Thilo Ramm (Hg.): Eugen Schiffer. Ein nationalliberaler Jurist und Staatsmann 1860-1954, Baden-Baden: NOMOS 2006, 212 S., ISBN 978-3-8329-2170-5, EUR 34,00
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Biografische Schriften haben wieder Konjunktur, und dies gilt auch für Politiker, die in der Weimarer Republik eine wichtige Rolle gespielt haben. Dabei erbringt die Konjunktur nicht nur Biografien für die allererste Garde wie die Reichspräsidenten Ebert und Hindenburg, denen sich Mühlhausen und Pyta zuletzt in voluminösen Werken gewidmet haben oder Stresemann und Brüning, zu denen der Buchmarkt in den letzten Jahren jeweils gleich mehrere Biografien hervorgebracht hat. Auch wichtige Politiker und Reichsminister, die in der Weimarer Republik den Zenit ihrer Bedeutung erlebten, deren Namen dem öffentlichen Bewusstsein aber längst entschwunden sind, werden biografisch aufgearbeitet.
Zu diesem Kreis gehört auch Eugen Schiffer (1860-1954) mit dem hier anzuzeigenden Sammelband, der aus einer 2004 in Berlin abgehaltenen Gedenkveranstaltung anlässlich seines 50. Todestages hervorgegangen ist. Er enthält - außer faksimilierten ehrenden Ansprachen, die für Schiffer 1930 zum 70. Geburtstag gehalten worden waren sowie einem zum selben Anlass verfassten Geburtstagsartikel - drei umfangreiche Aufsätze von Hellmut Seier, Jürgen Frölich und dem Herausgeber Thilo Ramm, bei denen jeweils ein Aspekt im Vordergrund steht: Schiffer als Politiker, als Liberaler, als Jurist. Da sich diese Aspekte jedoch stets überschneiden, handelt es sich um drei biografische Skizzen mit je unterschiedlichen Perspektiven.
Dem Allgemeinhistoriker wird Schiffer am ehesten im Gedächtnis sein als Reichstagsabgeordneter, Mitarbeiter in Ministerien und schließlich Unterstaatssekretär im Kaiserreich, dann vor allem als Vizekanzler in den ersten beiden Kabinetten der Weimarer Republik. In dieser Funktion verhandelte er 1920 mit den Kapp-Putschisten in Berlin, stürzte darüber und feierte später ein allerdings nur kurzes Comeback als Justizminister im ersten Kabinett von Kanzler Wirth. Der Rechtshistoriker mag in erster Linie an den Justizpolitiker und die wiederholten grundsätzlichen Reformvorschläge für das Justizwesen denken, die Schiffer - allerdings ohne durchschlagenden Erfolg - im ausgehenden Kaiserreich und in der Weimarer Republik vorlegte. Und schließlich wird sich der Parteienforscher an den eigenartigen, vielleicht auch eigensinnigen Liberalen erinnern, der bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in der Nationalliberalen Partei weit nach vorne kam, aber nie unumstritten war, nach dem Ersten Weltkrieg als "Vernunftrepublikaner" (als den er selbst sich in seinen Erinnerungen darstellte) zur DDP ging, aber bereits 1924 aus weitgehend ungeklärten Gründen aus der Partei ausschied und dann bis zum Ende der Republik die eher paradoxe und hoffnungslose Rolle spielte, als Einzelkämpfer die Integration des Liberalismus zu betreiben. Den Nationalsozialismus überlebte der 1896 getaufte Jude mit einigen Bedrängungen. Ein politisches Nachspiel nach dem Zweiten Weltkrieg machte den inzwischen Hochbetagten in der SBZ zunächst zum Chef der Justizverwaltung unter der Sowjetischen Militäradministration und 1950 als LDP-Abgeordneten in der DDR-Volkskammer zum Vorsitzenden des Verfassungsausschusses, ehe seine aktive politische Laufbahn endete.
Die Beiträge von Seier und Frölich schildern diese Etappen nüchtern und zuverlässig. Dagegen fällt der Aufsatz von Thilo Ramm in mancherlei Hinsicht aus dem Rahmen. Er hätte nicht nur eines kräftigen Lektorats bedurft, um die vielen kleinen typografischen, grammatikalischen und Satzfehler zu beheben. Auch etliche sachliche Ungenauigkeiten haben sich eingeschlichen: War z.B. Breslau in Schiffers jungen Jahren tatsächlich eine "Grenzstadt" (dann hätte dies auch für München und Köln gegolten) mit daraus gefolgerten besonderen Eigenarten (136)? Vor allem aber ist es der methodisch fatale Verzicht auf jede Zurückhaltung bei der Einschätzung des biografisch Erfassten, der doch massive Zweifel am Wert dieses Beitrags aufkommen lässt: Sind etwa Schiffers scharfe Urteile über die SPD in der Kaiserzeit "in ihrer Unmittelbarkeit von hohem Quellenwert", weil er "der zuverlässige, der klassische Zeitzeuge" ist (143)? Oder trifft der gleichsam an ein modernes Epos gemahnende Satz für die zweite Nachkriegszeit zu: "Der Preuße [Schiffer] forderte eine mutige Politik und traf auf die Uraltgegner der Rheinbundstaaten" (203)? (Dass im Rahmen einer solchen Beweisführung für vertane Chancen der Deutschlandpolitik dann auch die inzwischen wohl endgültig erledigte Stalin-Note noch einmal als Argument herhalten muss (198-199), sei nur am Rande erwähnt.) Wenn Eugen Schiffer denn tatsächlich "ein Schlüssel zum Verständnis der Weimarer Republik" sein sollte, kann natürlich nur eine Verschwörung erklären, warum die Historiker das über Jahrzehnte hinweg völlig übersehen haben: "Schiffer ist nicht vergessen, sondern planmäßig aus der deutschen Nachkriegsgeschichte gedrängt und insgesamt verdrängt worden." (203) Ob das dafür als einziger Beleg angeführte Fehlen im Brockhaus seit dessen 18. Auflage nun hier als Ursache oder als Wirkung zu verstehen ist, wird dem staunenden Leser leider nicht erklärt.
Wolfgang Elz