John Sheail: An Environmental History of Twentieth-Century Britain, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2002, X + 306 S., ISBN 978-0-333-94981-8, GBP 17,99
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John Sheail blickt auf jahrzehntelange Erfahrung mit der Umweltpolitik seines Heimatlandes zurück. Aus seiner Position im nationalen britischen Umweltforschungsprogramm verbunden mit einer externen Professur für Geografie kennt er akademische wie anwendungsorientierte Zugänge. Mit dem hier vorgelegten Überblick über die Umweltgeschichte des Inselstaates wendet sich ein erfahrener Autor an die Öffentlichkeit. Diese Erfahrung merkt man dem Buch wohltuend an.
Das Buch ist eine umfassende Einführung, will aber kein reines Referenzwerk sein. Sheail möchte auf die in öffentlichen Archiven zugänglichen Bestände aufmerksam machen und Leserinnen und Leser zu eigenen Forschungen anregen. Sein Zielpublikum ist auf Großbritannien beschränkt. Anders ist nicht erklärbar, wieso ein Buch, das sich so sehr mit lokalen Prozessen beschäftigt, keinerlei Karten enthält. Um zu verstehen, worum es geht, müssen die Leserinnen und Leser zudem geografische Begriffe wie "Merseyside", sämtliche "Ridings" in Yorkshire und anderes mehr, das wohl nicht zur kontinentaleuropäischen Allgemeinbildung hinsichtlich Großbritanniens zählt, kennen oder anderswo nachschlagen, denn im Buch selbst wird keinerlei Hilfe dazu angeboten. Der Text selbst ist spannend und klar geschrieben, allerdings verlangt die der Sache durchaus angemessene Fülle der erwähnten Institutionen und Personen viel Konzentration. Sheail zitiert ausschließlich englischsprachige Literatur, seine internationale Verortung findet er in der amerikanischen Umweltgeschichte, deren klassische Autoren (etwa Cronon, Steinberg, Tarr, Worster) er zitiert. Eine vergleichende Perspektive zur Entwicklung in anderen Teilen Europas darf man also nicht erwarten.
Sheail beginnt mit einer kurzen Einführung in den Status des Fachgebiets Umweltgeschichte im angelsächsischen Raum. Das zweite Kapitel bietet einen Abriss der Bemühungen um Raumplanung und Raumordnung von der Jahrhundertwende bis in die 1970er-Jahre. Das 20. Jahrhundert ist für den Autor das Jahrhundert der Planung. Immer mehr Lebensbereiche werden als planbar erachtet und dementsprechend behandelt, vor allem die Verteilung von Personen und Wirtschaftseinheiten im Raum. Dies ist eine Reaktion auf Unsicherheit (33) beziehungsweise eine Reaktion auf die unerwünschten Effekte der Industrialisierung und der Verstädterung (41). Sheail diskutiert nur diese seine These und geht nicht auf andere Vorschläge zum Verständnis der Sondersituation des 20. Jahrhunderts ein, wie sie etwa John R. McNeill [1] oder bereits in den 1990er-Jahren Christian Pfister [2] vorgelegt haben. Der Fokus liegt auf Umweltpolitik, Verwaltung und Umweltmanagement, zu dem Planung dazugehört. Oft erfährt man eher in Nebensätzen Wissenswertes und Spannendes, so etwa dass die institutionelle Herausforderung nicht die Planung selbst, sondern deren Implementierung war (27) - ein Befund der heute wohl noch immer gültig ist. Wir erfahren auch, dass nicht nur ökonomische, sondern auch militärische Gründe nach der Erfahrung des Bombenkriegs für eine Verteilung von Industrien im Raum und vor allem fern der Ostküste der Inseln sprachen (29).
Am Ende des zweiten Kapitels erläutert Sheail den Aufbau des Buches: Die folgenden Kapitel werden die wichtigsten Aktivitäten, die auf Landschaft oder Umwelt im weiteren Sinn wirkten, diskutieren. Das dritte Kapitel greift das von Theodore Steinberg [3] für die Flüsse Neu-Englands vorgeschlagene Konzept der gesellschaftlichen Naturinkorporierung auf. Hier wird die Frage nach Wasserverschmutzung und -nutzung eines der Umweltmedien gestellt, in dem sich die Effekte menschlicher Aktivitäten bereits zur Jahrhundertwende bemerkbar machten. Kanalisation, aber auch der Beginn der Verschmutzungen durch den Autoverkehr, und vor allem die in England wohl bedeutendste Verschmutzungsquelle, der Kohlebergbau, werden diskutiert. Das Beispiel des Londoner Vorortes Basildon dient Sheail nicht nur zur exemplarischen Verdeutlichung einer Scheinlösung, sondern auch zur Illustration, wie viele ministerielle Akten man studieren muss, um einen Konflikt wie den um die Austernbänke des Flusses Crouch, in den ursprünglich die neuen Ortsabwässer eingeleitet hätten werden sollen, zu verstehen. Um die Austernfischer zu schützen, wurden die Abwasserleitungen bis zur Themse verlängert, womit das Problem ja keineswegs gelöst war, der lokale Konflikt aber schon. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich auch, wie groß die Rolle ökonomischer Argumente in Umweltfragen ist.
Solche und ähnliche Lehrstücke, die man aus der Umweltpolitik allenthalben kennt, bilden den Hauptinhalt des Buches. Das vierte Kapitel unternimmt es, die Forstpolitik und Forstverwaltung im 20. Jahrhundert auf 20 Seiten darzustellen, eine bemerkenswerte Leistung. Auch hier geht es durchaus nicht nur um Beispiele, sondern auch um große Fragen. In diesem Fall darum, ob Privateigentum oder staatliches Waldmanagement die langfristig bessere Alternative ist. Kapitel fünf ist dem Entstehen einer dritten Kraft, dem Naturschutz, der neben Landwirtschaft und Forstwirtschaft beginnt, sich auf die Landschaft auszuwirken, gewidmet, im sechsten Kapitel wird diese Geschichte weitererzählt. Wie schon im ersten Kapitel, in dem die Einführung des "holiday with pay" im Jahr 1938 als entscheidend für die Entwicklung touristischer Anforderungen gewürdigt wird, berücksichtigen auch die Kapitel zum Naturschutz den Tourismus als wichtigen Einflussfaktor der Landnutzung. Kapitel 7 widmet sich dem Transport. Eine Fallstudie zum dritten Londoner Flughafen ist in diesem Kapitel ebenso enthalten wie die Diskussionen um Pipelines, ein erfreulich weit gefasstes Konzept von Transport, das sich nicht nach Wirtschaftssektoren richtet, sondern nach dem Problem selbst. Das achte Kapitel geht auf Umweltgefahren, Umweltverschmutzung im engeren Sinn, ein, ein eigener Abschnitt zeigt die Wirkung von Rachel Carsons "Silent Spring" auf britische Politik und Öffentlichkeit. Das Schlusskapitel "The Century of the Environment" gibt dem Buch einen positiven Ausklang. Im Unterschied zu anderen umwelthistorischen Studien betont Sheail die gesellschaftlichen Leistungen für den Umweltschutz und fasst Aufbau und Ziel seines Buches nochmals zusammen: "Through pursuing and expanding the modest examples developed in this book, readers may themselves find evidence of how a concern for the life-giving properties of land, air and water came to be perceived as an integral part of a 'decent and fulfilling life'" (282).
Quellen und Literatur sind in einem gemeinsamen Verzeichnis zusammengefasst. Dies mag Historikern und Historikerinnen ungewohnt sein, für die Nutzung durch Nicht-Historiker, die im Zweifel immer zwei Listen durchsuchen müssen, ist diese Lösung die bessere. Die im Text in Klammern gesetzten Zitate werden sowohl mit als auch ohne Seitenangaben (vergleiche 44 im ersten Absatz) angeboten. Wie es zu dieser Auswahl kommt, ist allerdings nicht nachvollziehbar. Der Band hat einen Index, der leidlich brauchbar ist, aber eher zu kurz als zu ausführlich geraten ist.
Insgesamt ist Sheail ein Werk gelungen, das sich von dem früheren Band von Clapp zum gleichen Thema [4] wohltuend unterscheidet, weil es weniger wirtschafts- als wirklich umwelthistorische Schwerpunkte setzt, mit der erwähnten Konzentration auf Politik und Verwaltung. Sheail hat keinerlei Ambitionen, sein Werk für ein internationales Publikum zugänglich zu machen. Das ist bedauerlich, weil eine vergleichende Perspektive in vielen Fällen wirklich erkenntnisfördernd gewesen wäre. Man kann einem 300 Seiten kurzen Werk aber nicht alles abverlangen. Das Fehlen von Karten bleibt aber auch unter Berücksichtigung der gedachten Leserschaft ein großes Manko. Das, was Sheail mit Worten tut, tut er sehr gekonnt. Ein Buch, das in ähnlich gelungener Form für die Nutzung von Quellenbeständen zur Erforschung der Umweltgeschichte auf lokalem, regionalem oder nationalem Niveau wirbt, wird man vergeblich suchen. Christian Pfisters quellenkritische Einführung zur Datenbank BERNHIST, gleichzeitig eine Umweltgeschichte des Kantons [5], ist das einzige Werk mit einem vergleichbaren Impetus.
Anmerkungen:
[1] John R. McNeill: Something New Under the Sun. An Environmental History of the Twentieth-Century World, London 2000 (dt. 2003).
[2] Christian Pfister: Das 1950er Syndrom - Die umweltgeschichtliche Epochenschwelle zwischen Industriegesellschaft und Konsumgesellschaft, in: Jörn Sieglerschmidt (Hg.): Der Aufbruch ins Schlaraffenland. Stellen die Fünfziger Jahre eine Epochenschwelle im Mensch-Umwelt-Verhältnis dar?, Mannheim 1995, 28-71.
[3] Theodore Steinberg: Nature Incorporated: Industrialization and the Waters of New England, New York 1991.
[4] Brian W. Clapp: An Environmental History of Britain since the Industrial Revolution, London / New York 1994.
[5] Pfister Christian: Im Strom der Modernisierung. Bevölkerung, Wirtschaft und Umwelt im Kanton Bern 1700-1914. Geschichte des Kantons Bern seit 1798, Band IV, Bern / Stuttgart / Wien 1995.
Verena Winiwarter