Rezension über:

Winston S. Churchill: Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi, Frankfurt/Main: Eichborn Verlag 2008, 480 S., ISBN 978-3-8218-4765-8, EUR 34,00
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Rezension von:
Wolfgang G. Schwanitz
Browns Mills, NJ
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang G. Schwanitz: Rezension von: Winston S. Churchill: Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi, Frankfurt/Main: Eichborn Verlag 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 1 [15.01.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/01/15500.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 9 (2009), Nr. 1

Winston S. Churchill: Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi

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Winston Churchill war jung, abenteuerlustig und begabt als er "The River War" über die Rückeroberung des Sudans schrieb. Nachdem er an der Hauptschlacht vom 2. September 1898 bei Omdurman teilgenommen hatte, edierte er es im Folgejahr in London. Erstmals liegt es auf jetzt auf Deutsch vor, vorzüglich vom Verlag und Schweitzer Georg Brunold besorgt. Drei Punkte sind es für mich, die das Werk zum Leseereignis erheben. Bevor sie betont werden, sei zunächst in zwei Abschnitten kurz die historische Sachlage vorgestellt.

Churchill offenbart schon als Mittzwanziger eine enorme Reife. Packend erzählt, erhellte er den Weg Muhammad Ahmads. Dieser Sudanese, der sich als Spross aus dem Clan des Propheten Muhammad auswies, stieg zum Rebell gegen die seit 1819 ständig erweiterte osmanisch-ägyptische Herrschaft im Sudan auf, hinter der schließlich Briten in Gestalt des Provinzgouverneurs Charles G. Gordon standen. Da erklärte sich Muhammad Ahmad zum erwarteten Erlöser, al-Mahdi al-Muntazar, der 1881 an der Seite seines Getreuen Abdallahi Ibn Muhammad den Jihad gegen die Osmanen ausrief, ihnen Tribut verwehrte und mit seinen Ansar (Churchill nannte sie "Derwische", ihre Truppen Jihadiyya) am 26. Januar 1885 Khartum einnahm. Der Sudan war unter dem Banner des Islam fremdenfrei.

Der Christ Gordon, der gegen Sudans Sklavenhändler vorging, aber bald die Garnisionen nach Kairiner und Londoner Vorgaben evakuieren sollte, starb an jenem Tag in Khartum: in "religiöser Raserei" stürzten sich die Leute des Mahdis auf ihn, der es gar verschmäht hat, seinen Revolver zu ziehen. "Sein Körper fiel die Treppe hinunter und blieb an ihrem Fuß zusammengekrümmt liegen. Dort wurde er enthauptet. Der Kopf wurde zum Mahdi gebracht." Der Märtyrertod habe laut Churchill die Briten gegen diese "Flut der Barbarei" empört und ein wichtiges Motiv der Rückeroberung unter Horatio H. Kitchener geliefert. Der Mahdi, nun Herrscher im Sudan, verstarb im selben Jahr. Nach einigen Wirren trat an seine Stelle als Kalif 1891 Abdullahi. Dort gab es also 13 Jahre den islamischen Staat.

Nun zur technischen, philosophischen und deutschen Seite der Geschichte. Wie Churchill es darstellt, wurde der Sudan mit den geballten Waffen der Moderne zurückerobert. Von deren Feuerkraft hatte Kalif Abudullahi keinen Schimmer. Das Britische Empire ließ die Muskeln spielen und setzte auch indische Soldaten ein. Kanonenboote dampften den Nil herauf (daher der Originaltitel "The River War"), indes neue Eisenbahnen den Rückhalt sicherten. Maxim-Maschinengewehre und Artillerie mähten in fünf Stunden der Schlacht von Omdurman fast 10.000 Jihadis nieder, 32 pro Minute, bei 5.000 Gefangenen und nur 500 Eigenverlusten. Tele- und Heliograph besorgten die Nachrichten. Die Kriegskorrespondenten reisten mit den Truppen, scheuten sich aber nicht, Unsinn zu melden. Etwa, dass den Verletzten geholfen wurde. Churchill zeigte das Gegenteil: massenhaft und tagelang verreckten sie in der brütenden Hitze jenes Schlachtfeldes. Das Grab des Mahdis wurde entweiht und sein Kopf nach Kairo gesandt.

Churchills Philosophie fordert zum Streit heraus. Mit der Mauser erschoss er drei Jihadis. Wie einfach war es, Menschen zu töten. Zwar dachte er in der Schlacht nicht weiter nach. Doch entdeckt der Leser hier eine Quelle seiner Unruhe. Ob es richtig war, Sudan wieder zu erobern, wie man dies in den Lauf der Welt einordnen und in Zukunft betrachten mag. Dabei kann er sich in seine Gegner versetzen, die es nach Freiheit von Fremden drängte. Der Mahdi sei ein Patriot. Seine Kämpfer wären oft geschickt und mutig gewesen. Doch liege der Sudan mit drei Millionen Einwohnern darnieder. Krieg, Sklaverei, Tyrannei und diese "Mischlingsrasse aus Negern und Arabern" mache dessen Geschichte auf niedriger Entwicklungsstufe zum Legendenchaos aus Zwietracht, Elend, Grausamkeit und Mangel.

Daraus resultiere nun die zivilisatorische Mission der Völker Europas, auf den Spuren der römischen Triumphe, mit ihrem globalen Eroberungsdrange. Was könne ehrenvoller sein, als Sudans Stämme der Barbarei samt Sklaverei zu entreißen? Gewiss, der Imperialismus sei kostspielig und die menschenfreundlichen Invasoren träfen auf erbitterten Widerstand. Noble Motive hier und religiöser Fanatismus dort? Churchill stellt da Gordon und Mahdi gegenüber. Beide wären Neuerer gewesen: der Araber eine afrikanische Nachbildung des Engländers und dieser ein Araber auf zivilisierter Entwicklungsstufe. Aber Churchill irrt, wenn er meint, dass es bis 1881 noch keine fanatische Bewegung im Sudan gegeben hat.

Dies führt zu deutschen Facetten. Baron Max von Oppenheim war 1893 vom Mittelmeer zum Persischen Golf gereist. Er bemerkte, was im Sudan geschah. Als Diplomat in Kairo seit Mitte 1896, informierte er zwei Jahre darauf Berlin über den Panislamismus, zumal Kaiser Wilhelm II. im Oktober 1898 ins Osmanenreich reiste als der Sudan zurückerobert war. Beide erkannten Potenzen im Islamismus wie die Jihadrevolte im Sudan. Der Kaiser dachte, dass eine solche Bewegung Indien revolutionieren könnte: gehe es verloren, sinke England zur drittgradigen Macht herab. Das baute der Baron aus, als er dem Kaiser 1898 den Panislamismus erläuterte: in Britisch-Indien, Afrika und Russisch-Asien beweise der Islam seine Lebenskraft gegen Europas Kolonialkurs. Der Mahdi habe den Sudan bewegt und er könne stets wieder erscheinen. Die Stämme hätten einen wahnsinnigen Fanatismus entfacht. Rufe Istanbuls Sultan den Jihad aus, wären Folgen unabsehbar. Der Sultan habe vor Jahrzehnten eine panislamische Bewegung gestartet: Koran, Madrassas, Gelehrte und Emissäre aus und in allen islamischen Räumen. Fazit: mag der Sultan als Gegner für eine Grossmacht direkt ungefährlich sein, so wäre er im Kampfe mit Staaten, die Muslime als ihre Untertanen im kolonialen Hinterland haben, ein wertvoller Bundesgenosse in Berlin.

So fiel des Kaisers Welt- und Islampolitik aus. Sie führte zum deutsch-osmanischen Jihad im Ersten Weltkrieg und zum deutsch-islamischen Pakt im Zweiten Weltkrieg. Dies war ein Jahrhundert des globalen Jihads. Und Verteidigungsminister Kitcheners Tod 1916 ist auf Deutsche zurückgeführt worden. Ein U-Boot habe die Mine gelegt, durch die er samt Schiff unterging. Oppenheims Stellvertreter Karl Friedrich Schabinger spekulierte, ob die Information über jenen Dampfer aus Oppenheims "indischen Kreisen" gekommen wäre. [1]

Also der osmanische Sultan hat den Islam im 19. Jahrhundert panislamisiert. Der Mahdi hat ihn im Sudan jihadisiert. Oppenheim hat ihn mit den Osmanen im Ersten Weltkrieg euro-islamisiert und im selektiven Teiljihad gegen die Berliner Rivalen globalisiert. Der Mahdi setzte ein Fanal, das Churchill ausgelotet hat. Reiste er heute im Sudan, so geriete der außereuropäische Teil seines Glaubens an zivilisatorischen Fortschritt ins Wanken.

Anmerkung:

[1] http://www.trafoberlin.de/pdf-dateien/Oppenheims%20Jihad%20Dokumente%20WGS%20%20120207.pdf [PDF-Dokument]

Wolfgang G. Schwanitz