Annette Lucia Giesecke: The Epic City. Urbanism, Utopia, and the Garden in Ancient Greece and Rome (= Hellenic Studies; 21), Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2007, xiv + 204 S., ISBN 978-0-674-02374-1, GBP 12,95
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Wenn man nicht gerade Gärtnerin oder Gärtner ist und sich über Blattläuse, Unkraut oder fachgerecht zu entsorgendes Herbstlaub ärgert, dann verleiten Gärten zum Schwärmen. Sie sind ein Stück eingefriedeter Natur, Symbol für Ruhe, Beständigkeit und Sicherheit: verlockend in einer Welt, die immer fordernder, schneller und komplizierter zu werden scheint. Damit ist zunächst einmal mehr über Sehnsüchte unserer Zeit gesagt als über Gärten. Doch erklärt sich so vielleicht, warum der idealisierte Garten in vielen Disziplinen Gegenstand der Forschung ist - und dabei manchmal arg verklärt wird. Die hier anzuzeigende Studie Annette Lucia Gieseckes betrachtet den Garten als Aspekt antiker Utopievorstellungen.
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen Homers Odyssee und Ilias sowie Vergils Aeneis, die "'national epics' of Classical Greece and Rome" (xiv). Von grundlegender Bedeutung für das Verständnis dieser Werke erachtet die Autorin das Konzept 'Stadt' und "the dialectic between Nature and culture that urbanism engenders" (xiv). Da die Epen "manifest the dream of a society for a better life", betrachtet Giesecke diese ferner als eine Form von utopischer Literatur (1). Mit der Frage nach dem Garten in Beziehung zur Stadt als Ausgangspunkt untersucht sie, wie das Verhältnis von Kultur und Natur dargestellt wird, welche Idealvorstellungen von Gesellschaft dies zum Ausdruck bringt und wie dies vor dem jeweiligen historische Hintergrund zu interpretieren ist.
Im Anschluss an "Prologue: An Afternoon Walk" (xi-xiv) und Einleitung (1-9), welche die Fragestellung sowie die Prämissen der Arbeit zum utopischen Charakter von Ilias und Odyssee, deren historischer Einordnung und zur 'Homerischen Frage' darlegen, geht die Autorin ihren Themen in insgesamt vier Kapiteln nach. Dabei zieht sie nicht nur literarische Quellen heran, sondern diskutiert auch Epen und Natur in der Kunst, namentlich in Vasen- und Wandmalerei; ferner berücksichtigt Giesecke hinsichtlich der konkreten Bedeutung von Gärten im griechisch-römischen Kontext archäologisches Material.
Die Kapitel "Homer's Eutopolis" (11-34) und "Greece and the Garden" (35-78) beschäftigen sich mit dem archaischen und klassischen Griechenland. Zentrales Thema ist hier zum einen das Idealbild von Gesellschaft in den Homerischen Epen. Ausgehend von der Feststellung, dass Athen in klassischer Zeit keine 'Gartenstadt' gewesen sei, erscheint Giesecke ferner die Frage nach dem "impulse underlying the development of the anthropocentric order that would become pivotal in the ideological self-fashioning" (xii) nicht nur der Athener, sondern der Griechen im Allgemeinen von Bedeutung.
Die Entstehung von Odyssee und Ilias verortet die Autorin zeitlich im und in Reaktion auf das 8. Jahrhundert v. Chr., in der auf die 'Dark Ages' folgende Zeit der gesellschaftlichen und politischen Konsolidierung (2-7). In den Epen Homers sieht Giesecke die im Entstehen begriffene griechische polis als das Ideal, an dem andere Gemeinschaften gemessen werden. So thematisiere die Ilias "such a polity's ideal citizen" (29). Offen bleibt allerdings, was es zu bedeuten hat, dass der gerechte, verantwortungsbewusste und von Gemeinsinn beseelte Hektor Achilleus letztlich unterliegt, der diese Eigenschaften eines guten Bürgers nach Ansicht Gieseckes zwar auch mitbringt, aber erst an sich entdecken muss (30-31). Die Odyssee hingegen sei der idealen polis selbst gewidmet (29): Der Held trifft auf unterschiedliche (menschliche) Gemeinschaften, die diesem Ideal einmal mehr, einmal weniger entsprechen. Dies macht die Autorin an der Beschreibung von Gärten und Landschaften fest.
Charakteristisch für das Verhältnis von polis und Natur bei Homer erscheint der Autorin, dass "[t]he city as an ideal and the ideal city are founded on the containment of dangerous, threatening impulses of and in the natural world" (49), was sich als sehr beständig erwiesen habe. Athen habe dieses Ideal besonders umfassend verwirklicht: Außerhalb der Stadtmauern habe man sich die Natur dienstbar gemacht, während sie in der Stadt streng kontrolliert worden sei (73-78). Erst im 5. Jahrhundert habe sich das etwas entspannt.
Die anschließenden Kapitel "Rome and the Reinvention of Paradise" (79-125) und "Nostalgia and Virgil's Pastoral Dream" (126-155) sind dem spätrepublikanischen und augusteischen Rom gewidmet. Die Autorin fragt sich, warum die Römer ein grundsätzlich anderes Verhältnis zu Garten und Natur hatten als die Griechen (xiii). Dazu betrachtet Giesecke zunächst wieder die weitere Entwicklung in der polis Athen (85-100), die nicht von ungefähr eine Quelle des "pastoral impulse in the Western literary tradition" sei (85). Im 4. Jahrhundert habe eine allgemeine Enttäuschung über die Gesellschaft ihren Ausdruck im Bild vom Philosophen gefunden, der sich auf der Suche nach der höchsten Wahrheit aus der Stadt heraus in den Garten begibt. Dieser "'withdrawal' of philosophy into the garden" verdeutliche "the gradual deconstruction of the city wall as the physical and ideological safeguard of the Athenian polis" (90). Der wesentliche Unterschied zu Rom habe nun darin bestanden, dass Natur selbst in dieser Zeit noch auf Abstand gehalten worden sei, während römische Städte und Häuser die Natur in Form von Gärten integriert und domestiziert hätten (79-111). Die Gründe für diesen Unterschied werden allerdings nicht benannt.
Diese 'Ubiquität' römischer Gärten betrachtet Giesecke als "the clear manifestation of a social ideal", das sie mit der Wendung 'rus in urbe' zu fassen sucht (103). Dabei habe es sich um einen "essentially nostalgic, pastoral dream of returning to a simpler life in the country" gehandelt (81). Repräsentiert habe dieses Ideal allerdings nicht die traditionelle italische domus, sondern vielmehr die römische Villa, die hellenistische und römische Vorbilder, Tradition und Innovation, Stadt und Land ideal in sich vereint habe (104-125). Ferner stellt sich Giesecke die Frage nach der sozio-kulturellen und politischen Bedeutung von Gärten: Dienten prächtige Parkanlagen vor allem dazu, Macht, militärischen Erfolg und Reichtum zum Ausdruck zu bringen oder waren Gärten in Rom Ausdruck eines "deep-seated desire to recapture the 'primitive' lifestyle" der maiores, "an expression of humanity's utopian propensity" (xiv)? Die Autorin kommt hier zu dem Schluss, dass beides zutrifft, wobei sie die Bedeutung des Utopischen besonders hervorhebt (116-125).
Insgesamt gesehen, überzeugen Gieseckes Thesen nicht immer. Um das Verhältnis von polis/urbs und Natur in Kunst und Literatur zu beleuchten, ist der Garten, der letztlich zwischen Natur und Kultur steht, in der Tat ein interessanter Aufhänger, der zu spannenden Beobachtungen führt. Das zeigt die Autorin insbesondere im ersten und im letzten Kapitel der Studie. Doch die meist sehr allgemeinen historischen Erklärungen, die sich auch in einer eher oberflächlichen Auseinandersetzung mit der historischen Forschung zu so grundsätzlichen und komplexen Themen wie der Entstehung der polis, Athen im 5. und 4. Jahrhundert, der Krise der römischen Republik oder dem Charakter des Prinzipats widerspiegeln, befriedigen oft nicht.
Konkret bleibt ferner unklar, woher 'die Angst' 'der Griechen' vor 'der Natur' eigentlich rührt. Die Autorin scheint hier anthropolgisch begründete Urängste in Kombination mit der Erfahrung der Dark Ages und des Zusammenbruchs der Mykenischen Paläste vor Augen zu haben; das müsste die späteren Griechen dann allerdings nachhaltigst beeindruckt haben, um noch im 5. und 4. Jahrhundert relevant gewesen zu sein.
Ähnlich problematisch ist - was an dieser Stelle nur angedeutet werden kann - die Vorstellung von 'rus in urbe' als einem die gesamte römische Gesellschaft erfassenden 'sozialen Ideal', dessen historische Wurzeln im Trauma des spätrepublikanischen Chaos' gelegen haben sollen. Das ist schwer zu belegen, und so bleibt die Autorin nicht von ungefähr etwa den Nachweis schuldig, dass andere Bevölkerungsgruppen die Villen- und Gartenkultur tatsächlich um des utopischen Wunschbildes Willen für sich entdeckten (117). Ging es hier nicht doch primär darum, Formen senatorischer Statusrepräsentation nachzuahmen, um den eigenen sozialen Rang und Anspruch zu demonstrieren? Und sind die Bestrebungen des Augustus, die Bevölkerung Roms mit Parkanlagen zu beschenken (117-118), nicht doch zuallererst Ausdruck euergetischer Strategien zur Herrschaftssicherung und -repräsentation?
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Annette Lucia Giesecke bei aller Kritik, die auch in Details anzubringen wäre, eine interessante Arbeit vorgelegt hat, die zudem literarisch ansprechend gestaltet ist: Der manchmal pathetische Erzählstil gefällt vielleicht nicht immer, davon abgesehen gelingt es der Autorin jedoch, sehr schön und unaufdringlich ihre Geschichte einer Entwicklung vom archaischen Griechenland hin zum augusteischen Rom zu präsentieren. Ferner fallen ein reichhaltiges Literaturverzeichnis (161-179), umfassende Orts-, Sach-, Personen und Stellenindices (181-204) sowie erläuternde Abbildungen und Karten positiv ins Gewicht.
Astrid Habenstein