Frank Uekötter: Naturschutz im Aufbruch. Eine Geschichte des Naturschutzes in Nordrhein-Westfalen 1945 - 1980 (= Geschichte des Natur- und Umweltschutzes; Bd. 3), Frankfurt/M.: Campus 2004, 198 S., ISBN 978-3-593-37487-1, EUR 24,90
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Joachim Radkau / Frank Uekötter (Hgg.): Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt/M.: Campus 2003
Während die neuere Forschung zur Umweltgeschichte der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile eine differenziertere Position erarbeitet hat [1], dominiert in der Öffentlichkeit noch immer ein holzschnittartiges Bild: Bis weit in die 1960-er Jahre hinein habe sich so gut wie niemand für die Erhaltung der Natur und den Schutz der Umwelt eingesetzt oder auch nur interessiert. Die wenigen vorhandenen Aktivisten seien durch ihre vorausgegangene Zusammenarbeit mit dem Nationalsozialismus [2] nachhaltig diskreditiert gewesen, ihr Anliegen sei fast vollständig hinter den Primat des wirtschaftlichen Wiederaufbaus zurückgetreten. Erst die Umweltbewegung der 1970-er und 1980-er Jahre habe das Thema auf die politische Agenda gebracht und sukzessive mehr oder weniger wirksame Schutzmaßnahmen durchgesetzt.
Gegen dieses Bild, das nicht zuletzt von vielen Umweltbewegten selbst am Leben gehalten wird, schreibt der Bielefelder Historiker Frank Uekötter in seiner zweiten Monografie [3] an. Anhand von insgesamt acht Beispielen aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen zeigt er, dass es schon vor der so genannten ökologischen Wende, die meist um 1970 herum angesetzt wird, zu zumindest teilweise erfolgreichen Kampagnen gegen die Ausbeutung und Zerstörung der Natur kam. So konnte die Sprengung einer für die Kriegsproduktion missbrauchten Höhle durch die britischen Besatzer ebenso verhindert werden wie die Ansiedlung einer Formel-1-tauglichen Rennstrecke im Sauerland oder die drohende Zerstörung des Wiehengebirges durch Steinbrüche. Im eindrucksvollsten der dargestellten Fälle gelang es einer breiten lokalen und regionalen Protestbewegung zwischen 1960 und 1963, der scheinbar übermächtigen Bergbauindustrie, vor der in der gleichen Angelegenheit zuvor selbst die Landesregierung eingeknickt war, den Erhalt eines Forstes abzutrotzen, der mit Abraum überkippt werden sollte (57-80).
Alle Beispiele sind empirisch solide fundiert, wobei sich Uekötter vor allem auf umfangreiche staatliche Archivalien, teilweise auch auf privates Material einzelner Naturschützer stützt. Die Episoden sind gut lesbar, bisweilen sogar unterhaltsam geschildert. Die Distanz des Autors zu seinem Gegenstand bleibt in angenehmer Art und Weise gewahrt. Uekötter identifiziert sich nicht einseitig mit der Sache des Umweltschutzes, sondern berücksichtigt auch die wirtschaftlichen Interessen der Menschen oder deren Wünsche, die Natur zur Naherholung zu nutzen. Am Ende jedes Kapitels steht ein "Postskriptum", in dem der Autor die Eindrücke zusammenträgt, die er selbst bei der Besichtigung des jeweiligen Konfliktgegenstands vor Ort gewonnen hat.
Durch die breite Palette seiner Beispiele gelingt es Uekötter überzeugend darzulegen, dass die Vorgeschichte der westdeutschen Umweltbewegung von einer außerordentlich "komplexen Gemengelage" (172) geprägt war. Während im Fall der Höhle oder der Abraumhalde bereits größere Protestbewegungen entstanden, wurde das Rennstreckenprojekt gegen die Mehrheit der Anwohner zu Fall gebracht, die auf wirtschaftliche Impulse für ihre strukturschwache Heimat hofften. Hier oder auch bei der Ausweisung eines Vogelschutzgebiets waren es eher die traditionellen, ehrenamtlichen Naturschützer beziehungsweise die zuständigen Behörden, die als Anwälte der Umwelt auftraten. Selbst dort, wo es gelang, die Öffentlichkeit zu mobilisieren, gilt es genau zu unterscheiden, welche Motive die lokalen und regionalen Bewegungen maßgeblich antrieben. Teils war es die "echte" Sorge um den Erhalt von Landschaft, Flora und Fauna, teils aber auch "nur" das egoistische Interesse, beliebte Ausflugsziele zu erhalten oder ökologisch problematische Vorhaben nicht ausgerechnet "im eigenen Hinterhof" verwirklicht zu sehen. Allerdings kritisiert Uekötter zu Recht, dass der ehrenamtliche und der behördliche Naturschutz bis in die 1970-er Jahre hinein vielfach von einem elitären Denken geprägt waren, das derartige Motivüberschneidungen zumindest unterbewusst für ehrenrührig hielt, daher auf die Aktivierung des bereits vorhandenen öffentlichen Potentials verzichtete und sich so gesellschaftlich isolierte. Aus diesen Gründen sei der Naturschutz bis zirka 1970 eben nur eine "stille Macht" gewesen, die es versäumt habe, "die Grenzen der eigenen Möglichkeiten auszutesten" (10-11 und 170).
Trotz der genannten Vorzüge vermag das Buch nicht vollständig zu überzeugen. Der wohl gewichtigste Einwand betrifft die Auswahl und Anordnung der einzelnen Beispiele. Zwar leuchtet es ein, dass der Autor angesichts des ungenügenden empirischen Forschungsstands zur Geschichte des Natur- und Umweltschutzes sein Heil in einer möglichst breiten geografischen, sektoralen und chronologischen Streuung sucht (12-14). Dass die Fälle dann aber einfach aneinandergereiht werden, ohne dass Gemeinsamkeiten, Unterschiede oder chronologische Entwicklungen analytisch deutlich herausgearbeitet und begrifflich nutzbar gemacht würden, enttäuscht. Vergleiche zwischen den einzelnen Konfliktfeldern oder Aussagen, inwiefern sie exemplarischen Wert beanspruchen können, sucht man bis auf wenige Ausnahmen vergeblich. Einleitung und Schluss, in denen Uekötter seine zentrale These vom bereits in den 1950-er und 1960-er Jahren vorhandenen Potential für den Naturschutz darlegt, gehen nicht ausreichend auf das präsentierte empirische Material ein. Beispielsweise hätte es interessiert, ob und gegebenenfalls wie sich die fünf dargestellten Auseinandersetzungen aus der Zeit vor der "ökologischen Wende" um 1970 von den dreien aus späteren Jahren unterschieden.
So aber bleibt der Beigeschmack, dass hier eine Publikation etwas übereilt auf den Markt geworfen wurde, um als erster "eine übergreifende These zu formulieren, an der sich nachfolgende Arbeiten kritisch abarbeiten können" (10). Für weitere Studien zur Geschichte der westdeutschen Umweltbewegung, wie sie etwa Jens Ivo Engels derzeit mit seiner Freiburger Habilitationsschrift erstellt, bleibt ausreichend Platz - eine Tatsache, die allerdings auch Frank Uekötter selbst offen einräumt.
Anmerkungen
[1] Vgl. dazu vor allem die Zusammenfassung im vierten Kapitel von Franz-Josef Brüggemeier: Tschernobyl, 26. April 1986. Die ökologische Herausforderung, München 1998. Einen Literaturbericht bietet Frank Uekötter: Umweltbewegung zwischen dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft und der "ökologischen Wende". Ein Literaturbericht, in: Historical Social Review 28 (2003), 270-289.
[2] Vgl. Joachim Radkau / Frank Uekötter (Hg.): Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2003. Vgl. hierzu die Rezension von Charles E. Closmann in dieser Ausgabe; URL: http://www.sehepunkte.de/2004/11/4499.html.
[3] Seine Dissertation zum Thema "Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland und den USA 1880-1970" ist 2003 in Essen erschienen. Vgl. hierzu die Rezension von Friedemann Schmoll in sehepunkte 4 (2004), Nr. 3 (15.3.2004), URL: http://www.sehepunkte.de/2004/03/4047.html
Bastian Hein