stuttgart 1983.
Christian Lechelt