Hansjörg Küster: Das ist Ökologie. Die biologischen Grundlagen unserer Existenz, München: C.H.Beck 2005, 208 S., ISBN 978-3-406-53463-8, EUR 17,90
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Das zu besprechende Werk ist ein Sachbuch, geschrieben als populärwissenschaftliches Werk. Es ist in mehreren deutschen Tageszeitungen (z. B. in der Süddeutschen Zeitung am 19.10.2005, in der Literaturbeilage der ZEIT am 13.10.2005) rezensiert worden. Die sehepunkte als wissenschaftliches Rezensionsjournal haben bereits die Geschichte der Ostsee des Autors rezensiert [1], ebenfalls ein populäres Werk.
Eine Beschreibung und Bewertung für das die sehepunkte rezipierende Fachpublikum erscheint unter zwei Gesichtspunkten sinnvoll: Einerseits ist zu fragen, ob das Werk als interdisziplinäre Einführung in die Ökologie nützlich sein könnte. Andererseits ist zu fragen, wie der Autor die schwierige Wechselbeziehung zwischen Menschen und Natur darstellt, und ob diese Darstellung für die Umweltgeschichte nützlich sein könnte. Mit Hans Pflugs Umweltgeschichte der Erde wurde vor Kurzem in den sehepunkten ein Werk rezensiert, das in mancher Hinsicht ähnliche Probleme bereitet wie das hier anzuzeigende. [2] Beiden gemeinsam ist, dass der Bezug auf den Forschungsstand nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt, beiden gemeinsam ist der große Anspruch, der nicht eingelöst wird. Um die zusammenfassende Beantwortung der beiden angedeuteten Fragen vorwegzunehmen: Hansjörg Küsters Buch eignet sich nicht als interdisziplinäre Einführung in die Ökologie. Ebenso wenig ist es in umwelthistorischen Kontexten als Grundlagenlektüre geeignet.
Das Werk ist in 20 kurze Kapitel aufgeteilt. Die ersten Kapitel geben einen Überblick über abiotische und biotische Lebensgrundlagen auf der Erde, die folgenden acht Kapitel stellen eine Einführung in ökologisches Grundlagenwissen dar, wobei dem Thema Stress und Konkurrenz viel Raum gegeben wird, und die Selektion der "fittesten" Individuen ausführlich diskutiert wird. Küster versucht, zwischen natürlicher und künstlicher Selektion zu unterscheiden und die Ablehnung eugenischer Selektion ökologisch zu begründen (56). Ab Kapitel 10 wird Humanökologie zum Thema. Diese wird in einem historischen Abriss von Jäger-Sammler-Kulturen über Ackerbauern und Viehzüchter hin zu einer Diskussion kultureller Leistungen der Menschen zur Stabilisierung ihres Verhältnisses zur Natur hin entwickelt. Küster hängt einem kulturellen Adaptionismus an, und stellt in Kapitel 13 Handel, Städtebildung und den Bau von wassergebundener Infrastruktur als Versuche ökologischer Stabilisierung dar. Schlussfolgerung des historischen Abrisses: Stabilität ist gegen die Natur ("entsprechen nicht den Gesetzen der Ökologie", 131) und war mit vorindustriellen menschlichen Mitteln nicht erreichbar. Kapitel 16 geht auf die Industriegesellschaft ein, und im 17. Kapitel wird die für Küster zentrale Frage behandelt, ob Naturschutz eine dauerhafte Stabilisierung von Ökosystemen erbringen kann (was er, so Küster, nicht kann, weil Natur dynamisch ist). Im 18. Kapitel geht es um Nachhaltigkeit, wobei Küster ins Lager der Zweifler am anthropogenen Treibhauseffekt zu rechnen ist (163), im 19. wird über Landschaft gehandelt, und das kurze 20. Kapitel plädiert ohne Ausführung der Gründe unter dem Titel "Bildung, Forschung, und Freiwilligkeit als Grundlagen der Nachhaltigkeit" für Deregulierung im Umweltbereich (179).
Küster ist gegen die Modellierung von Ökosystemen und gegen die Stabilitätsvorstellungen im Naturschutz. Bei ersterem kann ich ihm nicht folgen, weil Feldökologie und theoretische Modellierung zwei gleich wichtige Säulen der Biologie darstellen. Auf keine der beiden kann verzichtet werden, wie etwa im für die Frage des Biodiversitätsschutzes wegweisenden UNEP-Biodiversitätsbericht bereits 1995 deutlich wurde. Theorie / Modellierung und die Erhebung von Artenzahlen und anderen Ökosystemparametern wurden darin miteinander verbunden. [3] Insofern verwundert Küsters Forderung: "Wir brauchen mathematische Modelle, die aus Sicht der Biologie vernünftig sind" (18); und sie lässt auch kaum Zweifel daran, dass es dem Autor nicht um ein interdisziplinäres Miteinander geht. Beim zweiten wird deutlich, dass auch populäre Werke den derzeitigen Kenntnisstand der Disziplin, aus der sie stammen, rezipieren müssten. Im Naturschutz sind längst Vorstellungen vom "Prozessschutz" en vogue, wie sich anhand zweier älterer deutscher Arbeiten, die ich nahezu beliebig aus einer großen Menge ähnlicher Publikationen herausgegriffen habe, belegen lässt. [4] Küster geht es darum, einen basisdemokratisch legitimierten Landschaftsschutz statt des Naturschutzes zu etablieren, einen Landschaftsschutz, der zwischen verschiedenen Eingriffen abwägt, und der etwa Eisenbahnen gegenüber aufgeschlossener sein möge als Golfplätzen (173 f.). Landschaftsschutz und Naturschutz gegeneinander auszuspielen kann kaum im Sinn der vielen Engagierten sein, die beides betreiben, und geht an der Fachdiskussion vorbei.
Dass der Begriff der Resilienz, einer der zentralen Begriffe der modernen Ökosystemforschung, im Register der Arbeit nicht vorkommt, nimmt wunder und lässt daran zweifeln, dass hier das geboten wird, was der Titel verspricht, nämlich eine Generaldarstellung dessen, was Ökologie ist.
Polemisch geht Küster auch damit um, dass der Begriff "ökologisch" seit vielen Jahren nicht nur für Zusammenhänge der Biologie, sondern alltagssprachlich für viele Dinge verwendet wird, die im weiteren Bereich des Umweltschutzes oder Umweltbewusstseins firmieren. Ohne ihn zu zitieren, setzt Küster damit eine Klage fort, die Ludwig Trepl schon 1987 formuliert hatte. [5] Die Verwendung von Begriffen kann nicht dekretiert werden. Statt einer Polemik hätte man sich differenziertes Argumentieren gewünscht. Dort, wo es zu Auswüchsen kommt, hätte der Autor den Finger heben können und sollen, eine allgemeine Verdammung ist sinnlos. Küster hält überdies die Leser für dümmer, als sie sind, wenn er etwa meint, erklären zu müssen, dass es Biosphäre außerhalb von Biosphärenreservaten gibt (22), oder wenn er belehrend festhält, dass "immer wieder suggeriert [werde], daß Evolution abgeschlossen sei, was nicht richtig ist." (153). Es ist Küsters Vorwort zuzustimmen, dass der Schutz unserer Umwelt stete Reflexion, Bildung und Kultur braucht (7), doch wird dieser Anspruch im Werk nicht eingelöst, es werden ganz im Gegenteil bedenkliche Parallelen zwischen Kultur und Natur gezogen. Eine solche Stelle soll, um dem Vorwurf zu entgehen, abgekürzt zu zitieren, hier im Volltext wiedergegeben werden:
"Fixpunkte einer Landschaft, die man schützen möchte, machen ihre Identität aus. Woran erkennt man sie wieder? An welchen Eigenheiten kann man den natürlichen Wandel wahrnehmen? Welche Merkmale kennzeichnen das Einmalige an einer Landschaft? All dies muß in der Öffentlichkeit dargelegt werden, und zwar durch Publikation und im Gespräch. Dabei ist nicht nur an die Vermittlung von Wissen in Schulen zu denken, sondern an das Gespräch zwischen den Generationen und zwischen Einheimischen und Fremden. Fremde können Urlauber und Gäste sein, oder wichtiger noch, Migranten, die ihren Wohnsitz gewechselt haben, und nun so schnell wie möglich an einem neuen Ort 'heimisch' werden sollen. Die 'Neuankömmlinge' sollten die Struktur der 'neuen Heimat' begreifen, auch als Anknüpfungspunkt zum Kontakt mit Einheimischen. Wenn neu Hinzugezogene die Besonderheiten ihres neuen Wohnsitzes kennen, werden sie rascher heimisch und fügen sich leichter in ihre neue Umgebung ein." (170)
Hier wird als gegeben angenommen, was in den ersten Monaten des Jahres 2006 für öffentliche Diskussion gesorgt hat, die Frage, wie viel Anpassungsleistung von Migranten erwartet und verlangt werden soll und kann. Küster bezieht hier sehr eindeutig Stellung und macht Wissen um Ökologie zu einer gesellschaftspolitischen Frage. Er legt zudem darauf Wert, dass sich aus der Ökologie keine Handlungsanweisungen für die Umweltpolitik gewinnen lassen. Das hat Jürgen Dahl schon 1982 formuliert [6], und darüber besteht innerwissenschaftlich wohl Konsens. Die Mittel, wie Umweltpolitik zu betreiben wäre, sind seit den 1980er-Jahren ausgefeilter geworden, und vieles ist konkreter, was vor Tschernobyl noch rein appellativen Charakter hatte. Küsters Empfehlungen und Forderungen beschränken sich auf Allgemeinplätze, die in der Nachhaltigkeitsdiskussion kaum als Anregung empfunden werden können.
Man wird den Eindruck nicht los, dass der Verlag es an einem fachlich kompetenten Lektorat hat fehlen lassen und ein recht eigenartiges Werk eines sonst erfolgreichen Autors schnell und unüberlegt publiziert hat. Die Rezensentin bleibt mit dem Gefühl zurück, dass es Küster womöglich darum gehen könnte, sich über die Forschungsförderungsprogramme für ökologische Projekte zu beklagen, wie er zu Beginn ausführt (17), oder um die Besetzung von Lehrstühlen mit Spezialisten statt, wie er sich wünschen würde, Generalisten (177). Schade um die vertane Chance, eine leicht fassliche Einführung in die Ökologie anzubieten, schade um die Chance, einem interessierten Publikum nahe zu bringen, was Naturschutz und Landschaftspflege heute bedeuten.
Anmerkungen:
[1] Martin Krieger: Rezension von: Hansjörg Küster: Die Ostsee. Eine Natur- und Kulturgeschichte, München 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 7/8 [15.07.2003], URL: http://www.sehepunkte.de/2003/07/1649.html.
[2] Martin Knoll: Rezension von: Hans D. Pflug: Umweltgeschichte der Erde. Die Zukunft im Spiegel der Vergangenheit, Aachen 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 1 [15.01.2006], URL: http://www.sehepunkte.de/2006/01/8795.html.
[3] Vernon H Heywood (ed.): Global Biodiversity Assessment. United Nations Environment Programme, Cambridge 1995.
[4] Vgl. z. B. Michael W. Rode: Sukzessionen in Heidegebieten - Grenzen und Definitionen eines prozessorientierten Naturschutzes in einer Kulturlandschaft, in: Naturschutz und Landschaftsplanung 30 (8/9) (1998), 285-290, oder Eckhard Jedicke: Ressourcen- und Prozeßschutz - notwendige Ansätze für einen ganzheitlichen Naturschutz, in: Naturschutz und Landschaftsplanung 27 (4) (1995), 125-133.
[5] Ludwig Trepl: Geschichte der Ökologie, Frankfurt a. M. 1987.
[6] Jürgen Dahl: Verteidigung des Federgeistchens. Über Ökologie und über Ökologie hinaus, in: Scheidewege 2 (1982), 175-199, mehrfach wiederabgedruckt.
Verena Winiwarter