Hans-Werner Frohn / Friedemann Schmoll (Bearb.): Natur und Staat. Staatlicher Naturschutz in Deutschland 1906-2006 (= Naturschutz und Biologische Vielfalt; Heft 35), Münster: Landwirtschaftsverlag 2006, XII + 736 S., ISBN 978-3-7843-3935-1, EUR 36,00
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Die Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen widmete sich als erste staatliche Institution ausschließlich und hauptamtlich dem Naturschutz. Ihre Einrichtung markierte den Beginn des staatlichen Naturschutzes in Deutschland und einer institutionellen Kontinuität, die zum heutigen Bundesamt für Naturschutz als Nachfolgeeinrichtung führte. Anlässlich des 100. Jahrestages der Gründung der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege hat das Bundesamt für Naturschutz einen Sammelband herausgegeben, der Beiträge ausgewiesener Fachleute zur Geschichte des Verhältnisses zwischen Staat und Naturschutz enthält.
Der behördliche Naturschutz entsprang als "Naturdenkmalpflege" einer meist romantisch und ästhetisch motivierten Kritik an der Veränderung des Landschaftsbildes und der Bedrohung einer als ursprünglich empfundenen Natur. Die Entwicklung vom Schutz einzelner "Naturdenkmale" hin zum modernen Naturschutz war wechselvoll und schon früh Gegenstand von Darstellungen hauptsächlich amtlicher Naturschützer, die sich mit der Geschichte ihrer eigenen Institutionen befasst haben. Seit den 1980er Jahren setzten sich auch in Deutschland vermehrt Historikerinnen und Historiker mit der Geschichte des Naturschutzes auseinander. Vor allem die 1996 gegründete Stiftung Naturschutzgeschichte hat in jüngerer Zeit durch Fachtagungen und Publikationen der Erforschung der Naturschutzgeschichte wichtige Impulse verliehen. Der vorliegende Band reflektiert die neuesten Forschungen und bietet damit einen guten Einstieg in die Thematik.
Nach einer Einführung, in denen die Herausgeber die wichtigsten Ergebnisse des Bandes zusammenfassen und einige Fragen für künftige Forschungen aufwerfen, beschreibt Friedemann Schmoll die Entstehung des Naturschutzes um 1900 und seine Leitbilder. Der Verfasser sieht die Naturschutz-Bewegungen als "Reaktion auf umfassende Enttraditionalisierungsprozesse und wachsenden 'Vertrautheitsschwund' in einer im Umbau befindlichen Welt" (24). In sehr kurzer Zeit bildeten sich institutionelle Strukturen, soziale Trägergruppen und eine Programmatik des deutschen Naturschutzes heraus, die durch hohe Kontinuität geprägt waren.
Der wichtigste und mit 204 Seiten umfangreichste Beitrag des Bandes befasst sich mit der behördlichen Entwicklung von der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen bis zum Bundesamt für Naturschutz. Hans-Werner Frohn löst sich dabei von den Selbstdarstellungen amtlicher Naturschützer und zeichnet auf der Grundlage einer gründlichen Auswertung des Quellenmaterials ein neues Bild des staatlichen Naturschutzes. Zu den vielen Erkenntnissen zählt, dass sich der amtliche Naturschutz im Kaiserreich vor allem aufgrund der Unterstützung aus dem preußischen Abgeordnetenhaus etablieren konnte. Deutlich wird auch, wie unsicher der Fortbestand der Staatlichen Stelle lange Zeit war. Detailliert zeigt der Verfasser, wie später die Hoffnungen der Naturschützer in das nationalsozialistische Regime enttäuscht wurden - zwar wurde ein Reichsnaturschutzgesetz geschaffen und die Staatliche Stelle in eine Reichsstelle umgewandelt, der amtliche Naturschutz befand sich aber bald schon auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. Ein demokratisch legitimierter Neubeginn wurde, wie der Verfasser urteilt, nach 1945 versäumt. Erst der Reformaufbruch der 1960er und 1970er Jahre brachte einen sowohl programmatischen als auch institutionellen Wandel unter dem Motto "Opas Naturschutz ist tot!" (242) mit sich.
Theorie und Praxis des Naturschutzes im nationalsozialistischen Deutschland sind Gegenstand eines kurzen Aufsatzes von Willi Oberkrome, der anhand von regionalen Beispielen die Kluft zwischen der Theorie einer aktiven Landschaftsgestaltung und der Wirklichkeit regionaler Naturschutzarbeit aufzeigt. Um das Verhältnis zwischen Naturschutz und Naturwissenschaft geht es Thomas Potthast, der zeigt, wie prekär die Verbindung von naturwissenschaftlicher Analyse und Sinnstiftung war. Die Einflüsse der naturwissenschaftlichen Ökologie auf die Naturschutzbewegung blieben vor 1970 schwach. Dem amtlichen Naturschutz in Westdeutschland bis 1980 geht Jens Ivo Engels nach, der für die "vorökologische Epoche" bis 1970 eine Kontinuität von Werthaltungen konstatiert. Nach der "ökologischen Wende" lockerten sich die traditionell engen Bindungen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, Verhaltensstile änderten sich und es entstanden neue, teilweise rivalisierende Verbände. Naturschutz-Ideen gewannen an Breitenwirkung und erfassten neue Anhängerschichten. Dem Naturschutz in der DDR widmet sich der Beitrag von Andreas Dix und Rita Gudermann, der vor allem auf die starke Abhängigkeit der Naturschutzarbeit von den spezifischen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen in der DDR hinweist. Den größten Erfolg brachte erst die Ausweisung von Nationalparks im Zuge des Einigungsprozesses mit sich. Die internationalen Beziehungen des amtlichen Naturschutzes sind das Thema eines umfassenden Beitrages von Anna-Katharina Wöbse. Obgleich eine internationale Naturschutzpolitik bereits um 1900 entstand, war sie doch immer von den allgemeinen außenpolitischen Verhältnissen abhängig. Verteilt über den Band finden sich zusätzlich insgesamt 29 Kurzbiografien zu Persönlichkeiten des Naturschutzes. Die einzelnen Beiträge enthalten jeweils Literaturhinweise und Ausführungen zum Forschungsstand.
Abschließend sollen nur wenige Punkte zu dem verdienstvollen Werk angemerkt werden. Die Beiträge des Bandes sind nicht frei von inhaltlichen Überschneidungen, was aber schwer zu vermeiden gewesen sein dürfte. Kritisch ist die wiederholt durchscheinende Trennung zwischen "staatliche[n] Institutionen und ehrenamtliche[n] Beauftragten einerseits und zivilgesellschaftliche[n] Träger[n] aus Vereinen und Verbänden andererseits" (3, vgl. 112ff.) zu bewerten. Zumindest in der frühen Zeit des Naturschutzes waren die ehrenamtlichen Beauftragten ebenso wie die Mitarbeiter der Zentralen Stelle zugleich auch Bestandteil des Netzwerkes der Naturschützer, das sich in Vereinen und Verbänden organisierte. Und schließlich hat nicht erst durch die Einrichtung der Staatlichen Stelle in Preußen "weltweit erstmals ein Land Naturschutz als staatliche Aufgabe" anerkannt (85). Vielmehr dürfte auch die Entscheidung der Regierung der USA, Nationalparks einzurichten (Yellowstone 1872), als ein Ausdruck staatlicher Verpflichtung für den Naturschutz zu werten sein. Interessanter wäre hier jedoch die Frage, warum in Deutschland eine primär als Forschungsstelle arbeitende Institution als Teil der Kultusbürokratie eingerichtet wurde, während in den USA Nationalparks entstanden, die gerade auch für Erholungssuchende offen waren. Diese Unterschiede unterstreichen - wie die Herausgeber ebenfalls betonen - die Notwendigkeit vergleichender Studien, die dazu beitragen können, Beschränkungen des nationalen Blickwinkels zu überwinden.
Für künftige Forschungen zur Naturschutzgeschichte bietet das Buch eine ausgezeichnete Grundlage. Es stellt eine anregende und in jeder Hinsicht lesenswerte Auseinandersetzung mit dem Thema Naturschutz und Staat dar, der ein breites Publikum zu wünschen ist.
Michael Wettengel