Michael Rathmann (Hg.): Wahrnehmung und Erfassung geographischer Räume in der Antike, Mainz: Philipp von Zabern 2007, 291 S., 16 Farbtafeln, 90 s/w-Abb., ISBN 978-3-8053-3749-6, EUR 69,90
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Die Veröffentlichung von Tages- und Kolloquiumsbänden birgt, wie man weiß, manche Risiken in sich. So kommt es beispielsweise darauf an, eine sowohl inhaltliche als auch methodische Kohärenz zwischen den einzelnen Beiträgen herzustellen (wenn man nicht gerade bewusst darauf abzielt, die thematische Breite zu einer Tugend zu deklarieren). Mit bloßer Addition oder Kumulation einzelner - und sei es auch noch so verdienstvoller - Aufsätze ist es nicht getan, sollte die viel beschworene Interdisziplinarität mehr sein als ein reines, routinemäßig verwendetes Schlagwort. Außerdem darf man die Erwartung hegen, dass beim Zusammentreffen vieler Spezialisten auch neue Erkenntnisse präsentiert werden
Legt man diese Maßstäbe an den hier vorzustellenden Band an, so kann man erfreut registrieren, dass es sich um ein rundum gelungenes Werk handelt. Dokumentiert werden insgesamt 17 Vorträge, die - mit zwei Ausnahmen - im Februar 2005 von kompetenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf der internationalen Tagung "Raumwahrnehmung und Raumerfassung in der Antike" in Bonn gehalten wurden. Drei Sektionen dienten dabei als die Themenstellung flankierende und strukturierende Elemente. Erstens ging es um die "Wahrnehmung und Erfassung geographischer Räume in einzelnen Kulturlandschaften" mit den (allerdings nicht gleichermaßen aussagekräftigen) Fallbeispielen archaisches Griechenland, Persien, Karthago, alttestamentliches Palästina. Die zweite Rubrik mit dem wenig aussagekräftigen Titel "Historische Entwicklungen und wissenschaftlicher Fortschritt" liefert Einzelstudien zu prominenten und richtungsweisenden antiken Geographen sowie Darlegungen zur antiken Kartographie. Die dritte Sektion "Praktische Aspekte der Raumwahrnehmung und Raumerfassung" widmete sich den Römerstraßen, den Itinerarien, dem Reisen, der Tabula Peutingeriana und (in dieser Abteilung etwas deplatziert, obgleich inhaltlich außerordentlich instruktiv) der Raumwahrnehmung in der spätantiken Hagiographie und Historiographie.
Sowohl für sich als auch in der Relation zu den anderen Artikeln stellen die Beiträge dieses Bandes einen wichtigen Beitrag zur Disziplin der Historischen Geographie der Antike dar. Fragen der "Raumwahrnehmung und Raumerfassung" sind in den vergangenen Jahren gerade in der Alten Geschichte vielfältig und kontrovers diskutiert worden - und dies nicht ohne Grund, handelt es sich doch um Probleme, die einerseits geeignet sind, mentale und kognitive Strukturen in antiken Gesellschaftsformationen schärfer zu erfassen, und die andererseits als historische Folien für die Erfassung und Bewertung von vergleichbaren Phänomenen in der Gegenwart dienen können (wobei nicht nur an die Geopolitik zu denken ist). "Raum" ist bekanntlich keine statische, objektive Größe, sondern abhängig von der Art und Weise der Wahrnehmung vonseiten der Individuen und Gruppen.
Vor dem Hintergrund aktueller Forschungsdiskussionen dürfen sicher jene Beiträge besondere Aufmerksamkeit finden, die sich mit der antiken Kartographie befassen. Hier schwelt seit einiger Zeit eine intensiv geführte Debatte, die namentlich Kai Brodersen in seiner Monographie Terra incognita. Studien zur römischen Raumerfassung (1995; 2. Auflage 2003) angestoßen hatte. In einem bemerkenswerten Aufsatz argumentiert Christian Hänger (bereits hervorgetreten mit der Studie Die Welt im Kopf. Raumbilder und Strategie im römischen Kaiserreich (2001) in einer Neuinterpretation der Weltkarte des Agrippa, es habe sich "eindeutig" um eine Karte im modernen Sinn gehandelt. Dass es in der Antike überhaupt solche maßstäblichen Karten gegeben habe, ist in der Forschung vehement bestritten worden. Und auch nach der Lektüre des anregenden und kenntnisreichen Beitrages von Hänger sind Restzweifel weiterhin erlaubt. Lesenswert sind in diesem Kontext weiterhin die Beiträge von Guido Rosada zur Forma Urbis Romae und von Richard Talbert, einem ausgewiesenen Kenner der antiken Kartographie, der die Tabula Peutingeriana im Hinblick auf die Gestaltung der physischen Landschaft untersucht.
Dankbar dürfen die Leser auch für die reichhaltige Ausstattung des Bandes mit Karten, Plänen und Skizzen sein, die ein hohes Maß an Anschaulichkeit bewirken. Abgerundet wird das verdienstvolle und als Tagungs-Dokumentation vorbildliche Werk durch ein ausführliches, wenn auch etwas selektives Literaturverzeichnis, sowie ein differenziertes Register der diskutierten Quellenstellen.
Holger Sonnabend