Antonio Carioti: Gli orfani di Salò. Il "Sessantotto nero" dei giovani neofascisti nel dopoguerra. 1945-1951, Milano: Mursia 2008, 296 S., ISBN 978-88-425-3666-6, EUR 17,90
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John Gooch: Mussolini and His Generals. The Armed Forces and Fascist Foreign Policy, 1922-1940, Cambridge: Cambridge University Press 2008
Eine der vielen Besonderheiten im politischen System Italiens ist die parlamentarische Präsenz einer Partei, die sich in die Tradition des faschistischen Regimes stellte und insbesondere der Repubblica Sociale Italiana (RSI) - jenem Vasallenstaat von deutschen Gnaden, über den Benito Mussolini zwischen September 1943 und April 1945 gebot - eng verbunden war. Der Movimento Sociale Italiano (MSI) wurde bereits im Dezember 1946 gegründet und bildete seither den extremen rechten Flügel in beiden Kammern des italienischen Parlaments. Im Jahr 1995 beschloss Generalsekretär Gianfranco Fini, die MSI aufzulösen und unter dem Namen Alleanza Nazionale als gemäßigte Rechtspartei wieder erstehen zu lassen, die anschließend ein Bündnis mit Silvio Berlusconis Forza Italia eingehen sollte. Der Parteitag von Fiuggi, wo diese Beschlüsse gefasst wurden, bedeutete nicht nur das Ende des MSI, sondern auch einen Bruch mit der faschistischen Tradition, der nicht wenigen Mitgliedern schwerfiel. Einige Aktivisten gingen gar so weit, dass sie sich der Alleanza Nazionale verweigerten und eigene Splittergruppen in der Nachfolge des MSI ins Leben riefen.
Bis 1995 wurde die politische Rechte in Italien also von einer Partei repräsentiert, die sich ganz offiziell weder mit den Idealen des Widerstands noch mit dem politisch-kulturellen Erbe des Antifaschismus identifizierte. Damit hatte sich der MSI selbst isoliert und blieb von jeder Regierungsverantwortung ausgeschlossen, zumal sich die Kräfte, die auf eine Integration der eigenen Partei in den bestehenden Staat setzten, zu keiner Zeit gegen die prinzipientreuen Traditionalisten durchsetzen konnten, die die faschistischen Wurzeln des MSI beschworen. Daran änderte sich nichts, bis Berlusconi erstmals zum Ministerpräsidenten gewählt wurde und die Alleanza Nazionale Aufnahme in die Mitte-Rechts-Koalition des neuen Regierungschefs fand. Gianfranco Fini, die Schlüsselfigur im Strukturwandel der extremen Rechten, bekleidet heute das honorige Amt des Präsidenten des Abgeordnetenhauses.
Das Buch des Journalisten und Publizisten Antonio Carioti zeichnet die verschiedenen Phasen im Gründungsprozess des MSI nach und beschreibt die Strömungen in der Partei, wobei der Autor ihrer Jugendorganisation besondere Aufmerksamkeit widmet. Schon in der Endphase des Krieges versuchten sich Anhänger Mussolinis in den von den Alliierten bereits eroberten Gebieten Italiens neu zu organisieren, doch bis zur Amnestie des Justizministers und Kommunistenführers Palmiro Togliatti vom Sommer 1946 mussten sie dies heimlich tun. Erst Ende 1946 konnte der MSI offiziell als Partei hervortreten, in der Pino Romualdi eine entscheidende Rolle spielte. In den letzten Monaten des Krieges hatte er als stellvertretender Generalsekretär eine herausgehobene Funktion im Partito Fascista Repubblicano bekleidet und es war ihm nach der als Niederlage empfundenen Befreiung gelungen, die eingefleischten Gefolgsleute der RSI zusammenzuhalten. Bis zur Konstituierung des MSI wurden die neofaschistischen Zirkel von einem informellen Führungsgremium, dem sogenannten Senat, dirigiert, dem dann auch im Prozess der Parteigründung ein gewisser Einfluss zukam. In der Folgezeit war es Giorgio Almirante, ehemals Mitarbeiter der rassistisch-antisemitischen Zeitschrift "La Difesa della Razza" und Staatssekretär in der Regierung der RSI, der die neue Partei als Generalsekretär führte.
In der Republik Italien, die ihr Fundament auf die Werte des demokratischen Antifaschismus gründete, war die Frage nach der Vergangenheit für die MSI - und hier nicht zuletzt für die junge Garde der Neofaschisten - von entscheidender Bedeutung. In der Parteiführung kam es daher wiederholt zu Debatten zwischen denjenigen, die in jedem Fall die Fahne der RSI hochhalten wollten und anderen, die wie der künftige Parteisekretär Augusto De Marsanich dafür plädierten, den MSI aus der politischen Isolation herauszuführen und zu diesem Zwecke die antikommunistisch-atlantische Karte zu spielen gedachten. Nach Antonio Carioti kam der Jugendorganisation des MSI in diesem Prozess eine wichtige Funktion zu, ja die jungen Neofaschisten hätten sich in einer Art und Weise verhalten, dass man sogar von einer Art faschistischem "68" sprechen könne - lange bevor die linken Studenten an den Universitäten auf sich aufmerksam gemacht hätten. Der Autor arbeitet vor allem die Motive der jungen Menschen heraus, die auch nach 1945 auf einen entschieden antidemokratischen Kurs setzten und sich damit bewusst gegen die Mehrheit der Italiener stellten. Weiter untersucht er, ob es der Parteijugend gelungen ist, Einfluss auf die Entscheidungen der MSI-Führung zu nehmen. Es gelingt Carioti, ein lebendiges Bild der neofaschistischen Subkultur der Nachkriegszeit zu zeichnen und Versatzstücke einer nicht zuletzt durch eigenes Erleben bestärkten Weltanschauung zu beschreiben, die für eine ganze Generation junger Faschisten prägend war. Dabei ist unter anderem ein entschiedener Antiamerikanismus auszumachen, der in der Überzeugung wurzelte, Demokratie und Kommunismus seien letztlich zwei Seiten einer Medaille und Europa im Kern wesensfremd. Überdies bedienten sich die jungen Neofaschisten einer idealistischen Esoterik, die an die antidemokratisch-aristokratischen Ideen von Julius Evola und Massimo Scaligero anknüpften. Für diese beiden umstrittenen Intellektuellen, die sich der RSI angeschlossen und zu den wichtigsten Fürsprechern eines rassistischen Antisemitismus in Italien gezählt hatten, war mit der Demokratie das Maximum der Dekadenz erreicht, während sie - nach mittelalterlichem Vorbild - für ein streng hierarchisch organisiertes und von einer aristokratischen Leistungselite autoritär geführtes Gemeinwesen als politisches Ideal eintraten. Die RSI blieb für viele junge Neofaschisten der Referenzpunkt ihrer Identität. Sie verherrlichten den Krieg, der zwischen 1943 und 1945 in Italien geführt wurde, als den Kampf weniger Idealisten für eine verlorene, aber ihres Erachtens nach edle Sache - den Kampf gegen Demokratie, Bolschewismus und Judentum.
Neben den Motiven und Überzeugungen der jungen Neofaschisten rekonstruiert Carioti auch ihre politischen Aktivitäten, wobei er auf reichhaltiges Archivmaterial und auf Interviews mit Protagonisten zurückgreifen kann, aus denen nicht zuletzt deren Gewaltbereitschaft hervorgeht. Das Buch endet nicht zufällig mit dem Prozess des Jahres 1951 gegen exponierte Aktivisten der neofaschistischen Parteijugend, die wegen eines Sprengstoffanschlags auf ein Schiff angeklagt waren, das nach den Bestimmungen des Friedensvertrags an die Sowjetunion ausgeliefert werden musste.
Antonio Cariotis Studie ist ein wichtiger Beitrag zum besseren Verständnis einer Facette italienischer Politik, die die vor allem an den großen Parteien und ihren Entscheidungsträgern interessierte historische Forschung lange Zeit vernachlässigt hat. Im Licht der Entwicklungen nach den vorgezogenen italienischen Parlamentswahlen vom April 2008 gewinnt die gelungene Untersuchung Cariotis besondere Aktualität und es ist nicht ausgeschlossen, dass weitere Arbeiten dieses Zuschnitts folgen werden.
Aus dem Italienischen übersetzt von Thomas Schlemmer.
Amedeo Osti Guerrazzi