Annalisa Marzano: Roman Villas in Central Italy. A Social and Economic History (= Columbia Studies in the Classical Tradition; Vol. 30), Leiden / Boston: Brill 2007, xv + 823 S., 27 fig., 26 maps, ISBN 978-90-04-16037-8, EUR 159,00
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Jochen Werner Mayer: Imus ad villam. Studien zur Villeggiatur im stadtrömischen Suburbium in der späten Republik und frühen Kaiserzeit, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005
Rhiannon Evans: Utopia Antiqua. Readings of the Golden Age and Decline at Rome, London / New York: Routledge 2008
Martin Jehne: Die Römische Republik. Von der Gründung bis Caesar, München: C.H.Beck 2006
Die römische Villa ist ein beliebtes Thema in den Altertumswissenschaften und wird unter verschiedenen Gesichtspunkten immer wieder diskutiert. Synthesen, die einen größeren geographischen Raum betrachten und dazu die archäologische wie auch die schriftliche Überlieferung befragen, sind jedoch relativ selten, schon aufgrund der schwer überschaubaren Materialmengen. Diese Lücke für die Villen Mittelitaliens, ein Zentrum der römischen Villenkultur, zu schließen, hat sich Annalisa Marzano in ihrer PhD-Dissertation zum Ziel gesetzt.
Gegenstand der Studie ist die "social and economic role of elite villas in Central Italy" und die (Dis-)Kontinuität jener sozioökonomischen Funktionen im Übergang von der Republik in die Kaiserzeit (5). Methodisch beansprucht Marzano einen interdisziplinären Zugang "which brings together archaeological data and documentary sources" (5). Der systematischen Auswertung des archäologischen Materials dient ein Katalog, der Daten zu Besiedlungsdauer, Anlage, Besitzern, besonderen Kennzeichen, Ausgrabungsstand, sowie bibliographische Referenzen, Lagepläne und Karten zu den einzelnen Villen erfasst (235-758), ergänzt von vier Appendices mit Statistiken zur Besiedlungsdauer und -dichte (759-796).
Kennzeichnendes Kriterium für 'Elitenvillen' ist der Autorin "the combination of a residential part for leisure with an utilitarian part for production" (237), wobei kaiserliche Landsitze nur ausnahmsweise berücksichtigt werden. Den Begriff 'Elite' verwendet die Autorin bewusst "by no means limited to senatorial or equestrian figures only" (237): Als die den elitären Status stiftende Gemeinsamkeit der Villenbesitzer betrachtet sie Reichtum, und auch wohlhabende munizipale Honoratioren und Freigelassene begreift Marzano als Angehörige dieser 'Elite' (10). Im Mittelpunkt stehen das moderne Latium, die Toskana und Umbrien vom 1. Jahrhundert vor Christus bis in das 3. Jahrhundert nach Christus, wobei der chronologische Rahmen stellenweise jedoch erheblich weiter gespannt ist (5). Inhaltlich können vier Themen unterschieden werden, die die Autorin für ihre Fragestellung diskutiert und unter die sich die acht Kapitel der Studie subsumieren lassen:
Erstens geht Marzano dem Verhältnis von 'Ideal' und 'Wirklichkeit' nach. Kapitel I ("Villae Maritimae") und Kapitel II ("Villae Maritimae as Economic Enterprises") betrachten unter diesem Aspekt die Villen an den Küsten, Kapitel III ("Villae Rusticae and the Ideological Realm") und Kapitel IV ("The Archaeology of Rural Villas") die Landvillen. Zunächst wird jeweils auf Grundlage der literarischen Quellen das 'Ideal' gezeichnet und dann vor allem mittels der archäologischen Evidenz in Kontrast zur 'Realität' gesetzt. Villae maritimae sieht die Autorin hierbei vorwiegend durch nutzlose luxuria und Unwirtschaftlichkeit charakterisiert und den Landvillen entgegengesetzt: "If in literary texts the maritime villa was depicted as the seat of unproductive and even corrupting otium, country villas in the ideological realm embody the seat of production, be it of agricultural produce or literary works." (101) Mit der 'Realität' habe dies wenig gemeinsam gehabt: Marzano betont die Rentabilität der Meervillen ebenso wie ihren sozialen Nutzen im Rahmen elitärer Statusrepräsentation.
Das zweite zentrale Thema der Studie ist die römische Villa als landwirtschaftliche Produktionseinheit im Kontext der Organisation landwirtschaftlicher Arbeit (Kapitel V: "The 'Villa Schiavistica' Model"). Ausgangspunkt ist die verbreitete These, wonach die Landwirtschaft Mittelitaliens in Folge der Punischen Kriege einen tiefgreifenden Wandel erfahren habe: Von der kleinbäuerlichen Subsistenzwirtschaft hin zu 'Großgrundbesitzen', auf denen Sklaven intensiv einzelne Güter für den Vertrieb produziert hätten (125-128). Marzano plädiert demgegenüber für eine differenziertere Sicht und sieht unterschiedliche Bewirtschaftungsstrategien: Tagelohn, Verpachtung und Sklavenarbeit sowie eine Kombination dieser Möglichkeiten, aber auch weiterhin existierende kleinere Betriebe. Insgesamt mahnt Marzano zu einer vorsichtigeren Bewertung der Bedeutung von Sklaven für die Landwirtschaft (229).
Drittens betrachtet Marzano die geographischen Verteilung der Villen und fragt nach den Ursachen für die zu beobachtenden Muster. In Kapitel VI ("Villa Topography: Infrastructure and Imperial Villas") wird dargelegt, dass in wirtschaftlicher Hinsicht die Infrastruktur (156-171) und "for social and political reasons" (171) die Nachbarschaft kaiserlicher Villen (171-198) von Bedeutung war. Kapitel VII ("Villa Topography and Involvement with Neighbors") erörtert die Bedeutung benachbarter urbaner Zentren für Villenbesitzer: Die Villa habe sich zum Symbol für Macht und Reichtum der Senatoren und Ritter gegenüber den Kommunen entwickelt. Dies habe sich in der Kaiserzeit verstärkt, in der jene zunehmend als Patrone der Gemeinden auftraten. Der Unterschied zur republikanischen Villa habe vor allem darin bestanden, "in how the physical space of the villa was perceived [...] to reflect the public persona of the owner" (188). Ideologisch habe die Villa so zwei Funktionen angenommen: Einerseits sei sie weiterhin "the realm of otium" gewesen, andererseits jedoch der Ort "where local communities have contact with powerful proprietors [...]. On this level, the villa becomes a place for negotium, and this is reflected in its furnishing and architecture." (189)
In Kapitel VIII diskutiert Marzano abschließend "The Chronology of Villas and the Second-Century 'Crisis'". Erneut geht es der Autorin darum, die Komplexität der differenzierten Wirtschaftsformen Mittelitaliens zu betonen. Sie warnt vor zu pauschalen Aussagen, die eine allgemeine Krise der italienischen Landwirtschaft als Anlass dafür sähen, dass Villen in jener Zeit zunehmend aufgegeben worden seien (199): Vielmehr seien Villen in bestimmten Regionen zwar oft nicht länger 'Elitenresidenzen' gewesen, doch damit hätten sie nicht automatisch auch ihre Funktion als landwirtschaftliche Produktionseinheiten eingebüßt (210-214). Zudem hätten die villae maritimae bis in das 5. Jahrhundert beide Funktionen erfüllt, ebenso wie einige Villen auf dem Land, wo zudem noch im 4. Jahrhundert neue Villen errichtet worden seien (204-209). Die Vorstellung von einer totalen Krise der Villenwirtschaft sieht Marzano kritisch (210).
Insgesamt hat die Autorin ein interessantes, thesen- und materialreiches Buch vorgelegt, das Quellenanalyse und -interpretation sinnvoll mit der Diskussion moderner Forschungspositionen verbindet, auch wenn in vielen Details auch andere als die vorgeschlagenen Deutungsangebote denkbar sind. Ein grundsätzliches Problem ergibt sich hinsichtlich des modernen Begriffs 'Elite', der weder allgemein definiert, noch in seiner Anwendbarkeit auf eine vormoderne Gesellschaft diskutiert wird. Ihren Grundgedanken, dass der gemeinsame elitäre Status der Villenbesitzer auf Reichtum beruhe, legt die Autorin zudem eher beiläufig und nicht systematisch dar. Auch hätte die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung und Bewertung von Reichtum in der römischen Republik und Kaiserzeit gestellt werden sollen, um zu eruieren, ob es für Rom überhaupt angemessen oder hilfreich ist, Reichtum zum Gemeinschaft und Gemeinsamkeit stiftenden Kriterium einer sozialen Gruppe, hier: der oder einer 'Elite', zu erklären. Die Gruppe der 'Reichen', welche die Autorin auf diese Weise offenbar zu konstituieren sucht, ist jedenfalls äußerst heterogen, was die Frage nach dem Nutzen der so bestimmten Kategorie 'Elite' aufwirft. Dass letztlich doch oft von ritterlichen und senatorischen Villenbesitzern die Rede ist, wenn es um konkrete soziale und politische Funktionen der Villa geht, ist daher wahrscheinlich bezeichnend. Insgesamt gewinnt man nicht nur aufgrund dieser Unschärfen den Eindruck, dass die systematischer und oft überzeugend abgehandelten ökonomischen Fragen stärker im Mittelpunkt der Arbeit standen als der soziale Aspekt.
Im Übrigen fällt auf, dass der Aufbereitung und Verwertung des archäologischen Materials viel Aufmerksamkeit (etwas mehr als der schriftlichen Überlieferung) gewidmet wurde, was sich einerseits in dem umfangreichen Katalog, anderseits in den differenzierten Interpretationen äußert. Regelmäßig thematisiert die Autorin dazu auch methodische Schwierigkeiten, die ihrer Meinung nach mit ursächlich für allzu pauschale Urteile der modernen Forschung sind. So problematisiert Marzano etwa die forcierte und vielleicht zu sehr von literarischen Quellen beeinflusste Suche nach archäologischen Belegen für die Existenz von Sklaven, um deren Bedeutung für die römische Landwirtschaft nachzuweisen (130f.); die Kritik an der These vom vermeintlichen 'Niedergang' der Villenwirtschaft im 2. Jahrhundert wird unter anderem mit dem Problem des heterogenen sowie bisweilen fragmentarischen und einseitigen Ausgrabungsstands vieler Villen verknüpft (231f.).
Auch im Hinblick auf diese methodischen Probleme bleibt abschließend festzuhalten, dass viele Ergebnisse der Untersuchung unter dem Vorbehalt der Resultate zu sehen sind, die künftige (archäologische) Forschungen erst noch erbringen müssen, was Annalisa Marzano sicherlich unterstreichen würde. Man wird dabei jedoch nicht umhin können, jene Fragen und Probleme zu bedenken, die sie mit gutem Grund aufgeworfen hat. Insofern stellt die Studie nicht nur aufgrund des außerordentlich nützlichen Katalogs eine anregende Basis für die weitere Erforschung der römischen Villa dar. Hervorzuheben ist überdies die insgesamt gelungene Ausstattung mit Bildern und Karten, die von einer Bibliographie, einem Sach-, Personen- und Ortsindex sowie einem Index Locorum abgerundet wird.
Astrid Habenstein