Michael Bonner: Jihad in Islamic History. Doctrines and Practice, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2006, 197 S., ISBN 978-0-691-12574-9, GBP 14,95
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Das Thema Djihād beeinflusst die gegenwärtige Wahrnehmung des Islams nicht unerheblich. Djihād, was wörtlich übersetzt Anstrengung bedeutet, allerdings oft als Heiliger Krieg wiedergegeben wird, gehört dabei unbezweifelbar zur islamischen Geschichte und zum islamischen Recht. Zur Verteidigung muslimischen Territoriums wird er von der überwiegenden Mehrheit der Muslime auch heute als legitim empfunden. Doch in Zeiten von düsteren Prognosen über eine weiter zunehmende Gefahr des islamistischen Terrorismus erscheint Djihād manchem westlichen Betrachter als Schlüssel zum Verständnis einer langen Tradition eher aggressiver Kampfeslust im Islam, die über Verteidigung hinausgeht. Zwar wird dem oft Gewalt im Namen des Christentums wie z. B. die Kreuzzüge entgegengehalten, doch bleibt die Feststellung, in einer religiös scheinbar weitgehend befriedeten Welt habe der Islam ein spezielles Drohpotential, zumal Konflikte in Indien oder auf Sri Lanka kaum als hinduistisch oder buddhistisch legitimierte Gewalt thematisiert werden. Gesamtdarstellungen zu diesem Thema, die sowohl historische Tiefe wie auch räumliche Breite enthalten, sind daher wünschenswert und wichtig.
Michael Bonner unternimmt in vorliegendem Werk "Jihad in Islamic History" den Versuch einer solchen Darstellung, die mit Belegstellen im Koran und im Hadith (Prophetenworte) beginnt, bis in die Gegenwart reicht und dabei Beispiele aus Marokko, Syrien und Zentralasien u.a. aufgreift. Das Buch wurde zunächst auf Französisch unter dem Titel "Le jihad, origines, interprétations, combats" veröffentlicht, doch bezieht sich die Rezension auf die englische Übersetzung von 2006, da diese wahrscheinlich einen größeren Leserkreis erreichen wird.
In seiner Einleitung geht Bonner auf das Verhältnis von Djihād und bellum iustum in der europäischen Tradition nach. Als Hauptunterschied macht er dabei das Fehlen eines expliziten Bezugs zur Gerechtigkeit in den Abhandlungen der muslimischen Juristen zum Djihād aus, da ein ihnen Krieg, der Anstrengung für Gott war, auch als gerecht galt. Als grundlegend für seine Untersuchung erachtet es Bonner, von Wurzeln des Djihād im Plural zu sprechen, um die Herleitung des Konzepts nicht auf Koran und Hadit zu beschränken und damit Neuinterpretation in der islamischen Geschichte zu ihrem Recht kommen zu lassen.
Im 2. Kapitel wendet sich Bonner dem koranischen Konzept von Djihād zu, wobei er hervorhebt, dass sich vor allem die 8. und 9. Sure mit dem Thema befassen und sich ansonsten nur vereinzelte Bezüge finden lassen. Dabei steht das Wort Djihād, das 41 Mal im Koran vorkommt, nur zehnmal in Zusammenhang mit Kampf, woraus sich der Kleine Djihād gegen militärische Gegner abgeleitet. Alles andere lässt sich eher mit dem in Verbindung bringen, was später Großer Djihād genannt wurde, nämlich der Anstrengung zur Reinigung der eigenen Seele. Doch auch die Textstellen mit direktem Bezug zum Kampf ergeben keine einheitliche Doktrin. Das Spektrum reicht von Geduld bei Verbreitung des Glaubens bei Juden und Christen und dem Aufruf zur Verteidigung, über die Erlaubnis zum Angriff hin zur Aufforderung zum Kampf, bis die Gegner die Kopfsteuer für nicht-muslimische Untertanen (Djizya) entrichten. Bonner kritisiert die Tendenz westlicher wie auch muslimischer Autoren, diese Koranstellen in die Lebensgeschichte des Propheten einzubetten, und so den zeitlich späteren eher offensiven Elementen den Vorrang zu geben. Unter vorsichtiger Anlehnung an eine umstrittene These von C. Décobert plädiert er dafür, das Thema Kampf als Bemühen für ein gottgefälliges Leben im Zusammenhang mit dem Aufruf zum Almosengeben zu sehen, da Wohltätigkeit und Kampf im Koran verklammerte Themen seien. Diese Sichtweise erlaube es zugleich, die Aussagen zum Kampf nicht nur an das meist außerkoranische Narrativ des Prophetenlebens und seiner kriegerischen Phasen zu binden, sondern in den innerkoranischen Kontext gottgefälliger Taten einzubetten.
Die Kapitel 3 und 4 zu Djihād im Hadith und zu seiner Bedeutung während der frühislamischen Eroberung bestehen jeweils fast zur Hälfte aus einer Wiedergabe der Debatte um die Echtheit der Prophetenbiographie (Sīra), den Berichten über seine Feldzüge und dem Zustandekommen der Hadithsammlungen, so dass der Informationsgehalt zum jeweiligen Djihād-Verständnis eher gering bleibt. Auch im 5. Kapitel zum Thema Martyrium dominieren Nebenschauplätze das Geschehen, wie zum Beispiel Gegenüberstellungen mit alten christlichen Märtyrern, die in Passivität starben. In Kapitel 6 hebt er hervor, dass Christen und Juden in den Städten nach den Eroberungen keiner Androhung von Gewalt ausgesetzt waren.
Das folgende 7. Kapitel, das den Titel "Embatteled Scholars" trägt, stellt einen Hauptfokus des Werkes dar und geht der Frage nach, inwiefern die Religionsgelehrten in den verschiedenen Grenzregionen des muslimisch beherrschten Territoriums selbst aktiv an militärischen Unternehmungen teilnahmen. "This consisted largely of preaching and exhorting, but there is also evidence for men of learning at the head of large units of ghazis (fighters for the faith), units that do not seem to have been organized by the Samanid state." (114) Bonner unterstreicht, dass die Teilnahme der Religionsgelehrten eine Konstante der islamischen Geschichte ist, die es nicht nur bei den Samaniden Ende des 9. Jahrhundert in Zentralasien gab sondern auch an der syrisch-byzantinischen Grenze oder in Spanien. Oft waren es jedoch nur eine Handvoll Gelehrter, die wirklich zur Waffe griffen und die Frage nach ihrer realen Kampfkraft oder purem Symbolgehalt bleibt offen. Schließlich setzte sich jedoch die auf Imām Schāfi'ī (gestorben 820) zurückgehende Theorie der fard alā l-kifāya durch, was bedeutet, dass fast immer die professionelle Armee des muslimischen Herrschers ausreiche, die Grenzen zu sichern und der Djihādpflicht der muslimischen Umma als ganzer genüge zu tun. Immerhin aber gab der kämpfende Gelehrte wichtige Impulse für die Entwicklung des Ghāzī-Gedankens, das Ideal eines frommen Grenzkämpfers, der sich freiwillig dem kämpferischen Leben widmet. In den Ausführungen Bonners wird auch die Rolle der Rechtsgelehrten bei einer Ausformulierung des detaillierten islamischen Kriegsrechts (siyār) deutlich, das in Koran und Hadith eher schemenhaft erscheint.
In Kapitel 8 streift der Autor zunächst kurz die nicht-sunnitischen Djihādkonzepte und führt aus, dass sich die schiitische Lehre vom Djihād an die Existenz eines Imāms knüpfte, dieser jedoch nach 873 nicht mehr greifbar war und somit auch der Djihād für die 12-er Schiiten nicht mehr praktikabel war, während die Kharigiten bei der Djihādpflicht eines jeden Muslims blieben. In ähnlicher Weise versuchten die Kalifen Hārūn ar-Rāschīd (786-809) und al-Muatasim (833-842) zu einer Konzeption zurückzukehren, bei der sich ein Großteil der Muslime verknüpft mit dem persönlichen Kampfeinsatz des Kalifen als Ghāzī-Kalif am Kampf beteiligen sollte. Die Kreuzzugszeit gab dem Djihād zur Verteidigung muslimischen Territoriums eine ganz neue Relevanz. Saladins (gestorben 1193) Erfolg bei der Zurückschlagung der Kreuzritter lag dabei in den Worten des Autors vor allem in einer speziellen Allianz: "At the heart of this effort was the alliance between the ghazi-sultans and the fighting scholars." (142) Hier fokussiert Bonner allerdings sehr auf die schon erwähnte Tradition einer militärischen Beteiligung der Gelehrten, ohne zu erwähnen, dass sich umgekehrt ihre Befürwortung des Kampf unter Führung eines Sultans nicht ohne die Anerkennung ihrer nicht-militärischen Forderungen bewerkstelligen ließ. So verlieh Saladins Wegbereiter Nūr ad-Dīn (gestorben 1174) der Djihād-Propaganda erst dadurch Glaubwürdigkeit, dass er stets öffentlich das Ritualgebet vollzog, Tanz- und Singspiele verbot, und die nicht legitimierten Sonderzölle aufhob, was E. Sivan in "L'islam et la Croisade" ausführlich dargelegt hat. Zudem hätte sich ein Rückbezug zum Korankapitel angeboten, in welchem Bonner den engen Zusammenhang von Djihād und anderen Glaubenspflichten besonders hervorgehoben hatte.
Im 9. Kapitel, das den Brückenschlag in die Gegenwart beinhaltet, blickt Bonner zunächst auf die antikolonialen Djihād-Bewegungen in Algerien, Ägypten und dem Kaukasus und stellt dem den indischen Gelehrten Sayyid Ahmad Khan gegenüber, der den Djihād nur als legitim empfand, wenn die herrschende Macht Muslime von ihrer konkreten Glaubenspraxis abhalten wolle. Für die jüngste Vergangenheit skizziert Bonner zwei gegenläufige Tendenzen. Eine Strömung versucht den Djihād als rein defensiv zu erachten, während die andere eher islamistische Tendenz in der weltweiten Dominanz nicht-islamischer Herrscher eine so große Gefahr sieht, dass sogar der einzelne Muslim wieder die Pflicht habe, zu kämpfen. Bonner grenzt letzteres aber strikt vom Ghāzītum ab, da beim modernen Djihād weder die Vorgaben aus dem Recht eine Rolle spielten, die z. B. das Töten von Nicht-Kombattanten verbieten, noch das Ideal von Eroberung und Beute existiert, modern gesagt irgendeinen erreichbar scheinender Nutzen aus dem Kampf in Aussicht steht. Es wäre hier aber zu fragen, ob diese Einschätzung nach den Anschlägen von Madrid noch gilt, die nach einhelliger Meinung das Wahlergebnis bei den Parlamentswahlen kurz darauf beeinflusst haben.
Den Einfluss der westlichen Lebensweise und des Individualismus auf den gewaltbereiten islamischen Fundamentalismus wie O. Roy ihn in "Der Islamische Weg nach Westen: Globalisierung, Entwurzelung und Radikalisierung" darstellt oder die politische und militärische Hilfe der US-Außenpolitik für Vorläufer von al-Qaida in Pakistan und Afghanistan, die R. Bonney in "Jihād: from Qur'an to Bin Laden" hervorhebt, thematisiert Bonner nicht, womit er den modernen Djihād durchweg im islamischen Kontext belässt.
Bonners Buch bietet einen guten Überblick über die Geschichte des Djihāds und seine verschiedenen Ausprägungen in den islamischen Grenzgesellschaften. Zuweilen erscheint die Rolle des "Embatteled Scholars" etwas überbetont und in den ersten Kapiteln sind die Ausflüge in Geschichte der Islamwissenschaft und Quellenkritik bei einem Gesamtumfang des Werkes nur 174 Textseiten zu ausführlich geraten. Ein inhaltlicher Fehler unterläuft ihm, wenn er dem Juristen as-Sulāmī (gestorben 1106) die Beobachtung zuschreibt, die Reconquista in Spanien, die Rückeroberung Siziliens und der erste Kreuzzug gehörten in ein umfassendes Programm christlicher Vorstöße auf islamisches Territorium. [139] Diese Einschätzung geht vielmehr auf den Historiker Ibn Athir (gestorben 1233) zurück. [Vgl.: Tārīḫ al-kāmil Teil X, Band 5, Kairo 1873, 101]
In den Ausführungen zum heutigen Djihādverständnis fehlt aber neben der summarischen Erwähnung der defensiv eingestellten Rechtsgelehrten zumindest eine konkrete antifundamentalistische Stimme, um ein abgerundetes Bild der heutigen Stimmung zu zeichnen. Er hätte z.B. Waris Mazharī erwähnen können, der abstreitet, das Bin Laden einen Djihād proklamieren dürfe und zudem kritisiert, dass moderne Djihādisten den Islam oft auf Rituale reduzierten und kaum Wert auf gegenseitige Solidarität legten. So hätte auch Bonners sehr überzeugender Schlusssatz, dass islamische Gesellschaften einen Weg finden müssten, Gegenseitigkeit (reciprocity) und Belohung für heldenhafte individuelle Anstrengungen auszubalanzieren, mehr Verankerung in gegenwärtigen Debatten erhalten.
Thomas Würtz