Maurus Friesenegger / Willbald Mathäser (Hgg.): Tagebuch aus dem 30jährigen Krieg. Nach einer Handschrift im Kloster Andechs herausgegeben von Pater Willibald Mathäser, Norderstedt: Books on Demand 2007, 147 S., ISBN 978-3-86520-182-9, 15,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Karin Friedrich: Brandenburg - Prussia, 1466-1806. The Rise of a Composite State, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012
Jeremy Black (ed.): Warfare in Europe 1650-1792, Aldershot: Ashgate 2005
Jeremy Black: Beyond the Military Revolution. War in the Seventeenth Century World, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2011
Das Tagebuch von Maurus Friesenegger, Benediktiner und Abt des Klosters Andechs, zählt zu den Klassikern der Selbstzeugnisse, die den Kriegsalltag im Dreißigjährigen Krieg in Bayern beschreiben. [1] Die vorliegende Ausgabe ist 1974 erstmalig gedruckt worden, 1996 wurde eine zweite Auflage veranstaltet. Jetzt ist im Allitera Verlag eine Neuausgabe erschienen, die aber ohne jede Überarbeitung auskommt. Lediglich ein Geleitwort des derzeitigen Andechser Abts ist dem Text vorangestellt.
Ein Nachdruck ist an sich überhaupt nicht verwerflich, doch muss festgehalten werden, dass bislang eine textkritische Edition der Aufzeichnungen Frieseneggers nicht existiert. Wir sind nach wie vor auf die sprachlich geglättete Version angewiesen, wie sie hier geboten wird, d.h. eine Textausgabe mit stillschweigenden, nicht im Detail nachgewiesenen Regulierungen und Normalisierungen. Der offenkundige Vorteil dieses modernisierten Textbestandes liegt in der Lesbarkeit, die Frieseneggers Schrift eine über den engen wissenschaftlichen Kreis hinausreichende Rezeption und nicht zuletzt den bequemen Einsatz in der Lehre ermöglicht.
Schwerer fällt ins Gewicht, dass das Nachwort keine Aktualisierung erfahren hat (107-110). Nach wie vor nützlich sind die Hinweise zur Überlieferungsgeschichte des Textes, doch Hinweise auf neuere Ansätze zur Erforschung frühneuzeitlicher Selbstzeugnisse oder zur Darstellung von Gewalt des Militärs und im Krieg - bei der Thematik absolut einschlägig - fehlen völlig. Wichtig wäre etwa der Versuch gewesen, das Tagebuch in eine generelle Perspektive von zeitgenössischen Reflexionen über den Dreißigjährigen Krieg zu stellen und damit aus einer strikt landeshistorischen Verortung zu lösen. Diese ist zwar überhaupt nicht fehl am Platz, doch dürfte der Wert von Frieseneggers Tagebuch erst im Bezug zu anderen vergleichbaren Selbstzeugnissen wirklich klar werden.
Diese Lücke kann auch der Anmerkungsteil nicht schließen, dessen Anliegen vielmehr darin liegt, Sach- und Hintergrundinformation zum weiteren historischen Kontext vorzustellen (111-139). Diese Angaben spiegeln ebenfalls den Wissensstand von 1974, was sie nicht automatisch wertlos macht. Doch muss der Leser Forschungsergebnisse der vergangenen 30 Jahre fallweise selbst beisteuern. Dies gilt vor allem bei im Tagebuch erwähnten Persönlichkeiten, zu denen neue Arbeiten vorliegen.
Das Tagebuch selbst umfasst die Zeit von 1627 bis 1648. Unausgesprochen, aber implizit klar ist, dass der Friedensschluss auch für Friesenegger Anlass ist, die Aufzeichnungen nicht mehr weiterzuführen. Warum die Notizen 1627 einsetzen, geht aus dem Text selbst nicht hervor; allerdings rückte Friesenegger in diesem Jahr in die Funktion des Subpriors von Andechs vor und wurde gleichzeitig Pfarrvikar im benachbarten Erling. Den Aufzeichnungen wird man somit einen persönlichen Impuls nicht absprechen können, doch spielt sicher der Rang des Schreibers eine Rolle, der sich, nun in eine Leitungsfunktion aufgerückt, über sein Tun selbst vergewissern möchte. Wichtig ist in dem Kontext - ohne dass bis dato eine hinreichende Erklärung dafür geboten wurde oder eine genauere Untersuchung vorliegt -, dass die hier in deutscher Sprache vorliegenden Aufzeichnungen eine adaptierte und gestraffte Übersetzung der "Ephemerides Andecenses" sind, die ebenfalls von Friesenegger angefertigt wurden.
Das Tagebuch ist nach Jahren gegliedert. Einträge werden aber nicht regelmäßig vorgenommen, sondern nur, wenn die Ereignisse als aufzeichnungswürdig erscheinen. Der Berichtshorizont geht dabei über den engeren regionalen Horizont hinaus und bezieht teilweise auch den süddeutschen Raum mit ein. Ins Tagebuch aufgenommen wird also nicht nur selbst Gesehenes, sondern auch das, was Friesenegger andernorts und sekundär erfahren hat. Der Benediktiner macht übrigens keineswegs seinen Orden zum Angelpunkt der Aufzeichnungen; vielmehr schlägt durchweg ein bayerisches Landesbewusstsein durch.
Auch wenn das Tagebuch annalistisch aufgebaut ist, fällt die Darstellung der einzelnen Jahre nicht gleichmäßig aus. Friesenegger setzt deutliche Schwerpunkte auf die Jahre 1632 bis 1634 sowie 1646 und 1648. Damit rückt er die Zeit in den Vordergrund, in der Bayern Kriegsgebiet war. Entsprechend eindringlich beschreibt der Abt diese Kriegsläufe. Insgesamt handelt es sich dabei um keine durchkomponierte Geschichte, der ein bestimmter Entwurf zugrunde liegt, sondern eine Reihung kleiner Episoden von hoher Anschaulichkeit.
Konkret lässt sich festhalten, dass die Aufzeichnungen die typischen Kriegseinwirkungen dieser Zeit festhalten. Vor allem Soldatendurchzüge und Einquartierungen mit all ihren Bedrückungen für die Bevölkerung werden beschrieben. Explizit hält Friesenegger immer wieder fest, dass es unerheblich war, unter welcher Fahne die jeweiligen Truppen kämpften - eine Belastung und eine Bedrohung stellten Soldaten jeder Armee dar. Genau werden auch militärische Aktionen im weiteren Umfeld wahrgenommen, wobei der Abt seiner Bewunderung für Jan von Werth keine Grenzen setzt; selbst bei der sog. Meuterei Werths 1647 tut sich Friesenegger schwer, den General zu verdammen. Neben den eigentlichen Militaria finden auch die anderen Unbilden dieser Zeit Eingang ins Tagebuch: so etwa Witterungseinflüsse, vor allem auch Blitzschläge, dann das Auftreten der Pest und die immer größer werdende Wolfsplage.
Kurzum: Frieseneggers Tagebuch bietet eine höchst illustrative und in vielem auch exemplarische Sicht auf dramatische Ereignisse in den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges. So dankbar man für die preisgünstige Ausgabe sein kann, der eine weite Verbreitung zu wünschen ist, bleibt das Desiderat einer wissenschaftlichen Standards genügenden Edition.
Anmerkung:
[1] Siehe dazu Benigna von Krusenstjern: Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis (= Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 6), Berlin 1997, 91f.
Michael Kaiser