Ira Oppermann: Das spanische Stillleben im 17. Jahrhundert. Vom fensterlosen Raum zur lichtdurchfluteten Landschaft, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2007, 274 S., 294 Abb., ISBN 978-3-496-01368-6, EUR 79,00
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Die Stilllebenmalerei gehört zu den Gebieten der spanischen Kunstgeschichte, die sich auch außerhalb des Landes einiger Popularität erfreuen. Vor allem die von Alonso Sánchez Cotán geprägten Arrangements weniger (Feld)früchte und erlegter Vögel auf einer steinernen Brüstung oder an Fäden, aufgehängt vor schwarzem Hintergrund, wurden zum Inbegriff typisch spanischer Strenge und Askese.
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema intensivierte sich erst in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Alonso E. Pérez Sánchez, Peter Cherry und William B. Jordan haben grundlegende Arbeiten zum Thema vorgelegt, die inzwischen durch eine Fülle von Einzelstudien ergänzt werden. [1] Die umfassendste deutschsprachige Studie veröffentlichte Felix Scheffler, der neben der Entstehung und Entwicklung der Gattung sowohl den kunsttheoretischen Kontext vorstellte als auch den realienkundlichen Aspekt mit dem ikonologischen verband. [2]
Ira Oppermann baut auf diesen Arbeiten auf, befasst sich jedoch mit den "typischen" Bodegones nur im Eingangskapitel. Ihre Fragestellung erweitert gewissermaßen die Gattungsgrenze und zielt "auf das Phänomen ab, wie sich das spanische Stillleben aus der engen, mit schwarzem Hintergrund begrenzten Darstellung zur Landschaft öffnet" (17).
Den Einstieg bilden zwei "Obstschalen" vor einem Landschaftsausblick, die Juan van der Hamen 1621/23 in enger Anlehnung an eine Vorlage von Frans Snyders malte. Vergleichbare "Bild im Bild"-Kombinationen von jahreszeittypischer Landschaft und Lebensmitteln charakterisieren die Monate in entsprechenden Serien von van der Hamen oder Francisco Barrera.
Zahlreiche Stillleben mit Landschaft entstanden jedoch nicht in Madrid, sondern in Valencia. Hier präsentiert Oppermann ein 1654 entstandenes Gemälde von Tomás Hiepes als ersten Beleg für die Öffnung des Raumes. Hiepes versetzt die Stillleben direkt in die Landschaft und kommt so zu originellen Kompositionen, die wie Vorwegnahmen der Arbeiten wirken, die Luis Meléndez im 18. Jahrhundert für die Schlösser Karls IV. schuf. Dieser Abschnitt gehört zu den gelungensten des Bandes, nicht nur, weil hier mit den Arbeiten von Hiepes und Miguel March neue bzw. wenig bekannte Bilder von hoher Qualität präsentiert werden, sondern weil Oppermann hier auch mit Hinweisen auf Plinius und Philostrat eine kunsttheoretische Begründung ihrer Fragestellung zumindest andeutet.
Das dritte Kapitel ist dem "Sonderfall Girlande" gewidmet; wobei die Girlande zumeist als Rahmen fungiert. Auf eine etwas umständliche Begriffsklärung und einen Vorspann zur flämischen Tradition der rahmenden Girlanden etwa bei Jan Brueghel und Daniel Seghers folgen die spanischen Beispiele, allen voran Juan van der Hamen, der zwei Landschaftsbilder mit Girlandenrahmung versah, wobei er sich jedoch weniger an flämischen Vorbildern, als an entsprechenden Werken Carlo Antonio Procaccinis orientierte.
Opperman nutzt hier die Gelegenheit zu einem Exkurs über die spanische Landschaftsmalerei. Allerdings fehlt die Verknüpfung mit ihrem eigentlichen Thema, den Landschaften mit Girlanden, und auch der abschließende Hinweis auf Goyas Radierung "Landschaft mit großem Felsen" wirkt eher irritierend.
Als unbestrittener Meister der Blumengirlanden muss der Madrilene Juan de Arellano gelten: Oppermann weist zu Recht darauf hin, dass Arellano nicht, wie bislang angenommen, durch die Begegnung mit Werken von Mario Nuzzi zur Blumenmalerei kam, sondern die Konkurrenz mit seinen flämischen Kollegen suchte. Er orientierte sich nicht nur an ihren üppigen Arrangements, sondern wetteiferte auch in der Darstellung der schieren Fülle unterschiedlichster Blüten.
Nach einem neuerlichen Exkurs über die Bedeutung der Formate beschäftigt sich Oppermann im vierten Kapitel mit "toten und lebenden" Tieren im Stillleben. Wieder gibt es einen langen Vorspann, der die Bedeutung der Jagd als privilegierten Zeitvertreib behandelt. Zudem kann Oppermann nicht widerstehen, Velázquez' einziges Stillleben, den Hirschkopf mit Geweih ausführlich vorzustellen, auch wenn das Bild nicht in den Kontext der Untersuchung passt.
Letztlich bilden Jagdstillleben im Freien die Ausnahme und spielen nur in der Valencianer Malerei der sechziger Jahre eine Rolle. March inszenierte 1661 die Jagdbeute vor dramatisch beleuchteten Landschaften, wobei er sich für die Kombination von im Vordergrund aufgetürmten Tieren und weitem Ausblick an Arbeiten von Giovanni Benedetto Castiglione orientiert haben mag. Oppermann kann auch überzeugend nachweisen, dass Hiepes die Arbeiten von March als Anregung für seine Darstellungen schlafender bzw. trinkender Jäger mit Beute aufgriff.
Dem Unterpunkt "Tiere im Freien" zugeordnet ist ein Gemälde von March, der einen Milan auf einen Hühnerhof herabstürzen lässt. Ein beigefügtes Gedicht "warnt" den Raubvogel vor Täuschung und Gefahr. Der Maler rechnet offensichtlich mit einem Betrachter, der seinen Plinius gelesen hat und den Paragone mit den berühmten antiken Stilllebenmalern bemerkt. Auch Hiepes tritt als neuer Pausias auf und malt wie dieser das Bildnis der Glykera, der Erfinderin der Blumenkränze. Seine Meisterschaft beweist Hiepes in diesem Abschnitt mit seinen von Vögeln und Blumen bevölkerten Terrassen vor Landschaftsausblicken.
Im vorletzten Kapitel behandelt Oppermann bislang nur wenig bekannte Stillleben von Pedro de Camprobín, der Früchte und Blumen, aber auch Musikinstrumente vor architektonischen Kulissen aufbaute, die von Bühnenbildern inspiriert sind. Große Nähe besteht auch zu Zurbarán, der wiederum auf Stiche von Philipp Galle und Hans Vredeman de Vries zurückgriff. Dass deutlich Sevillaner Motive zu erkennen sind, lässt vermuten, dass Camprobín auf Wünsche seiner Käufer einging, die ihr Gefallen an Stillleben mit dem Stolz auf ihre Stadt verbanden.
Ein Kapitel über Allegorien der fünf Sinne und der vier Jahreszeiten beschließt den Band. Für diese wie für die meisten der behandelten Werke gilt, dass die Fragestellung nach der "Öffnung in die Landschaft" sich letztlich als wenig fruchtbar erweist. Die nur gelegentlich und eher beiläufig eingestreuten ikonografischen Interpretationen legen zumeist christliche Deutungen nahe, ohne dass die Landschaft eine besondere Rolle spielte.
Auch verliert sich Oppermann häufig in der Fülle des Materials, zumal die häufigen langatmigen Exkurse einen roten Faden nur mit Mühe erkennen lassen. Andererseits ist die Materialfülle entschieden eine der Stärken der Arbeit, denn Oppermann kennt nicht nur die Forschungsliteratur und das dort publizierte Material gründlich, sondern präsentiert kundig und überzeugend zahlreiche, bislang unpublizierte Gemälde. Da zudem die meisten der "neuen" Bilder in Farbe abgebildet sind, bietet der Band eine wichtige Ergänzung zur eingangs genannten Standardliteratur.
Auch liest sich trotz einiger Manierismen der lebendig formulierte Text gut. Bewundernswert erscheint nicht zuletzt die Akribie, die Oppermann auf die Identifizierung der dargestellten Tiere und Blumen verwandt hat. Schon aus diesem Grund wird man den Band immer wieder heranziehen müssen.
Anmerkungen:
[1] Ausst. Kat. Pintura española de bodegones y floreros de 1600 a Goya, Alfonso E. Pérez Sánchez, Madrid, Prado, 1983/84. - Ausst. Kat. Spanish Still Life in the Golden Age 1600 - 1650, William B. Jordan, Fort Worth, Kimbell Art Museum 1985. - Peter Cherry: Arte y naturaleza. El Bodegón español en el Siglo de Oro, Aránjuez (Madrid) 1999. - Vgl. zuletzt: William B. Jordan: Juan van der Hamen y León & the Court of Madrid, New Haven / London 2005.
[2] Felix Scheffler: Das spanische Stillleben des 17. Jahrhunderts. Theorie, Genese und Entfaltung einer Bildgattung, Frankfurt am Main 2000.
Sylvaine Hänsel