Michael Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien. Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der sächsischen Unternehmer 1850-1940 (= Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte; Bd. 18), München: C.H.Beck 2007, 261 S., 15 Tab., ISBN 978-3-406-56211-2, EUR 39,90
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Wer die oft wenig befriedigende Lektüreerfahrung von Firmen- und Jubiläumsschriften kennt, der ahnt, welche Mühen die Recherchen für Michael Schäfers im Jahr 2006 mit dem Preis für Unternehmensgeschichte ausgezeichneten Band gekostet haben müssen. Für seine erfreulich übersichtlich gehaltene Arbeit über sächsische Familienfirmen hat Schäfer eine Flut von unternehmensgeschichtlichen und unternehmerbiographischen Veröffentlichungen erschlossen sowie eine Vielzahl einschlägiger Bestände in Staats-, Wirtschafts- und Stadtarchiven bearbeitet. Herausgekommen ist eine Kollektivbiographie sächsischer Familienunternehmen, die mit quantitativem Zugriff, diachroner Beobachtung über annähernd ein Jahrhundert und branchenübergreifender Analyse mehr das Grundsätzliche als den Einzelfall im Auge hat. Daher, dies sei vorweggenommen, werden Leser enttäuscht sein, die eine regionalgeschichtliche Perspektive erwarten - dies ist, anders als der Titel nahelegt, nicht beabsichtigt und wird daher allenfalls teilweise und beiläufig geleistet. Der Auswahl der beiden Sample, 630 Personen und 396 Firmen, liegen vor allem forschungspraktische Überlegungen zugrunde, namentlich die Konzentration aussagekräftiger Unterlagen auf engem Raum.
Schäfer geht es vielmehr darum, die vielfach angestellten Vermutungen über Familienunternehmen und die aus Einzelfällen gezogenen Verallgemeinerungen auf einer empirisch breiten Unterlage zu überprüfen und zu korrigieren. Insbesondere den beiden lange dominanten Blickrichtungen auf familial geführte Firmen gelten Augenmerk und Kritik: einerseits Alfred Chandlers normativ-teleologischem Weg zum Managerunternehmen, anderseits die Perspektive etwa Jürgen Kockas, in der Familien als entscheidende Katalysatoren für den Prozess der Frühindustrialisierung erscheinen, um nach getaner Schuldigkeit als Anachronismen rasch in den Hintergrund zu treten. An beiden arbeitet sich Schäfer in der Einleitung ausführlich ab, um am Ende zu resümieren, dass derartige, modernisierungstheoretisch inspirierte Pauschalisierungen an der fortdauernden Existenz und Persistenz von Familienunternehmen vorbeigingen.
Erschöpften sich die Ergebnisse des Bandes darin, die bekannten Defizite der altvorderen Erklärungsmuster aufzuzeigen, so böte der vorliegende Band wenig Neues; dies haben jüngere unternehmensgeschichtliche Arbeiten bereits überzeugend geleistet. [1] Der zusätzliche Erkenntnisgewinn, den die akribisch recherchierte Arbeit liefert, liegt daher vielmehr in der aussagefähigen Dichte des ausgebreiteten Materials und den vielfältigen Detailbeobachtungen. Diese sollen hier nicht wiedergegeben, sondern lediglich anhand zweier Beispiele ihr Ertrag dargelegt werden. So kann Schäfer zeigen, dass Familienunternehmen nicht jene "gewissermaßen urwüchsige Erscheinung einer frühen Phase der Industrialisierung" (99) waren, die dank vielfältiger und stabiler familialer Kooperations- und Besitzbeziehungen erfolgreicher als nicht-familiale organisierte Firmen wirtschafteten. Familiäre Partnerschaften seien nur selten von Dauer gewesen, und eine genuin familiale Prägung habe sich gerade nicht in der Gründungsphase, sondern erst infolge der nachfolgenden Erbgänge ergeben. Bemerkenswert ist ferner die Feststellung, dass frühe Partnerschaften oft einem vergleichbaren Muster folgten, bei dem kleingewerbliche und handwerkliche Entrepreneure Kapital durch die Zusammenarbeit mit finanzstarken Kaufleuten mobilisierten, diese aber bei erstbester Gelegenheit wieder auszahlten.
Aufschlussreich, wenngleich infolge des Quellenmaterials von begrenzter analytischer Reichweite, sind auch die Beobachtungen hinsichtlich der Rolle, die Frauen in den Familienunternehmen keineswegs nur als Ausnahme-, sondern geradezu als Regelfall spielten. Immer wieder waren es Mütter und Witwen, seltener auch Schwestern, die Lücken in der männlichen Nachfolge schlossen und dabei nicht selten ihre Interimsleitung verstetigten und eigenen strategischen Prärogativen folgten. Das ist zwar nicht neu - man denke an die bekannten Beispiele weiblicher Familien- und Firmenoberhäupter im Hause Krupp -, wird aber noch einmal eindrücklich vorgeführt und regt zu weiteren, mit Hilfe qualitativer Methodik tiefer bohrenden Untersuchungen an.
Die Einzelbefunde zu verschiedenen Facetten der untersuchten Unternehmen sind das wichtigste Pfund, mit dem die vorliegende Studie wuchern kann. Sie bedeuten aber zugleich auch eine nicht zu übersehende Schwäche. Die umfassende Betrachtung des vielfach hin und hergewendeten, von allen Seiten betrachteten Quellenmaterials führt zu einem Grad an Differenzierung, der zwar allen Facetten gerecht, aber dadurch auch analytisch schwer handhabbar wird. Wird erst dargelegt, dass im kleingewerblichen und handwerklichen Milieu frühe familiäre Verantwortung und Mitarbeit bei der Unternehmensgründung halfen, folgt sogleich der Hinweis, dass zünftische Traditionen solcher handwerklichen Milieus den Gründungen modernerer Fabrikunternehmern oft eher hinderlich waren. So notwendig und angemessen die Differenzierung auch ist, droht sie an manchen Stellen eher in eine Relativierung der erlangten Ergebnisse abzugleiten. Symptomatisch heißt es etwa: "Aktive unternehmerische Partnerschaften zwischen Brüdern oder Schwägern waren zwar durchaus nicht selten, aber insgesamt gesehen doch nicht unbedingt die Regel" (78). Insofern zeichnet Schäfer zwar ein reiches, buntes und in der Tat repräsentatives Panorama von Familienunternehmen, in dem aber Strukturen und Muster, große Linien und Gemeinsamkeiten nicht immer leicht auszumachen sind. Dass die Unternehmensfinanzierung aus vielgestaltigen Quellen stammen konnte, von eigenen Ersparnissen über ererbtes Vermögen und Mitgiften bis zu Hypotheken und Bankkrediten, ja sogar aus einem Lotteriegewinn, ist sicher richtig - nur ist dies mehr Beschreibung als Aussage.
Diese Tendenz zeigt sich auch in der Bilanz der Arbeit. Dies gilt nicht für die spannende und weiter zu diskutierende These, dass das Familienunternehmen als Sinndeutungsgemeinschaft weniger über die dauerhafte Besitzwahrung durch die Familie als solche, als vielmehr durch die "Kontinuität im Mannesstamm" (162, 100) definiert wurde. Es gilt aber durchaus für Schäfers Fazit, dass die Familie für das Unternehmen zum Handicap werden, sich aber ebenso gut als Vorteil für das Unternehmen erweisen konnte. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Empirie zugunsten starker Thesen à la Chandler und Kocka besser ignoriert oder zurechtgebogen worden wäre. Wohl aber hätte sich angeboten, an die überzeugenden Auswertungsergebnisse die Frage zu knüpfen, für welche unternehmensgeschichtlichen Fragen die analytische Kategorie des Familienunternehmens überhaupt heuristisch sinnvoll scheint (etwa zur corporate governance) - und für welche möglicherweise weniger (z.B. jene nach dem Unternehmenserfolg). Dies schmälert am Ende etwas den Ertrag dieser ansonsten sehr verdienstvollen Studie, die - das ist zu betonen - weiteren Arbeiten über die nicht nur hierzulande zählebigen Familienunternehmen reiches Material an die Hand gibt.
Anmerkung:
[1] Erwähnt seien etwa die Arbeiten von Hartmut Berghoff (Hohner) und Jeffrey Fear (Thyssen).
Kim Christian Priemel