Rezension über:

Stefan Bauer: The Censorship and Fortuna of Platina's Lives of the Popes in the Sixteenth Century (= Late medieval and early modern studies; Vol. 9), Turnhout: Brepols 2007, XVII + 390 S., ISBN 978-2-503-51814-5, EUR 79,50
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Rezension von:
Markus Völkel
Historisches Institut, Universität Rostock
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Markus Völkel: Rezension von: Stefan Bauer: The Censorship and Fortuna of Platina's Lives of the Popes in the Sixteenth Century, Turnhout: Brepols 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 5 [15.05.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/05/12783.html


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Stefan Bauer: The Censorship and Fortuna of Platina's Lives of the Popes in the Sixteenth Century

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Bartolomeo Sacchi (1421-1481), genannt 'Platina', gehört zu den wenigen italienischen Humanisten des 15. Jahrhunderts, die sich mit einem historiographischen Werk eine dauerhafte gesamteuropäische Reputation erworben haben. Seine intensive Rezeption, dies gilt es festzuhalten, verdankt er freilich dem Epochenbruch der Reformation, d.h. einer dramatischen Kontextverschiebung in der historischen Einschätzung des Papsttums. Der 'originale' Platina seinerseits lässt sich als Repräsentant der neuen Einstellung zum Papsttum begreifen, die der frühe Humanismus entwickelte. Diese Einstellung, so kritisch und z. T. erstaunlich distanziert sie ausgefallen ist, deckt sich doch keineswegs mit der radikalen reformatorischen Bestreitung der historischen wie ekklesiologischen Rolle der Päpste. Damit erwies sich das Interesse der Protestanten an diesem Historiker als von zweischneidiger Wirkung. Platina wurde als 'Protoprotestant' zu einer Art von historiographischem 'testis veritatis', ohne dass die lokalen Entstehungsbedingungen seiner Papstleben noch eine Rolle gespielt hätten oder aber das lang andauernde Bemühen kurialer Kreise in Rom um eine Wiedereingliederung in die durch das Trienter Konzil gefestigte Tradition in den Blick gekommen wäre.

Die Londoner Dissertation von Stefan Bauer unternimmt es jetzt, die Entstehungsbedingungen der Vitae Pontificum (1479ff) zugleich mit seiner posttridentinischen katholischen Rezeption neu zu vermessen. Beflügelt wurde sein Unternehmen durch neue Quellenfunde: 1. Durch die Entdeckung eines neuen Manuskripts der Vitae in der Biblioteca Nazionale di Firenze. Dieser Autograph machte es möglich, Platinas Selbstzensur bei der Abfassung der Biographie Papst Pauls II. (1464-1471) und damit seinen Arbeitsprozess nachzuvollziehen. 2. Zugänglich waren ihm erstmals die Zensurakten für die italienische Übersetzung von 1592, wobei indirekt auch die lateinische Ursprungsfassung in diesen Zensurprozess einbezogen war.

Bauer konnte feststellen, dass, über die Empfehlungen von Roberto Bellarmin SJ (1542-1621) hinaus, weitere Stellungnahmen von Pietro Galesini (ca. 1520-1590), einem Mitarbeiter von Carlo Borromeo, und von William Allen (1532-1594), einem der führenden englischen Katholiken im Exil, erhalten geblieben sind. Mit berechtigtem Stolz weist Bauer darauf hin (250), dass er damit die erste umfassende Studie zur Zensur eines Einzelwerkes nach der Öffnung des Archivs der Glaubenskongregation geliefert hat. Als Hauptergebnis sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen, dass die römischen Zensurmaßnahmen dauerhaft nur die italienischen Ausgaben nach 1592 betroffen haben. Die lateinischen Ausgaben, immerhin 27 bis 1664 (vgl. 326), wurden davon nicht berührt. Die Römische Kurie hat nach der Reformation keinen Versuch mehr unternommen, der humanistischen Papstkritik von Platina im Bereich der lateinkundigen Eliten entgegenzuwirken. Es lässt sich allein ein langfristiges Interesse an entschärften italienischen Fassungen feststellen.

Bauer eröffnet seine Studie mit einem langen Kapitel zu Platinas Leben und seinen zahlreichen sonstigen - weitgehend vergessenen - Werken. Sichtbar wird ein von vielen Umwegen geprägter Bildungsgang des Kinds armer Leute vom Soldaten bis zum Privatbibliothekar von Sixtus IV. (1471-1484) und ersten Präfekten der Vatikanischen Bibliothek (1475). Seit 1471 soll Platina an den Papstleben geschrieben haben, wobei es vor allem die Phase bis zum Investiturstreit und die Vita Pauls II. waren, die den späteren Zensoren Anlass zur Kritik gaben. Die Kapitel 3 bis 5 befassen sich auf der Grundlage der Gutachten für die Indexkongregation mit dem eigentlichen Zensurvorhaben. Sie gipfeln in dem zentralen Abschnitt dieser Dissertation, betitelt 'Not the Lives of Popes but Their Vices'? The Censorship Proposals (140-171). Bauer kann hier einen erheblichen Dissens zwischen den Zensoren sichtbar machen. Während William Allen schon kleinere Angriffe auf die Moral und disziplinären Maßnahmen eines Pontifex strikt ablehnte, konnte Roberto Bellarmin darin noch ein Zeichen providentieller Vorsorge Gottes für seine Kirche sehen.

Und natürlich nimmt auch im Falle Platinas die Konstantinische Schenkung, gerade, indem er sie nicht erwähnt, eine zentrale Stellung ein. Bauer ergänzt seine minutiösen Untersuchungen hier um einen eleganten Exkurs (161-166) zur frühen Rezeption dieser Sylvester-Vita. Im Übrigen bestätigt sich hier eine von Anthony Grafton - seit seinen Polizian Studien von 1977 - wiederholt vorgetragene Auffassung: 'Historische Kritik' war im frühen Humanismus (noch) nicht das, was man heute darunter versteht. Der humanistische Kritiker nahm in der Regel eine sehr freie Abschätzung unterschiedlicher und keineswegs vollständig erfasster Quellenstränge vor. Nur selten konnte er sich dabei ganz von den kirchlichen Traditionen entfernen. Das Schlusskapitel 6 befasst sich mit den französischen, italienischen, deutschen, holländischen und englischen Übersetzungen der Vitae Pontificum. Es orientiert sich editionsgeschichtlich und geht nur am Rande auf ein Rezeptionsphänomen ein, nämlich die im Hl. Römischen Reich umlaufenden Gerüchte um einen 'kastrierten lateinischen Platina'.

Stefan Bauers Dissertation über Zensur und Nachleben von Platinas Papstleben ist ein methodisch konservatives Buch. Stets bleibt die Argumentation eng an den Quellen und lässt dabei den Autor ausführlich zu Wort kommen. Von 390 Seiten gehen 173 Seiten für diverse Dokumentenanhänge samt Bibliographie ab. So ergibt sich am Ende eine Abhandlung von 215 Seiten, die ihrerseits in der Regel auf einem 1:1 Verhältnis von Text und Fußnoten beruhen. Diese Hinweise erhellen zur Genüge, was für ein dicht, ja manchmal schon übermäßig dokumentiertes Werk hier entstanden ist. Von modischen Strömungen hält sich Bauer auch in den Leitbegriffen seiner Untersuchung konsequent fern. Das 'Schreiben' der Papstleben bezieht er tatsächlich auf den Umgang mit Quellen, und 'Übersetzung' und 'Rezeption' erweisen sich eben nicht als sprachliche oder mentale, sondern als weitgehend editorisch-intentionale Phänomene. Wer 'postmodern' mit Platina hantieren will, dem bietet Bauer sozusagen als Ersatz die Quellen selbst an, er selbst scheut jeglichen Kontakt mit dieser Begriffswelt.

Im 'Epilog' seiner Dissertation (251) wird dem Verfasser freilich bewusst, dass die strikte Konzentration auf den in vatikanischen Quellen sichtbaren 'kurialen Platina' auch negative Folgen für diesen Autor haben könnte. Er verweist darauf, dass vor dem Zensurprozess Onofrio Panvinio die kirchlich-antiquarische Szene revolutionierte und parallel zu ihm Cesare Baronio im Oratorium die Annales Ecclesiasticae konzipierte. Hätte er aus dieser Einsicht nicht schon Folgen ziehen sollen? In diesem erweiterten Kontext platziert, hätte sich der Zensurprozess der Vitae Pontificum freilich eher wie ein humanistisches Nachhutgefecht ausgenommen. Es wäre unabweisbar geworden, die für die Kirchengeschichte üblichen Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Ekklesiologie und Historiographie auch an Platina zu stellen. Und es wäre auch notwendig gewesen, die 'römische historiographische Frage' überhaupt aufzuwerfen, nämlich zu fragen, woran es gelegen haben mag, dass die mit historischen Quellen am besten ausgerüstete europäische Institution, das Papsttum, im Kampf um die historiographische Selbstdarstellung den profanen Konkurrenten in der Frühen Neuzeit so weit nachhinkte. Für seine zukünftigen Arbeiten ist dem Verfasser also der Mut zu größeren Fragestellungen zu wünschen, während man die jetzt vorgelegte Dissertation ohne jeden Abstrich als ein festes Fundament für die weitere Erforschung der Papstgeschichtsschreibung anerkennen darf.

Markus Völkel