Rezension über:

Gabriela Signori (Hg.): Das Siegel. Gebrauch und Bedeutung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007, 219 S., ISBN 978-3-534-20682-7, EUR 59,90
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Rezension von:
Pauline Puppel
Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Pauline Puppel: Rezension von: Gabriela Signori (Hg.): Das Siegel. Gebrauch und Bedeutung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 5 [15.05.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/05/13709.html


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Gabriela Signori (Hg.): Das Siegel

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Die Sphragistik nimmt unter den so genannten Historischen Hilfswissenschaften eine besondere Stellung ein, denn die schon in den ältesten Hochkulturen nachweisbaren Siegel sind nicht nur massenhaft in Archiven überliefert, sondern meist auch von hoher künstlerischer Qualität. Bereits vor ein paar Jahren hat Rainer Kahsnitz [1] darauf hingewiesen, dass Siegel als Kunstwerke eigenen Rechts gelten und ein viel größeres Interesse der Kunstgeschichte verdienten. Doch auch andere historische Wissenschaften könnten sich diesem Kulturgut intensiver widmen, wie der von der Münsteraner Mediävistin Gabriela Signori herausgegebene Sammelband eindrucksvoll vor Augen führt. Denn die Beiträge laden zu weiterer Forschung geradezu ein. Signori bemerkt bereits im Vorwort, dass für eine tiefer schürfende Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Aspekten von Siegeln als Medium der Selbstdarstellung, der Repräsentation, als Mittel der Authentifizierung und der Echtheitskontrolle nach wie vor Grundlagenforschung und Vergleichsstudien fehlen.

Nach zwei einleitenden Beiträgen von Signori über Siegel als Beglaubigungsmittel (9-20, mit zwei Quellen) und Rüdiger Brandt über die verschiedenen Schwachstellen dieser Beglaubigungsform (21-28) folgen insgesamt 16 Aufsätze, die drei Themenfeldern zugeordnet sind. Der erste Bereich ist kirchlichen Institutionen und Personen gewidmet. Enno Bünz skizziert das spätmittelalterliche Pfarrei- und Pfarrersiegel (31-43), wobei er betont, dass zwischen dem Siegel des Kirchspiels, das von weltlichen Kirchenpflegern verwaltet wurde, und dem seltener erhaltenen des Pfarrers, welches Amts- oder Privatsiegel sein konnte, unterschieden werden müsse. Die verschiedenen Siegelstempel Ottos von Wohldenberg († 1331) dokumentieren seine Karriere vom Kanonikus zum Bischof von Hildesheim, dienen als Objekt seiner Selbstdarstellung und spiegeln seine sozialen Ordnungsvorstellungen wider (45-52). Isabelle Guerreau weist auf die Verschiedenartigkeit und die Komplexität der Motive bei geistlichen Siegeln hin, die im Zusammenhang mit der zunehmenden funktionalen Diversifizierung der Siegelinhaber stehen und daher für die Sozialgeschichte eine Quelle par excellence bilden. Das Papstsiegel als idealtypisches Anschauungsmaterial für das Verhältnis von Individuum und Institution analysiert Achim Th. Hack (53-63). Die rund 200 Päpste verwandten eine Bulle, deren Form und Gestaltung über einen Zeitraum von anderthalb Jahrtausenden homogen blieb. Bei Tod oder Amtsenthebung wurde der Namensstempel des Papstes zerstört; erst nach der Krönung durfte der nächste Papst den Namensstempel nutzen, was die Einheit von natürlichem und politischem Körper (Kantorowicz) wieder herstellte. Das hart erkämpfte Recht der Siegelführung von Universitäten stellt Frank Rexroth vor (75-80). Er weist nach, dass die Siegelführung die Komplexität der universitären Verfassung ebenso wie die daraus erwachsenen Konflikte widerspiegelte, nutzten doch auch einzelne Fakultäten und Professoren eigene Siegel. Darüber hinaus analysiert er anschaulich die Charakteristika der Siegelikonographie 'großer' Universitätssiegel.

Im zweiten Teil werden weltliche Herrschaftsträger und Geschäftspersonen in den Blick genommen. J. Friedrich Battenberg diskutiert die Charakteristika des jüdischen Siegels in Mittelalter und Früher Neuzeit (83-95) und betont, dass zwar im jüdischen Recht die Unterschrift dem Siegel gleichgestellt war, aber im Geschäftsverkehr mit Christen Juden ein Siegel als Beglaubigungsmittel nutzten, um keinerlei Rechtsnachteile zu erleiden. Er erläutert anhand zahlreicher Beispiele die Entwicklung der Symbolik, deren Auswahl sehr bewusst vorgenommen wurde, um das bestehende Defizit an Legitimation auszugleichen. Am Beispiel der Stadt Bremen stellt Wilfried Ehbrecht zunächst den Siegelmissbrauch im Verlauf des 'Bannerlaufs' 1365/1366 vor, der wie bei vergleichbaren Stadtkonflikten zum Stechen eines neuen Typars führte (97-105), und anschließend die ältesten Stadtsiegel, die er als Abbild Jerusalems auffasst (107-120). Er betont, dass sich die Herkunft des Siegelrechts im Spannungsfeld zwischen ortsherrlicher Privilegierung, Anerkennung, Duldung und Ohnmacht kaum präzise verorten lässt. Das Siegelbild jedoch gibt Aufschluss darüber, aus welchen Vorstellungen und nach welchen Vorbildern sich die städtischen Gemeinschaften in die feudale Gesellschaftsstruktur einfügten. Ehbrecht unterstreicht, dass nur vergleichende Untersuchungen seine These vom Bezug auf die Heilige Stadt stützen können.

Mit Missachtung und Zerstörung von Siegeln als Ausdruck von Ungehorsam, demonstrativer Konfliktbereitschaft und offensichtlicher Machtlosigkeit des Siegelinhabers in einer gegebenen Kommunikationskonstellation setzt sich Knut Görich auseinander (121-126). Die Findung des Siegelbildes, die Beziehung von Siegelbild und Wappen, das Siegelrecht landsässiger Städte und Dörfer sowie die Bedeutung der Verleihung von Wappen und Siegelrecht durch die Hofpfalzgrafen analysiert Wilfried Schöntag am Beispiel des deutschen Südwestens und revidiert ältere Forschungsmeinungen (127-138). Er spricht sich für die intensivere Erforschung dieser seriellen Quellen aus, um die Entwicklung der Bildsysteme und die zum Ausdruck gebrachten herrschaftlichen Verhältnisse angemessener erfassen zu können. Mit dem deutschen Nordosten beschäftigt sich Karl-Heinz Steinbruch in seinem Beitrag über die Siegel der sieben Bauernschaften in Mecklenburg, denen es 1762 gelang, sich aus der Leibeigenschaft freizukaufen und damit rechtsfähig zu werden (139-147). Andrea Stieldorf plädiert zum einen für die Verwendung des Begriffs 'Frauensiegel', der präziser als der Begriff 'Damensiegel' die Siegel weltlicher Frauen aller Stände bezeichnet, und zum anderen für eine quantifizierende Analyse der Siegelpraxis weltlicher Frauen unterschiedlichen Personenstands und familiärer Position in einem bestimmten Raum, da es regional große Unterschiede gab (149-160). Darüber hinaus erläutert sie die Spezifika und Entwicklungen der Siegelbilder und Umschriften des Rechtssymbols und fragt nach den Möglichkeiten von Selbstaussagen der Siegelinhaberinnen. Die alters- und geschlechtsspezifische Siegelführung untersucht Wolfhard Vahl (161-164). Er unterstreicht, dass die Siegelführung nur mündigen, voll geschäftsfähigen Personen zukam.

Der dritte Abschnitt befasst sich mit anderen Zeichen- und Siegelträgern. Lukas Clemens stellt Tuchsiegel vor (167-174). Diese Siegel waren meist aus Blei, bei hochwertigen Stoffen aber auch aus vergoldetem Blei oder Zinn und dienten als Beschauzeichen der Qualitätssicherung. Mit der Praxis und Genese der Hausmarken, die zur Anzeige des Eigentums oder als Kennzeichen einer Person an Häusern und Arbeitsgerätschaft, Kirchstühlen und Grabsteinen, auf Urkunden und als Handzeichen angebracht waren, setzt sich Karin Czaja auseinander (175-179). Alter und Herkunft der im ländlichen Raum verbreiteten Hausmarken sind ungeklärt; der Begriff selbst ist irreführend, da er nicht mit dem Hauszeichen, dem redenden Kennzeichen der Häuser, verwechselt werden darf. Vor allem im niederdeutschen Raum übten Hausmarken Einfluss auf Wappen und Siegel aus. Siegel als Verschluss von Briefen und Behältern diskutiert Hermann Mauré (181-188). Briefverschlusssiegel sind klein, aus Silber oder seltener aus Gold, sind als Schmuckstück an der Kleidung befestigt oder als Ring getragen worden und meist anonym, so dass nur Eingeweihte den Absender des Briefs identifizieren konnten. Es gab drei Gruppen dieser speziellen Siegel: Bei der ersten beschreiben In- und Umschrift die Funktion, bei der zweiten verweisen Umschrift und Bild auf liebende Treue, bei der dritten ist ein religiöser Bezug nachweisbar. Ihre Verwendung war anscheinend zeitlich und regional begrenzt, denn Mauré kennt bislang nur zehn Exemplare aus Deutschland.

Der Band schließt mit einem umfassenden Verzeichnis der Quellen und der wichtigsten Literatur sowie einem Orts- und Personenregister. Wie eingangs angesprochen, ist der Sammelband in seiner Fülle kleinerer Beiträge insbesondere dafür geeignet, auf die zahlreichen Forschungsfelder aufmerksam zu machen, die die Sphragistik den historischen Wissenschaften eröffnet. Die massenhaft in den Archiven bewahrten besiegelten Urkunden, die umfangreichen Sammlungen von Siegelabdrücken und Petschaften warten nur darauf, ins Licht der Forschung geholt zu werden!


Anmerkung:

[1] Rainer Kahsnitz, Historische Hilfswissenschaften und Kunstgeschichte, in: Toni Diederich und Joachim Oepen (Hg.), Historische Hilfswissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung, Köln / Weimar / Wien 2005, 155-183.

Pauline Puppel