Ernst Schütz: Die Gesandtschaft Großbritanniens am Immerwährenden Reichstag zu Regensburg und am kur-(pfalz-)bayerischen Hof zu München 1683-1806 (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte; Bd. 154), München: C.H.Beck 2007, LVII + 367 S., ISBN 978-3-406-10749-8, EUR 32,00
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Bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts gab es in Deutschland eine scheinbar erfolgreiche 'Exzellenzinitiative': An den reichsständischen Höfen fange es an, "Mode zu werden, dass man den Gesandten grosser Höfe von der zweyten Claß die Excellenz bewilligt". Dies war, wie Johann Jakob Moser berichtet, nur eine "freywillige Höflickeit" (182). Diese Neuerung führte aber in kurzer Zeit dazu, dass die altfürstlichen Häuser aus Gründen der Parität mit den Kurfürsten für ihre Gesandten auch den Exzellenztitel begehrten, die neufürstlichen Häuser Parität mit den altfürstlichen verlangten und auch die ausländischen Gesandten am Reichstag eine "Aufbesserung ihres Zeremoniells" durchsetzen wollten (184f.). Schon bald wurde gemeldet: "Your post at R[atisbon] is full of ceremony. You cannot spit out of the window without offending the head or paraphernalia of an Excellence" (252). Doch während die "englische Excellency nur für Botschafter im Rang eines Ambassadeurs gebräuchlich" war, wurde die 'Exzellenz' in Deutschland nun so "häufig wie Ihre Gnaden gebraucht, 'which often falls to the share of a secretary'" (273). Immer weiteren diplomatischen Bediensteten wurde die 'Exzellenz' zugebilligt und bald wusste niemand mehr, was damit gemeint war. Den Verlauf dieser deutschen 'Exzellenzinitiative' schildert die 2004 in Eichstätt angenommene interessante Dissertation von Ernst Schütz, die sich den diplomatischen Vertretungen Londons am Regensburger Reichstag und am kurfürstlichen Hof in München widmet.
Die Arbeit gliedert sich neben einer Einführung in drei große Bereiche: "B. Britische Gesandtschaftstätigkeit in Regensburg und München 1683 bis 1806", "C. Organisationsweise der Gesandtschaft", "D. Die Gesandten und ihr Wirkungskreis - perzeptionelle Aspekte der Gesandtschaft". Es folgt abschließend "E. Synthese: Versuch einer abschließenden Bewertung der britischen Gesandtschaft in Regensburg und München" sowie ein neunteiliger Anhang aus Verzeichnissen und Quellen. Methodisch orientiert sich Schütz am "Konzept der hermeneutisch orientierten historischen Perzeptionsforschung" (8). Ziel der Arbeit ist es, der Vielschichtigkeit einer diplomatischen Mission am Beispiel der britischen Gesandtschaft in Regensburg und München im 17. und 18. Jahrhundert so weit wie möglich gerecht zu werden (17).
Ernst Schütz sieht den Reichstag dabei wie Karl Härter als "zentralen Ort im Reich", als "europäischen Kommunikationsknotenpunkt" und wie Walter Fürnrohr als "Kontrollinstrument für den mitteleuropäischen Frieden" (4f., 200, 276). Ähnlich sahen es auch die Zeitgenossen. Der englische Gesandte Hugh Hughes bezeichnete den Reichstag 1693 als "die allgemeinste und kontinuierlichste Versammlung", die mit größter Leichtigkeit einen Blick über ganz Europa erlaube (37).
Der Titel der Arbeit ist etwas irritierend, da Großbritannien erst 1707 durch den Zusammenschluss von England, Wales und Schottland entstand und die Personalunion der diplomatischen Vertretungen in Regensburg und München erst 1766 eingeführt wurde. Darüber hinaus fällt eine ganze Reihe von Unstimmigkeiten auf. Sämtlichen Erkenntnissen über die frühneuzeitliche Briefkultur widerspricht die Vermutung des Verfassers, "die Privatschreiben waren meist an Kollegen auf anderen diplomatischen Posten gerichtet, denen gegenüber sich die Verfasser aufgrund ähnlicher Lebenssituationen und -erfahrungen leichter öffnen konnten. Darüber hinaus war diese Form der Korrespondenz Dritten nicht einsehbar und blieb ohne politische Konsequenzen" (15). Auch gab es 1733 bis 1738 ebenso wenig einen polnischen Erbfolgekrieg (72) wie im 18. Jahrhundert eine "bayerische Souveränität" (98). Ob es angemessen ist, von "einem Anschluss Bayerns an den Norddeutschen Bund 1871" zu sprechen (180), sei dahingestellt.
Der letzte französische Vertreter am Reichstag, durch den Napoleon am 1. August 1806 erklären ließ, dass er die Verfassung des Reiches nicht länger anerkenne, Theobald Bacher, war keineswegs "Gesandter" (129, 131, 294), sondern Chargé d'affaires. Durch diesen im Vergleich zu früheren französischen Vertretungen niederen Rang drückte Napoleon seine Missachtung aus, während er gleichzeitig am selben Ort einen Gesandten, jedoch bei seinem Verbündeten, dem Reichserzkanzler, akkreditiert hatte. Das Reichsstädtische Kollegium war nicht gemeinsam durch eine Kuriatstimme vertreten (167), vielmehr verfügte jede Reichsstadt über eine eigene Stimme.
Vielleicht hätte sich der Verfasser, statt stichprobenartigen Vergleichen mit der Reichstags- und Bayernwahrnehmung russischer, niederländischer, savoyischer und österreichischer Diplomaten in den Archiven von Moskau, Den Haag, Turin und Wien (16) nachzugehen, intensiver mit dem Reichstag als dem wesentlichen Untersuchungsgegenstand seiner Darstellung beschäftigen sollen. Die Bezeichnung des deutschen Jus publicum als "römisches Reichsrecht" (254) wirkt nicht sehr orientiert.
Etwas überraschend ist folgendes Ergebnis: "Die durchschnittlich kurze Beschickungsdauer dieser Missionen spricht für die Ausbildungszwecke Regensburgs und Münchens innerhalb des britischen diplomatischen Dienstes. Nach etwa zwei, längstens drei Jahren Dienstzeit waren die jungen Männer gerüstet, zu neuen Ufern aufzubrechen" (145). Insofern hatte der Reichstagsposten eine "Einstiegsfunktion" (146, 291f.). Ähnlich handhabten es auch die deutschen Höfe und die anderen auswärtigen Mächte. Allerdings gingen sie dabei etwas vorsichtiger vor und ließen junge Männer im Anschluss an ihr Studium in ihren Gesandtschaften hospitieren. Diese Praktikanten konnten je nach Rang und Stand mitunter auch als Gesandtschaftskavaliere oder -sekretäre fungieren. Der Reichstag war wie die Reichsinstitutionen in Wetzlar und Wien sowie gegebenenfalls auch die Wahltage in Frankfurt ein fester Bestandteil der reichsrechtlichen und -politischen Peregrinatio academica. Man kam jedoch nicht auf den Gedanken, diplomatisch und reichsrechtlich völlig unerfahrenen Männern die Verantwortung für diesen Posten reichspolitischer und diplomatischer Verdichtung zu übertragen. Es scheint, dass die abweichende erst englische und später britische Gepflogenheit dafür ursächlich ist, dass die in der Regel der Landessprache unkundigen Gesandten Londons sich fast durchweg als schlecht informiert zeigten und die in ihren Instruktionen formulierten Ziele so gut wie nie erreichten. Da der Verfasser sich hauptsächlich auf die im Londoner Archiv liegenden, in der Regel uniformierten Berichte der Vertretungen in München und Regensburg stützt, wirkt sich dieser Mangel an Kenntnissen zuweilen auf seine Darstellung aus. Insofern gelingt es der Arbeit in der Tat, "einen kleinen Beitrag zur Relativierung der 'Reichseuphorie' der vergangenen Jahre" zu leisten (293).
Nichtsdestoweniger offenbart die Dissertation von Schütz eine ganze Reihe wissenswerter Erkenntnisse: Das Hauptinteresse, dass London mit seiner Vertretung am Reichstag und in München verband, war, noch vor der Verteidigung des Protestantismus im Reich, immer die Erhaltung der 'Balance of Power' in Europa. Vor Beginn und nach dem Ende des diplomatischen Engagements Londons am Reichstag dienten Mitglieder des katholischen Regensburger Schottenklosters als Informanten aus Regensburg (25): 1673 bis 1683 der Abt Placidus Fleming und nach der Flucht des letzten britischen Gesandten Francis Drake 1804 Pater Maurus [Alexander] Horn (129). Durchweg interessant sind die Ausführungen zu den Konsequenzen, welche die Personalunionen mit den Niederlanden bzw. mit Hannover für die süddeutsche Repräsentanz Londons hatten. Darüber hinaus zeigt Schütz deutlich, dass aus der Perspektive Londons, trotz Personalunion mit einem Kurfürstentum, ähnlich wie aus der Pariser Sicht, das Reich in seinen letzten Dekaden keine relevante Größe im europäischen System mehr war und als solches auch zunehmend weniger interessierte. Man hielt es offenbar nicht mehr der Mühe wert, das Reich zu verstehen. Dies sagt jedoch noch nichts über die Bedeutung des Reiches für die Deutschen aus. Eindrucksvoll führt die Arbeit auch den Bedeutungsverlust des Zeremoniells im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts vor. Am Reichstag, häufiger jedoch am Münchner Hof, wurde immer wieder das "pêle-mêle", die zeremoniell ungeordnete Zusammenkunft, vereinbart, weil den Beteiligten das Zeremoniell schlicht zu umständlich und zu zeitraubend geworden war (177-185). Das hinderte die britischen Vertreter jedoch nicht daran, sich gleichzeitig aktiv an der 'Exzellenzinitiative' zu beteiligen.
Wolfgang Burgdorf