Felix Biermann / Manfred Schneider / Thomas Terberger (Hgg.): Pfarrkirchen in den Städten des Hanseraums. Beiträge eines Kolloquiums vom 10. bis 13. Dezember in der Hansestadt Stralsund (= Archäologie und Geschichte im Ostseeraum; Bd. 1), Rahden/Westf.: Verlag Marie Leidorf 2006, 339 S., ISBN 978-3-89646-461-3, EUR 71,50
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Die Erforschung der mittelalterlichen Pfarrei in Stadt und Land hat in den letzten anderthalb Jahrzehnten bedeutende Fortschritte gemacht.[1] Nachdem zahlreiche regional oder lokal ausgerichtete Monographien zum Thema erschienen sind, mehren sich nun auch einschlägige Tagungs- und Sammelbände, was als untrügliches Zeichen der Etablierung dieses Forschungsgegenstands zu werten ist. In diesen Zusammenhang gehört der vorliegende großformatige, zweispaltig gedruckte und durchgehend bebilderte Tagungsband.
Das Kulturhistorische Museum Stralsund hat seit 1995 im zweijährigen Abstand wissenschaftliche Kolloquien zu wechselnden Themen in multidisziplinärer Betrachtung durchgeführt. Strukturelle Veränderungen in den Stralsunder Museen haben dazu geführt, dass die hier vorliegende fünfte und letzte Tagung nicht mehr, wie die früheren, in den "Stralsunder Beiträgen zur Archäologie, Geschichte, Kunst und Volkskunde in Vorpommern" erscheinen konnte und sich die Drucklegung länger hingezogen hat. Der vorliegende Band enthält bis auf zwei Ausnahmen die Referate der Stralsunder Tagung. Die knappe thematische Einführung von Manfred Schneider (9-12) betont zwar generell die herausragende Stellung der Pfarrkirche(n) in der Stadt, formuliert aber keine klaren Untersuchungsziele, wenn man einmal davon absieht, dass es eingangs heißt, auf der Tagung sollten "die Pfarrkirchen mit ihrem Umfeld an Kapellen und Pfarrhöfen behandelt werden" (9). Weiterhin wird auf kunsthistorische, bauhistorische und kulturgeschichtliche Perspektiven verwiesen, was auf der Hand liegt. Der Rekurs auf den gegenwärtigen Forschungsstand fehlt.
So bietet sich dem Leser ein breiter Fächer von 24 Aufsätzen, die chronologisch von der hochmittelalterlichen Missionsepoche im Ostseeraum (Alt-Lübeck, Usedom) bis zum 19./20. Jahrhundert (Umfeldgestaltung von Stadtkirchen in Pommern) reichen und die geographisch von einer deutlichen thematischen Basis in den Hansestädten Mecklenburgs und Vorpommerns (vor allem Stralsund und Greifswald) mit einzelnen Beiträgen ins mecklenburgische Hinterland (Plau am See), nach Westpreußen (Danzig), Brandenburg, Lüneburg und Höxter, ja sogar nach Merseburg ausgreifen. Es bedarf wohl keiner näheren Begründung, dass damit keineswegs der gesamte Hanseraum umschrieben ist. Sträflich ist vor allem das Fehlen Lübecks mit seinen bedeutenden Kirchenbauten. Von den Ausführungen Manfred Gläsers über Alt-Lübeck abgesehen befasst sich lediglich Ortwin Pelc (Die Sakraltopographie der Seestädte im wendischen Quartier der Hanse, 55-69) mit dem Haupt der Hanse. Übrigens wird nur in diesem Beitrag der anregende, für das Tagungsthema einschlägige Aufsatz von Bernd-Ulrich Hergemüller über "Die hansische Stadtpfarrei um 1300" zitiert.[2] Von den thematisch oder geographisch übergreifenden Beiträgen ist vor allem der von Norbert Kersken (Pfarrkirchen und öffentliches Notariat im Spätmittelalter, 193-203) hervorzuheben, weil aufgrund eines umfangreichen urkundlichen Materials die Bedeutung der Pfarrei und ihres Umfeldes (Friedhof, Pfarrhof) als öffentlicher städtischer Ort deutlich wird. Einen besonderen Aspekt der Stadt-Umland-Beziehungen beleuchtet der Aufsatz von Bengt Büttner (Pfründen auf dem Lande - Messen in der Stadt, 205-215), der Einblicke in seine vorzügliche Dissertation gibt und die personelle Vernetzung zwischen den Dorfpfarreien auf Rügen und den Vikarien in den Pfarrkirchen Stralsunds herausarbeitet.[3] Die Ausführungen von Karsten Igel (Kirchen im Greifswalder Stadt-Raum, 71-87) machen methodisch deutlich, wie man die Pfarrkirchen in der Sozialtopographie einer spätmittelalterlichen Stadt verorten kann.
Zu den verdienstvollen Seiten des Bandes gehören auch die Beiträge zu bestimmten Quellentypen bzw. Überlieferungsträgern, die von archivorientierten Historikern gerne übersehen werden. Aus der laufenden Erschließung der Inschriften Greifswalds und Stralsunds für das Akademie-Vorhaben "Die Deutschen Inschriften" ist der Aufsatz von Christine Magin erwachsen (Grabinschriften und Grabdenkmäler in städtischen Kirchen des Hanseraums: Überlegungen zu Formular- und Sprachwandel, 169-182). Die Verfasserin präsentiert ausgewählte Stücke in ausgezeichneten Abbildungen und diskutiert Auswertungsmöglichkeiten dieser nach wie vor von Bestandsverlusten bedrohten epigraphischen Zeugnisse. Die Verbindungen Stralsunds mit Rügen werden von Joachim Zdrenka aufgrund des epigraphischen Materials bis Ende des 18. Jahrhunderts skizziert (159-167). Wenig Aufmerksamkeit erfahren noch immer die Pfarrbibliotheken, obwohl sie zum Teil bis heute mittelalterliche Bestände bergen. Aus der Danziger Marienkirche ist ein umfangreicher und wichtiger Bestand an liturgischen Handschriften überliefert, die sich teilweise noch den Altären zuweisen lassen, für die sie beschafft wurden, wie Anette Löffler zeigt (227-237). Die Bibliothek des Geistlichen Ministeriums im Dom St. Nikolai zu Greifswald stellt Guntram Wilks (183-192) vor, doch wird nicht deutlich, ob dort neben den Bibliotheken der aufgehobenen Klöster auch Pfarreibestände eingeflossen sind.
Mehrheitlich befassen sich die Aufsätze mit einzelnen Pfarrkirchen. Hervorzuheben sind hier vor allem die Ausführungen von Sabine-Maria Weitzel über die mittelalterliche Ausstattung von St. Nikolai in Stralsund (101-111), weil hier nach dem Zusammenhang von Kirchenraum, Ausstattung und Liturgie gefragt wird. Wichtig ist auch der Beitrag von Burkhard Kunkel (Spätmittelalterliche Altaraufsätze Stralsunder Hauptkirchen, 113-126), der neben den Objekten die archivalischen Quellen befragt. Mit Gewinn liest man schließlich auch die Studie von Krystof Maciej Kowalski (Die gotische und neuzeitliche Ausstattung der Pfarrkirche St. Jakobi in Lauenburg in Pommern im Lichte archivalischer Quellen, 239-252), denn der Verfasser kann die bescheidenen Ausstattungsreste mit den Aussagen frühneuzeitlicher Inventare und Visitationsprotokolle konfrontieren.
Zu den positiven Seiten dieses Tagungsbandes gehört es, dass aus den meisten Beiträgen die Stellung der Pfarrkirchen in den mittelalterlichen Hansestädten vor allem des südlichen Ostseeraumes anschaulich deutlich wird, wozu auch die insgesamt recht gute Bebilderung beiträgt. Die Erkenntnismöglichkeiten der Kunstgeschichte, Bauforschung und Archäologie, vereinzelt auch der Geschichtswissenschaft, der Epigraphik und der Bibliotheksgeschichte werden in Fallstudien vorgestellt. Ein Gesamtbild wird man von einem Sammelband, der aus einer Tagung hervorgegangen ist, schwerlich erwarten dürfen, eher schon eine stärkere thematische Konzentration und klarere Fragestellungen. In der Einleitung wird beispielsweise die Beschäftigung mit dem Umfeld der Pfarrkirchen in Aussicht gestellt, aber man erfährt nichts über Kirchhöfe, Beinhäuser, Kapellen, Pfarr- und Priesterhäuser. Das vielgestaltige Verhältnis von Rat und Kirche hätte es nahe gelegt, die Frage nach der Pfarrei als Ratskirche bzw. der Einrichtung von Ratskapellen aufzuwerfen [4], aber auch die Kirchenverwaltung und die Baufinanzierung sind Themen, die in einem solchen Sammelband zu erwarten wären, um nur einige Beispiele zu nennen. Man kann das vorliegende Buch im positiven Sinne als ein Kaleidoskop aktueller Forschungen zu Stadtkirchen im Hanseraum lesen. Für ein Buch über Pfarrkirchen in den Städten des Hanseraums bleiben hingegen zu viele Fragen offen.
Anmerkungen:
[1] Enno Bünz: Die mittelalterliche Pfarrei in Deutschland. Neue Forschungstendenzen und -ergebnisse, in: Pfarreien im Mittelalter. Deutschland, Polen, Tschechien und Ungarn im Vergleich, hg. von Nathalie Kruppa / Leszek Zygner (=Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 238, Studien zur Germania Sacra; 32), Göttingen 2008, 27-66.
[2] Erschienen in Helmut Jäger / Franz Petri / Heinz Quirin (Hgg.): Civitatum communitas. Studien zum Europäischen Städtewesen. Festschrift für Heinz Stoob zum 65. Geburtstag (= Städteforschung; A 21), Köln/Wien 1984, 266-280.
[3] Bengt Büttner: Die Pfarreien der Insel Rügen. Von der Christianisierung bis zur Reformation (=Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern; V 42), Köln 2007; siehe dazu meine Besprechung in: Baltische Studien NF 93 (2007), 215-218.
[4] Vgl. beispielsweise Ahasver von Brandt: Die Ratskirche St. Marien im öffentlichen und bürgerlichen Leben der Stadt, in: Geist und Politik in der Lübeckischen Geschichte, hg. von Ahasver von Brandt, Lübeck 1954, 83-96 und 207-209; Max Hasse: Der Lübecker Rat und die Marienkirche, in: Zeitschrift des Vereins für Lübecksche Geschichte und Altertumskunde 64 (1984), 39-51.
Enno Bünz