Kurt W. Alt / Rauschenberger Natascha (Hgg.): Ökohistorische Reflexionen. Mensch und Umwelt zwischen Steinzeit und Silicon Valley (= Rombach Wissenschaften. Ökologie; Bd. 6), Freiburg/Brsg.: Rombach 2001, 214 S., ISBN 978-3-7930-9255-1, EUR 50,20
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Der zu besprechende Band ist eine Aufsatzsammlung, bei der die Herausgeber "von einer inneren Verknüpfung der einzelnen Beiträge" ganz bewusst abgesehen haben, "da sich die hier zu Wort kommenden Einzeldisziplinen in ganz unterschiedlicher Art und Weise mit dem Thema Mensch und Umwelt beschäftigen" (10). Da die Herausgeber nicht den Anspruch hatten, einen inhaltlich konsistenten Band zu produzieren, werde ich mich vorwiegend zu einzelnen Beiträgen äußern. Ein Gesamtkonzept für den Band (das ja noch keine Integration voraussetzt) ist allerdings nicht zu erkennen, und spezifisch "historisch" ist daran wenig.
Das Buch entstand auf Basis einer Ringvorlesung, die im Sommersemester 1999 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Rahmen der Magisterstudiengänge Historische und Biologische Anthropologie abgehalten wurde. Es besteht aus acht Beiträgen, wobei der Herausgeber Kurt Alt mit einem Beitrag von 41 Seiten Umfang den größten Raum beansprucht. Neben seinem schwer disziplinär einzuordnenden Beitrag enthält der Band einen Aufsatz zur Umweltmedizin (Dettenkofer / Zunder / Lacour), einen medizinhistorischen Überblick (Leven), zwei ethnologische Beiträge, davon einen ethnobotanischen über Mexiko (Heinrich), einen über südostasiatische Inseln (Seitz) sowie einen archäologischen über Wasser im Alten Orient (Heinz / Nissen). Der philosophischen Anthropologie ist die Betrachtung von Wolfgang Eßbach zuzuordnen, und der Freiburger Historiker Franz-Josef Brüggemeier schreibt zur Umweltgeschichte. Das Geleitwort von Carsten Niemitz schließt mit dem Satz "Ich wünsche mir, dass viele Menschen dieses Buch lesen - ganz sicher mit Gewinn und Nutzen" (6). Dieser Einschätzung kann sich die Rezensentin nicht anschließen.
Der Beitrag von Kurt Alt mit dem Titel "Mensch und Umwelt - Ökologische Grenzbetrachtungen" besteht aus den Teilen: Einleitung - Definition und strukturelle Eingrenzung von Umwelt - Ökonomie versus Ökologie - Umweltforschung und die Entwicklung von Umweltstandards - Welternährung und Ressourcenmanagement - Biologische Diversität und Artensterben - Historischer Bergbau im Mittelalter - Schlussbemerkungen. Diese Teile stehen inhaltlich unverbunden nebeneinander. Einige Teile bestehen zum größten Teil aus Zitaten. Das wäre für sich genommen noch kein Problem, wenn irgendwie erkennbar wäre, was Kurt Alt mit seinem Beitrag eigentlich will. Dies bleibt aber vollkommen unklar.
Im Impressum des Bandes wird ausgewiesen, dass es ein Lektorat gegeben habe. Dies ist heutzutage ein seltenes Privileg geworden, doch hätte man sich gewünscht, dass es auch sprachlich eingegriffen hätte. Sätze wie "Das Sicherheits-Risiko-Denken im Umweltbereich, das vielfach mit einer Technik-Skepsis einhergeht, beleuchtet ein schwieriges Verhältnis" (30/31). müssen nicht sein. Was besagt dieser Satz? Auch im Zusammenhang erschließt sich die Bedeutung nicht, und dieser Satz ist kein Einzelfall. Hier soll nicht Beckmesserei betrieben werden, doch gerade wer ein interdisziplinäres Publikum ansprechen will, sollte der Sprache besonderes Augenmerk widmen. Aber nicht nur der sprachliche Ausdruck, vor allem der Inhalt sollte aufmerksam betreut werden, aus Verantwortung gegenüber den Leserinnen und Lesern.
Historikerinnen und Historiker, die sich über Mensch-Umwelt-Beziehungen "von der Steinzeit bis Silicon Valley" informieren wollen, dürfen zum erwarteten Kreis der Leserinnen und Leser gezählt werden, aber grundsätzlich richtet sich der Band an Umweltinteressierte aller Fächer. Die Schlampereien und Fehler, die ein nicht fachlich gebildetes Publikum niemals aufklären könnte, sind daher unverzeihlich. Das ist nicht nur im Text so: Abbildung 3 (30) ist unleserlich, der Bezug zum Text unklar, auch die anderen Abbildungen (etwa 120 und 151) sind zum Teil so schlecht aufgelöst oder umgesetzt, dass sie keine Information transportieren.
Was schwerer wiegt als unleserliche Abbildungen: Es darf einfach nicht passieren, wie im Beitrag von Alt geschehen, dass die Konzentrationsangaben für Blei im Knochen mit "yg/g" um mehrere Zehnerpotenzen falsch sind (50 und 51). Gemeint sind (was sich für Fachleute aus dem Zusammenhang ergibt) MIKRO-gramm (10E-6 Gramm), die mit dem griechischen Buchstaben µ, "My" abgekürzt werden, nicht die nur für Spezialisten überhaupt als Einheit bekannten mit y abgekürzten Yoctogramm (10E-24 Gramm).
Auch die ohne Erklärung nicht verständlichen Abkürzungen PIXE und RBS (für chemische Analyseverfahren) oder die Fachausdrücke Osteoblasten, Osteoklasten und Osteosklerose sind Zeichen dafür, dass der Autor dort, wo er über sein eigenes, engeres Fachgebiet schreibt, nicht darüber nachdenkt, wen er erreichen möchte, und es an der nötigen Sorgfalt fehlen hat lassen.
Auch im folgenden Beitrag von Markus Dettenkofer, Thomas Zunder und Michael Lacour zur Umweltmedizin ist ähnlich Bedauerliches zu bemerken: In Tabelle 1 des Beitrags (62) wird die Umweltkatastrophe von Minamata in Japan auf "Anorganisches Quecksilber" zurückgeführt. Das ist falsch, denn gerade die Tatsache, dass es sich um eine organische Quecksilberverbindung handelte, die über die Nahrungskette akkumuliert wurde und zu extremen Belastungen führte, ist grundlegend für das Problem. Anorganisches Quecksilber ist vergleichsweise ungefährlicher, da es nur als Dampf von Lebewesen aufgenommen werden kann - zerbrochene Thermometer sind nicht harmlos, aber einen gesundheitlichen Schaden wie die Minamata-Krankheit würden sie nicht herbeiführen.
Auch dieser umweltmedizinische Beitrag setzt umfangreiches Fachwissen voraus. Der Satz "Bei einem Anstieg des Blutbleiwertes um 100µg/l liegt dieser im Bereich von 2mmHg (systolisch)" (69) ist nur zu entschlüsseln, wenn man weiß, dass der Blutdruck in zwei Werten, als diastolischer und systolischer Wert angegeben wird, wobei der systolische der während des Zusammenziehens der Herzkammer entstehende, höhere Wert ist. Um abzuschätzen, was diese Angabe bedeutet, müsste man allerdings auch noch wissen, was 2 mmHg sind (mm Quecksilbersäule, Angabe des Drucks), und eigentlich auch noch, dass der normale Blutdruck eines Erwachsenen zwischen 30 und 40 Jahren etwa 125/85 (systolisch/diastolisch) beträgt, somit eine Bleibelastung von 100 µg/l eine Steigerung des Blutdrucks um knapp 2% bewirkt. Viele meiner Studentinnen und Studenten wissen nicht, was systolisch und diastolisch bedeuten, was der normale Blutdruck eines Erwachsenen ist und wie der Blutdruck angegeben wird. Ohne dieses Vorwissen ist der zitierte Satz aber nicht zu verstehen. Dies kann nicht nur dem Lektorat angelastet werden, da hätte es herausgeberischer Sorgfalt bedurft.
In dieser Hinsicht ist der medizinhistorische Beitrag von Leven besser gelungen, und wenn der Beitrag von Michael Heinrich nicht mit einem falschen lateinischen Namen für die Kamille beginnen würde, wäre auch an ihm weniger auszusetzen, recte: Matricaria recutita, und nicht Matriacria. Wie bei den folgenden Beiträgen von Seitz und Nissen ist allerdings auch bei Heinrich wenig klar, was die "ökohistorische" Perspektive daran ist. Den Beitrag von Wolfgang Eßbach halte ich für den gelungensten, er bietet eine präzise Einführung in theoretische Positionen von Luhmann bis zur philosophischen Anthropologie. Franz-Josef Brüggemeier hat das Schlusswort in dem Band. Dem Beitrag ist die Herkunft als Vorlesungsmanuskript noch deutlich anzumerken. Immerhin aber bemüht sich der Autor, nicht ausschließlich deutschsprachige Werke zu zitieren, und macht darauf aufmerksam, dass umwelthistorische Forschungen in den USA bedeutend besser entwickelt sind, eine Analyse, der leider zuzustimmen ist, wenn es auch zahlreiche von Brüggemeier nicht zitierte europäische Arbeiten gibt, die durchaus eigenständige, kritische Beiträge darstellen.
Der besprochene Band stellt keine Bereicherung des deutschsprachigen umwelthistorischen Schrifttums dar und kann aufgrund der genannten (und vieler weiterer ungenannter) Mängel wissbegierigen Historikerinnen und Historiker nicht empfohlen werden. Den doch beträchtlichen Preis rechtfertigen weder Konzept noch Inhalt noch Ausstattung. Für einen Einstieg in die Umweltgeschichte viel besser geeignet wären etwa John R. McNeill: Something New Under the Sun. An Environmental History of the 20th Century, New York: Norton 2000, oder - für den von dem besprochenen Band angestrebten langfristigen Überblick - Rolf Peter Sieferle: Rückblick auf die Natur, München: Luchterhand 1997.
Verena Winiwarter