Lukas Thommen: Die Wirtschaft Spartas, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, 191 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-10675-7, EUR 39,00
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Lukas Thommen, einer der besten Kenner der Geschichte des antiken Spartas [1], widmet sich mit dem vorliegenden Buch einer Thematik, die trotz zahlreicher Forschungen zur besagten Polis, bisher - zumindest in der deutschsprachigen Forschung [2] - als Desiderat anzusehen ist. Thommen möchte, wie er in der Einleitung (11-17) ausführt, zeigen, dass Sparta auch in ökonomischer Hinsicht nicht als "Sonderfall" abgestempelt werden kann (16f.). Besonderes Augenmerk will Thommen auf die Fragen nach der Organisation der öffentlichen Finanzen sowie der Einbindung der spartanischen Vollbürger in Handel und Wirtschaft legen (16f.). Die Studie ist in neun Kapitel gegliedert: Zunächst erfolgt ein Überblick zu den geo- und topographischen Voraussetzungen (1. Kapitel; 19ff.) bevor Thommen sich ausführlich verschiedenen sozialen Gruppen und ihrem Beitrag zum Wirtschaftsleben zuwendet (2. Kapitel; 28ff.). Es folgen kürzere Kapitel zu Landwirtschaft und Tierzucht (3. Kapitel; 62ff.) sowie zu Lakonischen Produkten (4. Kapitel; 70ff.). Im fünften Kapitel wird schließlich die Geld- und Finanzwirtschaft (82ff.) betrachtet. Ein synchroner chronologischer Überblick, der vergleichend die Entwicklung in archaischer (114ff.), klassischer (125ff.), hellenistischer (134ff.) und römischer Zeit (155ff.) betrachtet, rundet den Hauptteil der Untersuchung ab (6.-9. Kapitel).
Das erste Kapitel bietet einen sehr guten Überblick über die topographische Situation sowie die verkehrstechnische Einbindung Spartas auf der Peloponnes. Die Quellenlage zu Sparta ist bekanntermaßen sehr problematisch. Gelegentlich stehen Quellen aus unterschiedlichen Jahrhunderten und Epochen kommentarlos nebeneinander: bspw. wird basierend auf Xenophon (Hell. 3,3,7) und Pausanias (3,13,6) im gleichen Satz angeführt, dass es in Sparta einen Eisenwarenmarkt sowie "eine Platzanlage zum Verkauf von Kleinwaren" gegeben habe (23). Dieses anachronistische Nebeneinander - ab wann die durch Pausanias belegte Örtlichkeit existent war, muss offen bleiben - lässt sich aufgrund der Überlieferungssituation natürlich nur schwerlich vermeiden. Umso wichtiger wäre es gewesen, in der Einleitung einen kurzen Überblick über die literarischen Quellen, die Auskünfte über die Wirtschaftsgeschichte Lakoniens bieten, zu geben und entsprechende methodischen Unterschiede zwischen Plutarch und den "zeitgenössischen" klassischen Autoren (Thukydides, Xenophon, Platon u.a.) zu erörtern.
Im zweiten Kapitel werden die verschiedenen sozialen Gruppen sowie die Armee, die Söldner bzw. Söldnerführer und die Proxenien und Gastfreundschaften abgehandelt. Thommen betont, dass - entgegen früheren Ansichten - die Vollbürger durchaus eine direkte Verwaltung der von Heloten bewirtschafteten Länderei ausübten und direkt in Produktion und Handel involviert waren. Trotz der geringen Quellenbelege gelingt es, die Partizipation der Spartiaten an wirtschaftlichen Interaktionen sowie handwerkliche Tätigkeiten plausibel zu skizzieren. Hinsichtlich der Annahme, dass Vollbürger "spätestens seit dem frühen 4. Jahrhundert v. Chr. offiziell von handwerklichen Tätigkeiten ausgeschlossen waren" (31 u. 33), darf man anmerken, dass die entsprechenden Quellenstellen - insbesondere Plutarch (Lyk. 24, Ages. 26 u. mor. 214a) sowie ferner Aelian (var. hist. 6,6) und Polyainos (2,1,7) - vielleicht lediglich einen späten Sparta-Topos rezipieren; zumindest fehlen eindringliche Quellenhinweise aus klassischer Zeit.
Den Periöken bescheinigt Thommen eine durchaus bedeutende Rolle in der lakonischen Wirtschaft. Der Seehandel habe sich früh über die periökischen Häfen abgewickelt (34 u. 69), die "Herumwohnenden" hätten sich um Handel und Handwerk gekümmert (35, 73 u. 117) und zudem seien sie als Vermittler zwischen den Spartiaten und der Außenwelt aufgetreten (36). Wie diese vermittelnde Funktion jedoch genau ausgesehen hat, lässt sich aus den Quellen nicht erkennen und bleibt entsprechend offen. Die immer noch verbreitete Annahme, die Periöken seien die wesentlichen Träger wirtschaftlicher Handlungen in Sparta gewesen, ist - nach Ansicht des Rezensenten - nicht durch einschlägige Quellenzeugnisse motiviert, sondern vielmehr aus dem allgemein geläufigen Sparta-Bild abgeleitet, nach welchem die Vollbürger solcherlei ökonomische Tätigkeiten nicht ausgeführt hätten. Thommen hat dieses Bild bzgl. der Vollbürger mit Recht korrigiert und bzgl. der Periöken problematisiert, gleichwohl er hier durchaus optimistisch von einem wichtigen Anteil ausgeht. Besonders der Hinweis darauf, dass auch die Periöken - vielleicht in erster Linie? - in der Landwirtschaft aktiv waren, vermag zu überzeugen (35, 62 u. 168). Insgesamt gilt für die Bewertung der Periöken immer noch die auch von Thommen (35f.) zitierte Feststellung Franz Hampls, der hinsichtlich wirtschaftlicher Handlungen auch an die sozialen Gruppen der Hypomeiones, Mothakes und Metöken dachte und trefflich festhielt: "dass der verbreiteten Ansicht, die in Lakedämon blühenden Gewerbe seien gerade von den Periöken betrieben worden, jede Grundlage fehlt". [3] Insgesamt sollte man sich für eine wirtschaftsgeschichtliche Analyse vielleicht von einer allzu schematisch-normativen Wahrnehmung der bekannten Sozialgruppen "Spartiaten" und "Periöken" lösen, was durch die Ausführungen von Thommen allgemein nahegelegt wird.
Gesellschaftliche Verbindungen, die über das Territorium der Polis hinausragten, werden durch die eindrückliche Schilderung der Proxenien und Gastfreundschaften (54ff.) vorgeführt. Ausführlich wird zuvor auch die Armee als wirtschaftlicher Faktor betrachtet (43ff.). Spartanische Söldnerdienste brachten Gelder nach Lakonien, wobei jedoch nicht immer klar zu eruieren ist, ob es sich um staatliche oder private Gelder gehandelt hat. Die Ausführungen korrespondieren in mancher Hinsicht mit Überlegungen zur Kriegskasse und -beute, die im fünften Kapitel, welches der Finanzwirtschaft gewidmet ist, erfolgen (94ff.). Beide Aspekte hätte man vielleicht auch gemeinsam abhandeln können.
Das dritte und vierte Kapitel sind der Landwirtschaft und der Tierzucht (62ff.) sowie typischen lakonischen Produkten (70ff.) gewidmet. Letzteres ist eine gute überblicksartige Zusammenstellung, die in die Abschnitte Keramik, Metalle, Marmor sowie Stoffe, Kleider und Schuhe unterteilt ist und die antiken Zeugnisse in dichter Abfolge referiert. Häufig werden kaiserzeitliche Quellen [4] angeführt, ohne ausführlich zu thematisieren, inwieweit die Situation der römischen Zeit Rückschlüsse auf die frühere Wirtschaft zulässt. Die Relevanz dieser Quellen darf für die Untersuchung des "Sonderfalls Sparta" in Frage gestellt werden. Hinsichtlich der Landwirtschaft, die Bedeutung und Rolle der Helotie wurde bereits im zweiten Kapitel abgehandelt (38ff.), betont Thommen, dass die vermeintlich auf Lykurg zurückgehende Einteilung von 9000 kleroi als spätere hellenistische Retrospektive zu dekonstruieren ist und es in archaischer und klassischer Zeit ungleiche Verteilungen gegeben hat.
Aufschlussreich ist das fünfte Kapitel zur Finanzwirtschaft (82ff.). Die angebliche lykurgische Anordnung, nach welcher Gold und Silber aus der spartanischen Gesellschaft verbannt worden seien, wird zurückgewiesen. Das Fehlen einer eigenen Währung, wie mit Recht ausgeführt wird, negiert keinesfalls weitreichende Handelsgeschäfte. Die Ausführungen zu Bestechungen sowie zu den verschiedenen, aus den Quellen jedoch nur schwerlich sauber zu trennenden Kassen - Kriegs-, Königs- und Staatskasse (94ff. bzw. 107ff.) - verdeutlichen zudem die Präsenz und Üblichkeit von Geld in der spartanischen Gesellschaft. Deutlich wird ebenfalls gezeigt, dass die staatlichen Finanzen, im Gegensatz zu anderen griechischen Gemeinwesen, unsystematischer und unregelmäßiger organisiert und abgewickelt worden sind.
Sehr gelungen ist schließlich der Überblick über die wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung Spartas von der archaischen bis in die römische Zeit (6.-9. Kapitel). Thommen zeigt, dass das archaische Sparta, hierauf weisen literarische und archäologische Quellen hin, als durchaus wohlhabender Stadtstaat anzusehen ist. Die Ausführung, dass durch Eisen- und Bleiexporte auswärtiger Handel aufrechterhalten worden ist und auswärtige Produkte nach Lakonien kamen, ist sicher zutreffend. Ob man in diesem Zusammenhang jedoch von "einer ausgeglichenen Handelsbilanz" sprechen darf (119), ist basierend auf der geringen Quellengrundlage nur schwerlich zu verifizieren, sondern eher als eine Überinterpretation der Überlieferung anzusehen. In klassischer Zeit blieb ein außerlakonischer Handel weiterhin existent, gleichwohl sich der Fokus aufgrund der athenischen Dominanz in der Ägäis auf Ägypten und Libyen verschoben habe. Die Anzahl der Vollbürger nahm ab und es kam zu großen Unterschieden hinsichtlich Vermögen und Besitz innerhalb der Bürgerschaft. Dieser Prozess führte zu verschiedenen Reformversuchen, die in hellenistischer Zeit durchgeführt worden sind. Thommens solide Schilderung besagter Reformansätze ist gegliedert nach den wichtigen Königen Areus I. (137ff.), Agis IV. (139ff.), Kleomenes III. (141ff.) sowie Nabis (145ff.). Hier - wie gelegentlich auch an anderen Stellen (z.B. 47ff. zu den Söldnerdiensten) - wird die ereignisgeschichtliche Entwicklung in dichter Abfolge referiert, ohne dass daraus unmittelbar wirtschaftsgeschichtliche Erkenntnisse entstehen. Interessant, aber durch die Quellenlage nur schwerlich zu beantworten, wäre die Frage, inwieweit die Einnahmen durch Kriegsbeute und Söldnertum das Auseinanderdriften der Gesellschaft der Spartiaten beeinflusst haben. In römischer Zeit ist besonders ein durch die berühmte Vergangenheit motiviertes "touristisches" Interesse an der Stadt als wirtschaftliche Veränderung beobachtbar, wenn auch nicht quantifizierbar.
Resümierend darf man dem Buch, das durch eine Zusammenfassung (168-170), einen kurzen Kartenteil (171f.), eine Bibliographie (173-183) und ein Register (184-191) abgerundet wird, attestieren, dass es sicherlich sowohl für die Sparta-Forschung als auch für die Erforschung der griechischen Wirtschaftsgeschichte neue Impulse geben wird und in mancher Hinsicht eine Lücke schließt! Die Aufarbeitung und Auswertung der Quellen, die Thommen in den neuen Kapiteln erarbeitet, sowie insbesondere die jeweils chronologisch geordneten Appendizes zu Söldnereinsätzen (51-53), Proxenoi, Gastfreundschaften und Freundschaften (56-61); Geldbeträgen (86-88); Bestechungen (91-94) und Kriegsbeuten (103-107), bieten verlässliche Ausgangsinformationen für künftige Forschungen und werden ein hilfreiches Arbeitsinstrument sein.
Die Frage ob Sparta - in ökonomischer Hinsicht - ein Sonderfall gewesen ist, bleibt jedoch weiterhin offen. Thommen hat zwar, etwa hinsichtlich der Partizipation der Spartiaten an Handwerk und Gewerbe, neue Aspekte, die von dem "traditionellen" Sparta-Bild abweichen, herausgearbeitet. Jedoch unterstreichen nach wie vor einige durch die Quellen gut belegte Sachverhalte, z.B. die unsystematische staatliche Finanzwirtschaft, die Syssitien-Abgaben der Vollbürger, das Fehlen von Abgaben im Peloponnesischen Bund und nicht zuletzt die für die Landwirtschaft maßgebliche und Autarkie verheißende Institution der Helotie, die ökonomische Andersartigkeit Spartas. Für künftige Untersuchungen, welche in Thommens Studie einen guten Ausgangspunkt haben werden, wäre eine intensive Komparation zwischen der Wirtschaft Spartas und der anderer griechischer Staaten lohnend.
Anmerkungen:
[1] Vgl. z.B. L. Thommen: Sparta. Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis, Stuttgart 2003; Spartanische Frauen, in: MH 56 (1999) 129-149; ders.: Lakedaimonion politeia. Die Entstehung der spartanischen Verfassung, Stuttgart 1996.
[2] In der englischsprachigen Forschung sind Arbeiten von S. Hodkinson, insbesondere die Monographie Property and Wealth in Classical Sparta, London 2000 sowie der Aufsatz "Blind Ploutos"? Contemporary images of the role of wealth in classical Sparta, in: S. Hodkinson/A. Powell (eds.), The Shadow of Sparta, London/New York 1994, 183-222, zu nennen.
[3] F. Hampl: Die lakedämonischen Periöken, in: Hermes 72 (1937) 1-49, hier 32 Anm. 3.
[4] Eine papyrologische Quelle, die ein als λακώνιον bezeichnetes Gewand nennt, darf der Vollständigkeit halber ergänzt werden; vgl. P.Giss. 1/21 = P.Giss.Apoll. 1 (ca. 113-115 n. Chr.).
Patrick Reinard