Andreas Wirsching (Hg.): Herausforderungen der parlamentarischen Demokratie. Die Weimarer Republik im europäischen Vergleich (= Schriftenreihe der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte; Bd. 13), München: Oldenbourg 2007, 247 S., ISBN 978-3-486-58337-3, EUR 24,80
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Die Krise wie das Scheitern der Weimarer Republik werden meist mit dem Hinweis auf die strukturellen "Vorbelastungen des deutschen Parlamentarismus" (Ernst Fraenkel) und mit dem problematischen Erbe des vordemokratischen Konstitutionalismus des Kaiserreichs zu erklären versucht. Demgegenüber steht im vorliegenden Band der Vergleich der politischen Entwicklung der Weimarer Republik mit derjenigen in anderen europäischen Staaten im Mittelpunkt, um so das Spezifische des deutschen Falles im Rahmen der allgemeinen Krise der parlamentarischen Demokratie in Europa in der Zwischenkriegszeit besser bestimmen zu können. Die wesentlichen Referenzstaaten sind hierbei England, Frankreich und Italien; in einigen Beiträgen wird auch auf Österreich, Polen, die Tschechoslowakei und weitere kleinere Länder Europas eingegangen.
Deutlich herausgearbeitet wird zum einen, dass England und Frankreich aufgrund je spezifischer historischer Bedingungen und Traditionen von den Krisensymptomen nicht so einschneidend betroffen waren wie andere europäische Staaten, vielmehr in beiden Ländern sich eine demokratische Verfassungskultur herausgebildet hatte, die half, die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen der kommenden Jahre zu meistern. Für die beiden "Krisenfälle" Deutschland und Italien galt dies nicht, hier bedingten strukturelle Defizite des politisch-parlamentarischen Systems und gesellschaftliche Zerklüftungen das Vordringen totalitärer Bewegungen und deren Machtübernahme. In den kleineren mittel- und osteuropäischen Staaten, die nur am Rande mit in den Vergleich einbezogen worden sind, war die Funktionsschwäche des parlamentarischen Systems bereits bei seiner Konstituierung unverkennbar; hier setzte - mit Ausnahme der Tschechoslowakei - schon bald in mehreren Schüben die Hinwendung zu autoritären und totalitären Regierungsformen ein.
Die Spannweite der Beiträge ist groß: Erörtert werden in einem ersten Teil die Grundlinien der jeweiligen Verfassungen, das Parteiensystem und die parlamentarische Praxis, im zweiten Abschnitt dann auch die gesellschaftliche Verortung des politischen Systems, also der Einfluss von organisierten Interessen und Verbänden sowie die Veränderungen, die sich europaweit aus dem Ausbau des Sozialstaates ergaben. Der Band präsentiert die Ergebnisse neuerer Forschungen, so von Thomas Mergel zum parlamentarischen System der Weimarer Republik, von Sven Reichardt zu den faschistischen Kampfbünden in Deutschland und Italien, von Thomas Raithel und Stefan Grüner zum deutschen und französischen Parlamentarismus in den 1920er Jahren sowie von Werner Plumpe, Gabriele Metzler und Matthias Reiß zur sozialstaatlichen Entwicklung in Europa in den 1920er Jahren. Durch den konsequenten Vergleich zwischen den verschiedenen Staaten werden die generellen Krisensymptome der parlamentarischen Demokratien in diesen Jahren prägnant herausgearbeitet, werden aber ebenso die spezifischen Strukturprobleme der Weimarer Republik dargelegt, die schließlich für deren Krise und Scheitern verantwortlich waren.
Marie-Luise Recker