Andreas D. Ebert: Jüdische Hochschullehrer an preußischen Universitäten (1870-1924). Eine quantitative Untersuchung mit biografischen Skizzen, Frankfurt/Main: Mabuse 2008, 673 S., ISBN 978-3-938304-52-5, EUR 68,00
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Um es vorwegzunehmen: ein grundlegendes Buch, unverzichtbar für alle, die sich mit den Universitäten im deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik, mit der Geschichte der deutschen Juden und mit den Wirkungen der Konfessionsgrenzen in der protestantisch dominierten deutschen Gesellschaft jener Zeit beschäftigen.
Der Autor - er ist Direktor einer Klinik in Berlin; die Doktorarbeit, aus der das Buch hervorging, entstand bei Stefi Jersch-Wenzel an der TU Berlin - zeichnet die Berufswege der jüdischen Hochschullehrer an den preußischen Universitäten nach. Um das zu können, erfasst er die Daten für alle Hochschullehrer, differenziert nach Protestanten, Katholiken und Juden sowie nach Statusgruppen und nach Fakultäten, jeweils für Preußen insgesamt und für die einzelnen Universitäten. Wer sich über die protestantische Dominanz oder über die Karrierehemmnisse von Katholiken an den Universitäten informieren will, erhält also ebenfalls statistisch abgesicherte Auskünfte.
Die Studie basiert auf den Erhebungen, die das zuständige preußische Ministerium für die Jahre 1870, 1880, 1885 und 1890 sowie für 1919 und 1924 erstellen ließ. Warum sie veranlasst wurden, ist nicht bekannt. Für die genannten Jahre hat der Autor die Daten aus den Archivbeständen ermittelt, während die Erhebung für 1895/96 nicht im Archiv aufgefunden werden konnte. Dazu liegt jedoch eine Studie von 1901 vor, die einbezogen wird. Die Präsentation und die Auswertung dieses Datenmaterials bildet die Grundlage des Buches. Es erfasst Protestanten, Katholiken, Juden und die wenigen Dissidenten gleichermaßen.
Die zweite Säule des Werkes ist ausschließlich den jüdischen Hochschullehrern gewidmet. Zu allen, die von den Hochschulen als Juden ausgewiesen wurden, und zu denen, für die eine jüdische Herkunft ermittelt werden konnte, werden detaillierte biografische Angaben, z.T. ergänzt um Fotos, zusammengetragen. Sie umfassen, soweit zu ermitteln, auch die Forschungsgebiete der Gelehrten und Veröffentlichungen daraus, Themen von Lehrveranstaltungen, Berufswege in der Hochschule und außerhalb, Blicke in die Familie, und bei denen, deren Leben bis in das nationalsozialistische Deutschland reicht, die Wege in dieser Zeit. Man wird diesen Teil des Werkes ein Gedächtnisbuch für die jüdischen Hochschullehrer in Preußen vor 1933 nennen dürfen.
In einem dritten Teil werden die preußischen Daten mit denen verglichen, die zu Hochschulen in anderen deutschen Ländern verfügbar sind, so dass eingeschätzt werden kann, ob die Entwicklungen in Preußen denen im nichtpreußischen Deutschland entsprechen. Von diesem Datenfundament aus, das es in dieser Weite, in den Details und in der Genauigkeit bislang nicht gab, diskutiert Ebert die bisherigen Deutungen zu der Konzentration deutscher Juden auf akademische Berufe seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vor allem setzt er sich hier mit der Studie Bernhard Breslauers Die Zurücksetzung der Juden an den Universitäten Deutschlands aus dem Jahre 1911, die bislang immer noch das beste Material geboten hat, und mit Shulamit Volkovs stimulierender Deutung der Ursachen für den Erfolg jüdischer Wissenschaftler auseinander.
Dass im protestantischen Wissenschaftstempel deutsche Universität Juden und auch Katholiken einen schweren Stand hatten, wussten schon die Zeitgenossen. Sie (auch die katholischen) hat Notker Hammerstein 1995 in seinem Buch Antisemitismus und deutsche Universitäten 1871-1933 ausführlich zu Wort kommen lassen. Doch erst die statistischen Daten, die schon damals gesammelt wurden und Ebert nun präsentiert, lassen die Steuerungsmechanismen erkennen. Nach dem Selbstverständnis der Institution Universität entschied über den Weg in die Wissenschaft ausschließlich die wissenschaftliche Leistung. Konfessionsoffen war der Weg jedoch nur bis zur Habilitation. Danach griffen Filter, die Protestanten besser durchließen als Katholiken und für Juden am dichtesten blieben. Daran änderte sich im Kaiserreich nichts.
Für die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität hat Ebert zusätzlich den zeitlichen Verlauf der Karrierewege zwischen 1870 und 1890, aufgeschlüsselt nach Fakultäten, untersucht. Danach schafften signifikant weniger Juden diesen Schritt als die protestantische Mehrheit ihrer Kollegen, und bei denen, die Erfolg hatten, dauerte er länger und führte nicht bis zum Gipfel. Ebert kritisiert allerdings plausibel, als Erfolg nur zu werten, wenn das Ordinariat erreicht wurde. Das entsprach zwar den damaligen Vorstellungen, und nicht nur den damaligen, doch gerade in der Medizin, die während der gesamten Untersuchungszeit an den preußischen Universitäten mehr jüdische Hochschullehrer aufwies als die philosophischen und juristischen Fakultäten zusammen, gab es für die Habilitierten neben dem Lehrstuhl zahlreiche Positionen, die Möglichkeiten zu Forschung und Lehre, Ansehen und ein gutes Einkommen boten.
Innerhalb der Hochschule blieben die Aufstiegswege jedoch verengt. Ohne die jüdischen Wissenschaftler hätten die Hochschulen nicht so stark ausgebaut werden können, wie das im Kaiserreich geschehen ist: 1890 stellten Juden in Preußen elf Prozent aller Hochschullehrer, in der Medizin ca. 18 Prozent. Sie waren also "ein integraler Bestandteil des [...] Wissenschaftssystems" geworden, doch es nutzte sie als "habilitierte Reservearmee" (605). Mit Blick auf die Ordinariate änderte sich dies auch in der Weimarer Republik nicht. 1924 waren sie nur zu 4,5 Prozent mit jüdischen Wissenschaftlern besetzt, im späten Kaiserreich waren es ca. 3 Prozent gewesen. Doch bei den Privatdozenten entspannte sich die Lage etwas, da offensichtlich viele von ihnen ein Extraordinariat erreichten. Diese Position hatten 1924 zu ca. 19 Prozent Juden inne, annähernd eine Verdoppelung gegenüber der Zeit vor dem Weltkrieg. Für die protestantischen Privatdozenten verbesserte sich die Lage in der Republik allerdings noch erheblich stärker. Sie haben es ihr nicht gedankt.
Ebert konfrontiert Shulamit Volkovs Deutung, jüdische Gelehrte hätten in hohem Maß ihre wissenschaftlichen Erfolge der Spezialisierung auf neue Forschungsbereiche und ihren beruflichen Erfolg kleinen 'peripheren' Universitäten verdankt, mit seinem Datenmaterial. Für die Hochschulen ist es eindeutig, dass die kleineren keineswegs Juden bessere Berufungschancen boten, und die Spezialisierung deutet er als ein Charakteristikum generell der Privatdozentur. Diese Durststrecke haben möglicherweise jüdische Wissenschaftler länger durchgehalten als andere. Der Autor nennt dies ausdrücklich eine Hypothese, die aus seinen Statistiken weder belegt noch widerlegt werden kann.
Es gehört zu den Vorzügen dieses Buches, dass gesicherte Befunde und Hypothesen sauber getrennt werden. Deshalb nennt der Autor das mehr als 100 Seiten umfassende Schlusskapitel, in dem er sich mit der Forschung auseinandersetzt und eigene Hypothesen formuliert, bescheiden "Ansätze zur Diskussion". Es ist zu hoffen, dass die Forschung dieses Diskussionsangebot aufnimmt, wenn sie sich dem Datenschatz zuwendet, den Ebert aus dem Archiv gehoben und mit vielen weiteren Daten angereichert in diesem Buch der Öffentlichkeit übergibt.
Dieter Langewiesche