Lukas Thommen: Umweltgeschichte der Antike (= Beck'sche Reihe; 1942), München: C.H.Beck 2009, 188 S., ISBN 978-3-406-59197-6, EUR 12,95
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Seit gut 30 Jahren nehmen ökologische Themen in den archäologischen und althistorischen Forschungen einen zunehmend prominenten Platz ein. Protagonisten des Genres der Historischen Ökologie wie der 1989 verstorbene Oxforder Historiker Russell Meiggs mit seinem Klassiker "Trees and Timber in the Ancient Mediterranean World" (1982) fanden inzwischen viele Epigonen und Nachahmer. Nicht immer vermochten diese dabei der Versuchung zu widerstehen, die Antike für moderne Umweltdiskussionen zu instrumentalisieren. In manchen Publikationen wurden Griechen und Römern daher mit Problemen konfrontiert, mit denen sie realiter nichts zu tun hatten. So hält sich beispielsweise immer noch der Mythos von der Verantwortlichkeit der Antike für extensive Rodungen, die zu der bis heute weite Teile der mediterranen Welt prägenden Waldarmut geführt hätte. Jedoch sind die verkarsteten Hügel und Gebirge der Mittelmeerregionen primär ein Produkt mittelalterlicher und vor allem neuzeitlicher Eingriffe des Menschen in das natürliche Ökosystem gewesen (auch wenn natürlich nicht in Abrede gestellt werden kann, dass der Bedarf an Holz für die Belange von Bergbau und Schifffahrt in der Antike nicht eben gering gewesen ist).
Das Buch von Lukas Thommen besticht gegenüber solchen zwar populären, jedoch nicht in jedem Fall sachdienlichen Sichtweisen durch seine Seriosität und methodische Sauberkeit. Uneingeschränkte Zustimmung gebührt seiner einleitenden Feststellung, dass ein "Messen antiker Umweltauffassungen bzw. antiken Umweltverhaltens an modernen Maßstäben" problematisch und mithin unzulässig ist (11). Bescheiden formuliert Thommen im Vorwort (9) das Ziel seiner Darstellung, das darin besteht, "Grundlagen für die historische Umweltforschung im Bereich der Antike zu vermitteln und damit auch als Ausgangspunkt für die weitere Beschäftigung mit dem Thema zu dienen." Akkurat wird einleitend auch die Begrifflichkeit geklärt und dabei der vielschichtige Terminus "Umwelt" sowohl in seinen antiken als auch modernen Bezügen kontextualisiert. Grundsätzlich geht es bei antiker Umweltgeschichte aber, sofern man sich dem Thema mit den Erkenntnisinteressen der Geschichtswissenschaft nähert, immer um das Wechselverhältnis vom Menschen auf der einen und Natur und Landschaft auf der anderen Seite.
Vom zeitlichen Rahmen her beschränkt sich der in Basel und Zürich Alte Geschichte lehrende Autor strikt auf die Zeit der Griechen und der Römer (9. Jahrhundert v. Chr. - 5. Jahrhundert n. Chr.). Bei der Analyse verwendet er für Griechenland und Rom dabei fast identische, für die Umweltgeschichte relevante Kategorien. Zuerst werden die Spezifika der jeweiligen geographischen Räume aufgezeigt. Im Anschluss daran behandelt der Verfasser nacheinander die Rubriken Mensch und Natur, Landwirtschaft, Bewaldung und Holzbau, Gärten, Tiere, Ernährung, Feuer und Wasser, Erdbeben und Vulkane. Für Rom kommt noch die Abteilung "Probleme der Großstadt und ländlicher Villenbau" (mit der bedeutsamen Unterabteilung "Wohnverhältnisse und Siedlungshygiene") hinzu. Warum der ansonsten so umsichtige Verfasser auf Großstadtprobleme in der hellenistischen Welt (ergiebig aufgrund der Quellenlage wäre hier vor allem das ägyptische Alexandria) verzichtet, erfährt der Leser nicht.
Sowohl in der Zusammenschau als auch im Detail bietet der Autor eine Fülle an Material. Das ist eine Stärke und eine Schwäche des Buches zugleich. Kaum eine relevante Textstelle ist übersehen worden. Durchgängig ist die Darstellung eng an den antiken Quellen orientiert. Das Streben nach Vollständigkeit kollidiert indes arg mit dem knappen Raum, der dem Autor zur Verfügung steht. Für Interpretation, Bewertung und Analyse bleibt nicht viel Platz. Das ist bedauerlich, zumal beispielsweise die zwar zutreffenden, aber sehr lakonischen Ausführungen zu jener klassischen Stelle, an welcher der Philosoph Platon die Abholzung der Bergwälder Attikas kritisiert, sich so, wie hier (43) präsentiert, dem Leser nur sehr schwer erschließen. Deutlich wird aber immerhin, dass Platons Aussage nicht als ein Beleg für die Existenz ökologischen Denkens in der Antike vereinnahmt werden kann. Die Natur mit ihren Ressourcen als ein prinzipiell schützenswertes Gut anzusehen, lag Griechen und Römern fern. Wenn es Kritik an menschlichen Eingriffen in die Natur gab, dann lagen dieser stets moralische oder (häufiger noch) religiöse Motive zugrunde.
Derselbe Zwang zur Kürze verhindert eine tiefer greifende, für das antike Umweltbewusstsein nun außerordentlich instruktive Diskussion des Umgangs der antiken Menschen mit dem Phänomen der Naturkatastrophen. Speziell Erdbeben gehörten und gehören im seismisch höchst aktiven Mittelmeerraum fast zum Alltag. Thommen erwähnt einige dieser desaströsen Ereignisse und streift dabei auch die Reaktionen, die sie bei den Zeitgenossen hervorriefen. Wenig erfährt man hier allerdings über den prägenden Gegensatz zwischen religiöser und naturwissenschaftlicher Deutung. Es ist für die Einstellung von Griechen und Römern zur Natur aber eminent charakteristisch gewesen, dass die Interpretation von Naturkatastrophen als Zeichen oder Strafe der Götter immer die Oberhand behielt gegenüber den Bestrebungen von Gelehrten wie Aristoteles oder Seneca, für diese Phänomene eine rationale Erklärung zu liefern. Sich im Katastrophenfall in Gebeten und Sühneritualen an die Götter zu wenden, erschien den Menschen sicherer und beruhigender, als an anonyme, nicht erreichbare Kräfte im Inneren der Erde zu glauben.
In dem Abschnitt, in dem es um den römischen Bergbau geht, gelingt es Thommen, den Spagat zwischen wirtschaftlich motivierter Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und einer religiös fundierten Kritik auch in wenigen Zeilen heraus zu arbeiten. Hier stieß der Wunsch, unter Einsatz technisch hoch entwickelter Geräte die Natur zu besiegen und sie ihrer Schätze zu berauben, mit der Furcht zusammen, damit die Eingeweide und Adern der "Mutter Erde" zu verletzen.
Man könnte noch einige weitere kritische Anmerkungen hinzufügen. So ist sich Lukas Thommen, wie es scheint, nicht immer darüber im Klaren gewesen, ob er ein Expertenpublikum oder aber eine breitere interessierte Leserschaft ansprechen will. So dürfte sich jedenfalls der häufige Wechsel zwischen Fachjargon und dem Bemühen, sich allgemein verständlich auszudrücken, zu erklären sein. Die Qualität der Abbildungen lässt manche Wünsche offen. Beim Kampanien-Erdbeben von 62 n. Chr. war nicht Vespasian (115), sondern Nero römischer Kaiser.
Doch insgesamt hinterlässt das im Übrigen mit einem sehr ausführlichen Literaturverzeichnis ausgestattete Buch einen positiven Eindruck. Auf dem deutschen Buchmarkt gibt es gegenwärtig keine vergleichbar griffige Darstellung dieser höchst komplexen Thematik. Nüchtern, sachlich und kompetent führt sie all diejenigen, die an der noch jungen Disziplin der Historischen Ökologie interessiert sind, in die Anfänge und Grundlagen der europäischen Umweltgeschichte ein.
Holger Sonnabend