Walter Scheidel / Ian Morris / Richard Saller (eds.): The Cambridge Economic History of the Greco-Roman World, Cambridge: Cambridge University Press 2007, xiv + 942 S., ISBN 978-0-521-78053-7, GBP 120,00
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Die antike Wirtschaftsgeschichte erfreut sich in den letzten Jahren einer immer stärkeren Aufmerksamkeit der Forschung. Sichtbares Zeichen dieses verbreiteten Interesses ist der vorliegende Band, an dem nicht weniger als 28 Gelehrte mitgewirkt haben. Erfreulicherweise bildet die 'Jahrhundertdebatte' zwischen Primitivisten und Modernisten und der vermeintlichen Etablierung einer neuen neoprimitivistischen Orthodoxie in diesem Werk nicht mehr als gleichsam eine wissenschaftsgeschichtliche Fußnote (2-4). Auch ist es nicht - wie man angesichts der Labels 'Cambridge' erwarten könnte - ein dezidiert der primitivistischen oder substantivistischen Sicht der Dinge verhaftetes Kompendium, sondern man hat eine explizit formalistische Herangehensweise für die Darstellung der Wirtschaft in der griechisch-römischen Antike gewählt, obwohl die Wiedergeburt des Primitivismus in der einschlägigen Forschung jüngst noch beobachtet wurde. [1]
Der hier verfolgte Ansatz ist den grundsätzlichen wirtschaftsgeschichtlichen Positionen von North geschuldet. Damit rücken die Kategorien 'Performanz' und 'Struktur' als Leitlinien der Darstellung in den Vordergrund, wobei unter Performanz insbesondere Produktionsvolumina, die Verteilung von Kosten und Nutzen sowie die Stabilität der Produktion zu subsumieren sind, während unter der Struktur die grundlegenden Determinanten der Performanz zusammengefasst werden, also etwa politische und ökonomische Institutionen, technologisches Wissen und Technik, demografische Voraussetzungen und schließliche ideologische Voraussetzungen für das Handeln des wirtschaftlich agierenden Subjekts. Im Folgenden wird aufgrund des zur Verfügung stehenden Raumes nur kurz auf einzelne Positionen eingegangen werden können.
Das Werk ist in acht Teile gegliedert, von denen sich der erste mit Beiträgen zur Ökologie (Sallares, 15-37), Demografie (Scheidel, 38-86), zu Haushalt und Geschlechterrollen (Saller, 87-112), Recht und ökonomischen Institutionen (Frier, Kehoe, 113-143) und Technologie (Schneider, 144-171) beschäftigt. Sch. betrachtet zunächst die Forschungsgeschichte in Bezug auf die Technik, deren Entwicklung im Gefolge der Auffassungen von Finley bis vor kurzem stets als stagnierend betrachtet wurde. [2] Sch. betont demgegenüber völlig zu Recht die Interdependenz von technischem Wissen und wirtschaftlicher Entwicklung und sieht das wirtschaftliche Wachstum, das im Behandlungszeitraum des Werkes konstatierbar ist, nicht zuletzt auch durch einen technischen Fortschritt ermöglicht.
Der zweite Teil behandelt frühe mediterrane Ökonomien und den Nahen Osten mit Beiträgen von Bennet (The Aegean Bronze Age, 175-210), Morris (Early Iron Age Greece, 211-241), Dietler (The Iron Age in the Western Mediterranean, 242-276), Osborne (Archaic Greece, 277-301) und Bedford (The Persian Near East, 302-329). Der Zugriff ist für diese Zeitstufe also ein regionaler.
Der dritte Teil ist dem klassischen Griechenland gewidmet und in die Kapitel 'Production' (Davies, 333-361), 'Distribution' (Möller, 362-384) und 'Consumption' (von Reden, 385-406) gegliedert. M. betont in ihrem Kapitel die gute Konnektivität des Mittelmeeres und will das Bild der im Prinzip autarken Polis nicht mehr aufrecht erhalten wissen; sie legt dar, dass die Komplexität des Handels in der klassischen Zeit sehr viel größer als in den Konzeptionen Hasebroeks und Finleys ist.
Im vierten Teil wird die hellenistische Welt behandelt. Hier ist die Gliederung eine regionale: van der Spek widmet sich hier dem Nahen Osten (409-433), Manning dem Ptolemäischen Ägypten (434-459) und Reger dem hellenistischen Griechenland sowie dem westlichen Kleinasien (460-483). Spek betont dabei zunächst einmal, dass die Eroberung des Achaimenidenreichs durch Alexander III. für Babylonien keinen tiefen Epochenschnitt darstellte. Auch war man in Babylonien gegenüber der griechischen Zivilisation nicht übermäßig beeindruckt, weswegen die eigene Tradition beibehalten wurde. Völlig zu Recht betont er auch die Fraglichkeit eines zwischen der 'Asiatischen Art der Produktion' und der 'Griechisch-Römischen Art der Produktion' konstruierten Gegensatzes.
Der fünfte Teil ist dem Frühen Italien und der römischen Republik vorbehalten. Im Einzelnen werden dabei das frühe Rom und Italien (Morel, 487-510) und die späte römische Republik (Harris, 511-539) behandelt. M. betont zunächst einmal die herausragende Bedeutung des archäologischen Befundes für die von ihm behandelte Zeit. Roms Entwicklung resultiert für ihn v.a. aus der Lage zwischen den Hochkulturen der Etrusker im Norden und der Griechen im Süden, was der Anlass für weitergehende Darlegungen zum Thema Kolonisation ist. Dabei ist für M. jede koloniale Bewegung auf wirtschaftliche Belange gegründet, eine Aussage, die man deutlich zu relativieren hat. [3] Auch H. geht in dem Kapitel über die Späte Republik, mit dem die Forschung nunmehr einen überaus lesenswerten und gelungenen modernen Überblick über die Wirtschaft dieser Zeit besitzt, der Frage nach, ob das Pro-Kopf Bruttoinlandsprodukt in der Epoche gestiegen sei. Hier kommt er zu dem Ergebnis, dass es für ein solches weniger Hindernisse gegeben habe als angenommen, die Kriege aber ein solches wohl verhindert hätten.
Der sechste Teil ist der Kaiserzeit gewidmet und enthält Beiträge von Kehoe (The Early Roman Empire: Production, 543-569), Morley (The Early Roman Empire: Distribution, 570-591), Jongman (The Early Roman Empire: Consumption, 592-618) und Lo Cascio (The Early Roman Empire: The State and the Economy, 619-647). K. skizziert in seinem Beitrag zunächst einmal die Rahmenbedingungen der Agrarproduktion im Imperium Romanum: Bevölkerungswachstum bis in die Zeit der Antoninen um ca. ein Drittel, Friede und die daraus resultierende Förderung des Handels, agrarische Überschussproduktion für den Markt, Transfer von Einkünften vom Land in die Stadt. Insgesamt bilanziert er eine Steigerung der Nachfrage in der Kaiserzeit, ohne dass sich jedoch eine Unternehmerschicht entwickelt habe. Meines Erachtens ist der Grund hierfür in dem Spezifikum zu suchen, dass sowohl die imperiale Führungs- und Oberschicht als auch die lokalen Oberschichten sich nicht nach unten abschließen konnten und damit durch den Erwerb von Reichtum in der Welt des Imperium Romanum eine erhebliche vertikale Mobilität möglich wurde, die in anderen vormodernen Gesellschaften unmöglich war.
Der siebte Teil des Bandes ist der regionalen Entwicklung im Imperium Romanum gewidmet. Leveau behandelt dabei die westlichen Provinzen (651-670), Alcock die Welt des östlichen Mittelmeers (671-697), Rathbone das römische Ägypten (698-719) und Cherry die Grenzgebiete (720-740). Dabei wird nicht nur von L. für den Westen des Reiches ein wirtschaftlicher Boom in der Kaiserzeit konstatiert, sondern auch A. zeigt für den Osten entgegen den landläufigen Vorstellungen ein Wachstum der Bevölkerung auf, das mit einem solchen der Pro-Kopf-Einkommen einherging. Damit kann man auch für den Osten des Reiches ein Wirtschaftswachstum konstatieren. Gleiches gilt - wie R. zeigt - auch für Ägypten, das auch auf wirtschaftlichem Gebiet keinen Sonderfall darstellt. Dabei demonstriert er auch, wie wertvoll der Datenreichtum der papyrologischen Überlieferung für die Wirtschaftsgeschichte ist.
Den abschließenden achten Teil bildet eine Abhandlung von Giardina, der den Übergang zur Spätantike behandelt (743-768). Die Transition von der Kaiserzeit in dieselbe sieht er in der Zeit von Mark Aurel bis Diokletian: Kriege und Seuchen sowie die staatliche Reaktion hierauf hätten ein neues sozioökonomisches System geschaffen. Am Beispiel der Villenwirtschaft macht G. eine Krise der Sklavenwirtschaft fest. Allgemein zeichnet G. dabei das übliche Katastrophenszenario für das dritte nachchristliche Jahrhundert, das meines Erachtens in Bezug auf die Wirtschaft deutlich zu relativieren ist. Dabei nimmt er in Bezug auf die Währung eine dezidiert metallistische Sicht der Dinge ein, die freilich nicht unproblematisch ist. [4]
Alles in allem ist den Herausgebern mit diesem Band auf jeden Fall ein großer Wurf gelungen. Wer sich in Zukunft mit antiker Wirtschaftsgeschichte v.a. auf der makroökonomischen Ebene beschäftigt, hat sich mit den hier formulierten Positionen auseinanderzusetzen. Man wird nicht all diesen Positionen uneingeschränkt zustimmen können und wollen, an manchen sogar eine dezidierte Kritik zu äußern haben. Solches gilt etwa für die in mehreren Kapiteln anzutreffenden Ausführungen zum Lebensstandard, die die subjektive Dimension desselben nicht berücksichtigen. [5] Begrüßenswert ist v.a. die dem Formalismus verpflichtete Herangehensweise an das Thema Wirtschaft mit Hilfe der Kategorien Performanz und Struktur, wodurch die der Antike und insbesondere dem Römischen Reich innewohnende wirtschaftliche Dynamik erfasst wird. Auch macht man weiten Gebrauch von der Transaktionskostentheorie [6], was der Analyse wirtschaftlicher Gegebenheiten einen erheblichen Gewinn verleiht. Alle Beitragenden haben in diesem Band auf dem 'akademischen Schlachtfeld der Wirtschaftsgeschichte' [7] einen grundlegenden Beitrag geleistet, der die Debatte nicht nur beleben, sondern auch auf jeden Fall in neue Dimensionen führen wird.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Daniele Foraboschi, Rez: Templi, finanze, emporia, "Topoi" 12-13/1 (2005) , in: RIN 108 (2007), 556-560, hier 560.
[2] Vgl. dagegen Elio Lo Cascio (Hg.): Innovazione tecnica e progresso economico nel mondo romano. Atti degli incontri capresi di storia dell'economia antica (Capri 2003) (= Pragmateiai; 10), Bari 2006.
[3] Vgl. demgegenüber die grundlegende Arbeit von Frank Bernstein: Konflikt und Migration. Studien zu griechischen Fluchtbewegungen im Zeitalter der sogenannten Großen Kolonisation (= MAS; V), St. Katharinen 2004, die einen differenzierteren und einleuchtenderen Zugang zum Phänomen der 'Kolonisation' liefert. Damit soll nicht geleugnet werden, dass es auch ökonomische Gründe für dieselbe gab, aber als alleinige Ursache sind dieselben gewiss nicht zu betrachten.
[4] Gegen diesen metallistischen Ansatz vgl. Karl Strobel: Geldwesen und Währungsgeschichte des Imperium Romanum im Spiegel der Entwicklung des 3. Jahrhunderts n.Chr. - Wirtschaftsgeschichte im Widerstreit von Metallismus und Nominalismus, in: Die Ökonomie des Imperium Romanum. Strukturen, Modelle und Wertungen im Spannungsfeld von Modernismus und Neoprimitivismus. Akten des 3. Trierer Symposiums zur Antiken Wirtschaftsgeschichte (= Pharos; XVII), hg. von dems., St. Katharinen 2002, 86-168.
[5] Vgl. zu diesen Hans-Joachim Drexhage u.a.: Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.-3. Jahrhundert). Eine Einführung, Berlin 2002, 161.
[6] Zu dieser vgl. insbesondere Morris Silver: Economic Structures of Antiquity, Westport / London 1995.
[7] Zu dieser Formulierung vgl. Keith Hopkins: Introduction, in: Trade in the Ancient Economy, hg. von Peter Garnsey, Keith Hopkins, Charles Richard Whittaker, London 1983, ix-xxv, hier ix.
Kai Ruffing